“Ich wollte nie höher hinaus”

Zwölf Jahre war er Holzkirchens Erster Bürgermeister, nun legt er sein Amt nieder: Wie empfindet Josef Höß den Abschied aus dem Rathaus? Was waren die schwierigsten Entscheidungen? Und was hat sein Job mit dem eines Zirkusdirektors gemeinsam? Ein Gespräch über die Ängste vorm ersten Tag, die Gefahren der politischen Macht und die Bedeutsamkeit der kleinen Dinge.

Die Kisten sind schon gepackt: Josef Höß nimmt Abschied vom Amt des Bürgermeisters.
Die Kisten sind schon gepackt: Josef Höß nimmt Abschied vom Amt des Bürgermeisters.

Holzkirchner Stimme: Herr Höß, Sie waren zwölf Jahre Holzkirchens Erster Bürgermeister. Können Sie sich noch an Ihren ersten Tag erinnern?

Josef Höß: Ich hatte vor diesem Tag sehr großen Bammel. Ich komme aus dem Handwerksbereich und auf einmal hat man im Rathaus 120 Leute vor sich, um die man sich kümmern soll. Das war aufregend, ich habe schon nervöse Hände gehabt. Es gibt im Beruf des Bürgermeisters ja keine Lehrzeit. Aber meine Frau hat mir einen sehr guten Spruch mit auf den Weg gegeben: Stell dir vor, du bist ein Zirkusdirektor. Der muss auch nicht auf einem Seil tanzen, dafür sind ja die Artisten da. Ich sehe mich als ein solcher Zirkusdirektor. Jeder Einzelne im Haus ist ein Artist, der das umsetzt, was der Gemeinderat beschließt. Ich muss nicht alles können, aber ich brauche das Vertrauen der Mitarbeiter und ich vertraue ihnen.

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Holzkirchner Stimme: Jetzt sind wir neugierig. Haben Sie noch eine kleine Anekdote zu Ihren Anfängen bereit?

Josef Höß: Der Bürgermeister hat ja auch die große Ehre, dass er Trauungen vollziehen darf. Das ist eine tolle Aufgabe. Aber es sagt einem niemand, wie das läuft, da kommt man schon ins Schwimmen. Am 3. Mai 2002, das weiß ich noch ganz genau, fanden gleich fünf Trauungen hintereinander statt – ich weiß nicht, wer mehr geschwitzt hat, die Brautpaare oder ich (lacht).

Verkehr und Wirtschaft als Prioritäten

Holzkirchner Stimme: Mit welcher Vision sind Sie für Holzkirchen angetreten?

Josef Höß: Mein Interesse galt immer der Wirtschaft und dem Verkehr. Vor allem der Verkehr hatte oberste Priorität: Ich wollte die nördliche Umgehungsstraße – im Gegensatz zu meinem damaligen Kontrahenten Hans Putzer.

Holzkirchner Stimme: Und wie schnell waren Sie ernüchtert? Nicht alle Ziele sind durchsetzbar.

Josef Höß: Ernüchtert war ich sehr schnell als die Probleme mit der Nordumgehung kamen. Es kommen auch in anderen Bereichen sehr schnell Probleme, an die man vorher gar nicht denkt. Man muss immer differenzieren zwischen den Pflichtaufgaben einer Gemeinde und den freiwilligen Aufgaben. Die ersten müssen Sie erledigen, die zweiten sind gewissermaßen der erwünschte zusätzliche Luxus. Das in Einklang zu bringen ist nicht immer leicht. Über vielen Entscheidungen schwebt das ‚Damoklesschwert Pflichtaufgaben’.

Holzkirchner Stimme: Sprechen wir über die Nordumgehung. Die war nicht unumstritten.

Josef Höß: Der Einsatz dafür war hoch und die Angriffe sehr groß. Das Schwierigste waren die Grundstücksverhandlungen – wir haben mit 23 Grundstückseigentümern verhandelt, wenn einer Nein gesagt hätte, wäre das Ganze geplatzt. Ich war extremem Druck ausgesetzt, das hat in mir sehr gearbeitet. Ich habe mich immer wieder gefragt: Was, wenn ich hier scheitere?

Die Nordumgehung als “Hauptschlagader”

Holzkirchner Stimme: Würden Sie die Nordumgehung als ihre größte Leistung bezeichnen?

Josef Höß: Ja, und es erfüllt mich schon mit Stolz, dass es geklappt hat. Der ganze Prozess hat mich sehr, sehr gefordert. Aber ich bin immer für Entwicklung gestanden und die wäre ohne diese Straße gar nicht möglich – ohne sie gäbe es heute keine FOS oder kein neues Gymnasium. Die Nordumgehung ist die Hauptschlagader von Holzkirchen geworden.

Holzkirchner Stimme: Kommen wir nochmal zu dem Punkt zurück, dass die Straße sehr umstritten war – wie ja auch die beