“Nicht damit gerechnet, dass sie sich wehrt”

An die 35 Männer und Frauen sitzen in den Reihen von Raum 266 im Münchner Landgericht in der Nymphenburger Straße. Sie wollen herausfinden, warum ihre Freundin, Bekannte, Verwandte und Geschäftsfreundin sterben musste. Auf der Anklagebank: Uschi D.

Punkt halb zehn beginnt die Verhandlung gegen die Frau, die vor fast genau einem Jahr die Boutiquebesitzerin Ursula M. in ihrer Wohnung in der Rottacher Seestraße ermordet haben soll.

Uschi D. musste sich heute vor dem Münchner Landgericht verantworten.
Heute früh begann der Prozess vor dem Münchner Landgericht.

Der Raum ist gut gefüllt mit zahlreichen Sachverständigen. Staatsanwalt, Richter und Verteidigerin beginnen, den Fall sowie das Leben der Angeklagten aufzurollen. Ein junger Polizist sitzt neben der Tatverdächtigen.

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Äußerlich macht die Frau einen gepflegten, aber gebrochenen Eindruck. Ein schwarzbrauner Nadelstreifenanzug, darunter ein weinroter Pulli. Die schulterlangen Haare trägt sie offen, am Ansatz sind deutlich erkennbar die echten, dunkleren Haare.

Der Tathergang

Staatsanwalt Florian Gliwitzky schildert kurz das Gewesene, das zur Anklage wegen Mord, Raub mit Todesfolge, Betrug und Urkundenfälschung geführt hatte: den Umzug an den Tegernsee, die Arbeitssuche, die Probearbeit im Geschäft des späteren Opfers. Das sind die groben Stationen vor der Tat. Die Angeklagte hätte dann den Plan entwickelt, die Boutiquebesitzerin Ursula M. zu berauben und zu töten.

Dazu hätte sie sich vorab telefonisch über die Öffnungszeiten des Geschäfts erkundigt, in der Erwartung, am Abend die Tageseinnahmen der 65-Jährigen zu entwenden. Sie veränderte ihr Äußeres, steckte ein Messer in ihre Tasche, bestieg den Bus von Wiessee nach Rottach-Egern, postierte sich im überdachten Bereich des gegenüberliegenden Geschäfts in der Seestraße und wartete auf das Opfer.

Dann gelangte sie ins Haus der Geschäftsfrau, folgte ihr in die Wohnung und forderte die 65-Jährige zur Geldherausgabe auf. Dabei schlug sie auf das Opfer ein und erwürgte später die Geschäftsfrau – in voller Absicht. Zwar waren die Tageseinnahmen unauffindbar, aber mit der privaten Geldbörse (250 Euro) samt Kreditkarten ging die Angeklagte einen Tag später erst einmal in München shoppen.

Lebensumstände der Angeklagten

Nach der ersten Schilderung des Tathergangs aus Sicht der Staatsanwaltschaft versuchen sich Richter Martin Rieder, Verteidigerin Dr. Annette von Stetten und Staatsanwalt Florian Gliwitzky ein Bild vom Leben der Frau zu machen. Depressionen, Burnout, medikamentöse Behandlungen, drei Suizidversuche. Das sind die Stationen der 49-Jährigen. Aufgewachsen in Düsseldorf, stirbt ihre Mutter, als sie noch ein Kind ist. Dann folgt eine kurze Station im Kinderheim, bevor der Vater eine neue Frau heiratet und sie und ihre Schwester wieder bei der „neuen Familie“ leben können.

Uschi D. macht den Realschulabschluss, schließt eine Lehre bei der Bekleidungskette C&A ab. Das sei etwa Anfang der 80er-Jahre gewesen, sagt sie. “Ich kann mich nicht mehr genau erinnern.” Anschließend folgen Jobs bei einem Reiseveranstalter und als Telefonistin. Sie heiratet und wird Mutter von zwei Söhnen.

Als die Kinder klein sind, arbeitet sie nicht, bleibt zu Hause. Der Ehemann – selbständig im EDV-Bereich – ist beruflich viel unterwegs. “Wir führten eine Wochenendehe”, erinnert sie sich. Mit einer räumlichen Veränderung versuchte man, die Ehe zu kitten. “Am 8.4.2006 war das”, den Umzugstag in die Doppelhaushälfte in Ottobrunn kann sie genau benennen.

Uschi D.s Welt wird brüchig

Wie ging es in Ottobrunn weiter? Wie liefen die Geschäfte? War der Mann beteiligt? Der Richter möchte alles ganz genau wissen. Die Zuhörer erfahren, dass die Angeklagte im Jahr 2007 einen Laden – “im Wellnessbereich” – aufmachte, “damit mir die Decke nicht auf den Kopf fällt”, so die Begründung. Der Geschäftserfolg ließ anfangs zu wünschen übrig. “Es war hartes Brot. Wenn man sich etablieren muss, braucht man eine Weile.”

Dennoch gab es bald auch in Rosenheim eine Filiale. Daneben: die Kinder, die Schule, ein Hund. Der Ehemann war häufig geschäftlich unterwegs, das Verhältnis besserte sich trotz der räumlichen Veränderung nicht. “Es ging mir gesundheitlich sehr, sehr schlecht”, macht die Tatverdächtige auf ihren Gesundheitszustand aufmerksam. Mitte 2009 habe sie sich deshalb in der Schlemmer-Klinik wegen Depressionen stationär behandeln lassen.

Im Juli schließlich die Trennung vom Ehemann. “Das war hart”, kommentiert sie. Beide Kinder – damals 17 und 19 Jahre alt – entscheiden sich, beim Vater zu bleiben. “Wir haben keinen Kontakt mehr”, beschreibt sie ihr Verhältnis zu den Söhnen, bricht dabei in Tränen aus. Auch die Geschäfte übernimmt der Mann. Die Angeklagte lernt in der Klinik ihren späteren Lebensgefährten Helmut B. kennen.

Den Hund muss sie weggeben, das Haus verkaufen. Im November 2009 dann die Insolvenz. Auf 122.000 Euro schätzt sie ihren derzeitigen Schuldenstand – privat und geschäftlich. Bis 2016 wird sich das Insolvenzverfahren wahrscheinlich noch hinziehen. Schmerzende Erinnerungen kommen im Gerichtssaal wieder in ihr hoch: etwa, dass der Ehemann, als sie in der Behandlung gewesen war, Dinge hinter ihrem Rücken gemacht habe: mit zwei Angestellten bevorzugte er es, – anstatt der von ihr initiierten Haar- und Tattoo-Entfernungen – jetzt Fettentfernung zu betreiben.

Erste Kontakte zum Opfer

Ihre eigene private Situation schmerzt die Tatverdächtige. Immer wieder bricht sie in Tränen aus. “Einen Mercedes hat er auch in meinem Namen angeschafft”, erzählt sie. Damals hatte sie sich mit ihrem Lebensgefährten – ihrer “großen Liebe” – trösten können. Sie zieht mit Herrn B. zusammen. Doch der ist nicht wohlhabend, sondern krank, findet keine Arbeit. Zusammen leben sie mit wenig Geld in einer 38-Quadratmeter-Wohnung.

Beruflich läuft es mau für Uschi D. “Es kamen viele Rechnungen auf mich zu. Ich hatte kein Geld mehr.” Dass sie Hartz4 anmelden muss, ist alles andere als geplant. “Aber von irgendetwas musste ich leben.” Allmählich kommt sie wieder auf die Füße. Lernt bei einem Zahnarztbesuch jemanden kennen, der ihr den Tipp gibt, dass eine Modeboutique-Besitzerin in der Rottacher Seestraße jemanden im Verkauf suchen würde.

In dieser Boutique arbeitete die Angeklagte für zwei Tage zur Probe.
In dieser Boutique arbeitete die Angeklagte für zwei Tage zur Probe.

Sie stellt sich vor und darf zwei Tage zur Probe arbeiten. Doch eigentlich ist der Job eine Enttäuschung, wie sie berichtet. “Ich hatte andere Erwartungen.” Kein Kundenverkehr, keine Verkaufstätigkeit fällt für sie in dem Herrenmodengeschäft ab. Immer wenn ein Kunde das Geschäft betrat, sei die Chefin vom Büro hervorgekommen und habe selbst bedient.

Sie dagegen habe eher Hilfstätigkeiten verrichten müssen: Ware einräumen, sauber machen, Müll hinaustragen und Ähnliches. “Das war nicht wirklich befriedigend”, sagt sie. Im Übrigen sei kein persönliches Verhältnis zustande gekommen, “nur ein guten Morgen in der Früh, das war es”, so die Angeklagte. Nach der Probearbeit wird nichts aus dem Arbeitsverhältnis.

Depressionen, Suizidversuche, ein entscheidender Alptraum

Doch die Angeklagte bekommt wenig später einen befristeten Arbeitsvertrag beim Drogeriemarkt Müller, zuerst im Bereich Parfümerie, später im Drogeriebereich. Der Abteilungswechsel – eigentlich eine “Herabstufung”, die sie aber nicht als solche gesehen habe. Im neuen Team fühlt sie sich sehr wohl. Doch im März 2012 wird das Arbeitsverhältnis nicht verlängert.

Wieder ein entscheidender Einschnitt im Leben der Angeklagten. Das wirft sie erneut zurück. Beide – sie und Herr B. – beschließen schließlich eine räumliche Trennung. Das Auf-der-Stelle-Treten in der kleinen Wohnung habe eine große Rolle gespielt für die Trennung. Sie zieht in eine eigene Unterkunft in Bad Wiessee, leidet weiter unter Depressionen. Auch stationäre Aufenthalte in mehreren psychosomatischen Kliniken ändern nichts daran. Immer wieder verfällt sie dem Alkohol. Eine Flasche Wodka – die Ration für drei Tage. Immer wieder nimmt sie Tabletten. Drei Suizidversuche zeichnen ihr Leben.

“Waren Sie vom Leben überfordert?” – Die Frage im Gericht beantwortet Uschi D. authentisch mit “Ja”. Zukunftsangst, das nicht verlängerte Arbeitsverhältnisses beim Müller-Markt, alles spielt zusammen, ihr Gesamtzustand verschlechtert sich, so die Einschätzung der Angeklagten. In der letzten Zeit vor der Tat Anfang November 2012 lebt sie vom Krankengeld. Dann fasst sie den folgenschweren Entschluss. Im Gerichtssaal schildert sie einen ominösen vorangehenden Alptraum.

Ich wurde verfolgt, vermutlich von meinem Mann, ich habe kein genaues Gesicht dazu. Frau M. stand am See, ich bin auf sie zugelaufen, Hilfe suchend zu ihr hin, ich weiß noch genau, wo sie stand. Sie hat die Hand ausgestreckt und mich in den See geschubst.

Als sie dann morgens wach wird, beschäftigt sie das Thema. Sie habe seit Ewigkeiten nicht an Frau M. gedacht. Stark erkältet sei sie am Nachmittag aufgestanden und habe sich überlegt, dass sie die Geldtasche der Boutiquebesitzerin rauben könne.

Ich hab was getrunken und hab ein Messer mitgenommen. Ich hab so was noch nie vorher gemacht. Ich hab es so gemacht wie im Fernsehen. Das Messer war als Drohgebärde gedacht. Dann habe ich mich auf den Weg gemacht.

Wie weggeblasen scheinen die Tränen jetzt bei der Angeklagten. Gefasst und hochkonzentriert sitzt sie auf ihrem Platz und schildert den Tathergang.Richter Martin Rieder will alles ganz genau wissen. Ob sie ihr Aussehen verändert habe, wann sie angekommen sei, ob sie mit dem Bus gefahren sei. Am Anfang bekommt er detaillierte Antworten. Später werden diese dann widersprüchlich.

Uschi D. erzählt, dass sie gar nicht gewusst habe, wo die Wohnung im Haus sei, nur dass Ursula M. über dem Geschäft wohnte. “Ich hab auf die Türschilder geschaut, M. stand nicht dran, die Tür ging zu, ich hab irgendwo geklingelt, es hat jemand aufgemacht.” Oben angekommen, sieht sie, wie M. in der offenen Tür steht.

Dann hat sie gefragt, was ich wollte. “Ich hab was vergessen”, hab ich gesagt. Ich weiß nicht mehr genau, was passiert ist. Ich hab noch einen Schritt näher gemacht. Dann hab ich gesagt, ich möchte ihre Geldtasche haben.

Spuren der Kripo an der Tür des Opfers.
Spuren der Kripo an der Eingangstür.
“Wer sind Sie, und was wollen Sie?”, fragt das Opfer, ruft aber nicht laut um Hilfe. Dann stehen die beiden in der Wohnung. Es kommt zu einer Rangelei.

Doch das Opfer wehrt sich, ist, so Uschi D., überraschend kräftig und versucht, der Angreiferin das Messer aus der Hand zu schlagen. “Ich hab nicht damit gerechnet, dass sie sich wehrt. Ich kenne solche Situationen nur aus dem Krimi. Im Normalfall ist die Person dann eigentlich ängstlich.”

Über einen Läufer stürzen die beiden schließlich auf den Boden. Dem Opfer gelingt es, der Angeklagten das Messer abzuringen, beim Sturz jedoch reißt der Henkel ihrer Tasche. Und plötzlich entwickelt sich das Ganze in eine andere Richtung.

Sie hat auf dem Boden gelegen und hat herumgezappelt. Ich musste gucken, dass sie mich mit dem Messer nicht verletzt. Der Kopf, das ging alles so schnell, ich weiß nicht mehr, ob ich das Trageband jetzt einmal oder zweimal rumgewickelt habe. Sie sollte einfach nur aufhören, da rumzuzappeln. Ich weiß nicht mehr, ob ich einen Knoten gemacht hab. Und dann war sie ruhig, ganz still. Es war nicht geplant, dass sie erstickt, ich wollte nur, dass wieder Ruhe reinkommt.

Doch der Staatsanwalt ist verwundert über die widersprüchlichen Aussagen der Tatverdächtigen. Vor allem, dass ihr eigentlicher Plan des Raubes ihr selber in dem Moment “total entfallen war”. Warum sie das Ganze dann veranstaltet habe, so der Richter. Doch mit einer klaren Antwort kann D. nicht dienen. Sie habe keinen genauen Plan für das Geld gehabt. “Ich wollte immer mal eine größere Wohnung mieten. Ein paar Tage sorgenlos leben. Dass man den Kopf nicht so voll hat. Mal wegfahren oder so.”

Mit 2.000 oder 3.000 Euro – so viel hätte sie doch erwarten müssen zu finden – komme man aber auch nicht so weit, wirft der Richter ein. Oder seien die Erwartungen doch größer gewesen? Obwohl die Angeklagte äußerlich nicht so wirkt, macht sie darauf aufmerksam, dass sie jetzt ganz schön aufgeregt sei. Der Richter kommt darauf zu sprechen, ob die Einkaufswünsche etwas Besonderes hätten sein sollen.

Na ja, es stand ja Weihnachten vor der Tür.

Während auch in der Folge die Aussagen der Angeklagten immer widersprüchlicher werden, kommt der Richter auf den Tod des Opfers zu sprechen. “Frau M. hat sich ja dann nicht mehr gerührt, wie ging es dann weiter? Haben Sie realisiert, dass Ursula M. tot ist? Haben Sie mal überprüft, ob Frau M. noch lebt? Sind Sie aufgestanden und haben gleich geschaut, ob sich was findet?”

Ich hab in der Küche geschaut. Sie kann noch nicht lange da gewesen sein. Ich hab ihr das Messer aus der Hand genommen. Ich hab es eingewickelt. Ich hab kein Blut an ihr gesehen.

Doch auch in der Küche findet die Angeklagte nichts. Dann findet Uschi D. die Handtasche des Opfers. Im Portemonnaie befinden sich rund 250 Euro, Bank- und Kreditkarten. Doch das interessiert Richter und Staatsanwaltschaft weniger. Sie wollen mehr wissen über den Eskalationspunkt, also wann und wie der Kampf losging. Gerade bei den Fragen verwickelt sich die Angeklagte in widersprüchliche Aussage. Kommt immer wieder darauf zu sprechen, wie sie versucht hatte, die Geldtasche zu finden.

Die Angeklagte hatte die Boutiquebesitzerin Ursula M. in ihrer Wohnung oberhalb der eigenen Boutique getötet.
Die Angeklagte tötete die Boutiquebesitzerin Ursula M. in ihrer Wohnung oberhalb der eigenen Boutique.

Während sie alles erzählt, wirkt sie ruhig und analytisch. Staatsanwalt und Richter stören sich trotzdem an manchen widersprüchlichen Aussagen, gerade wenn es um das Betreten von Haus und Wohnung geht. Angesprochen darauf, dass sie bei der Polizei andere Aussagen gemacht habe, fühlt sich die Angeklagte in die Ecke gedrängt.

Das ist der Moment, an dem Staatsanwalt Florian Gliwitzky konkreter wird: “Sie haben früher mal gesagt, Frau M. schloss die Eingangstür auf – warum haben Sie es so ausgesagt, wenn es nicht stimmt? Als Sie da geklingelt haben, hat da jemand was gesagt, oder ist nur der Summer gegangen? Warum haben Sie es denn so anders gesagt bei der Polizei?”

Ich versuch, sie wegzuschieben. Wir waren dann ganz in der Diele drin. Ich weiß, dass da ein Läufer lag und dass wir dann da drüber gestolpert sind. Wir sind beide gestolpert, irgendwie in einer Drehung. Sie lag mit dem Kopf in Richtung Küche – bäuchlings-seitlich.

Eine Schilderung, die teilweise von dem vorher Gesagten abweicht. Und so bringt es Gliwitzky schließlich auf den Punkt: Ihm gehe es nicht darum, die möglichst grässlichste Variante zu präsentieren, sondern darum, zu verstehen. Jeder würde verstehen, dass die Angeklagte eine möglichst günstige Version abliefern will.

“Wir nehmen das jetzt mal alles so zur Kenntnis, ob wir Ihnen dann das alles glauben, wird sich zeigen”, schließt Richter Martin Rieder. Die Verhandlung ist für insgesamt sieben Verhandlungstage angesetzt. Morgen geht es weiter. Das Urteil soll am 6. Dezember fallen. Auf den Tag genau 13 Monate nach der Tat.

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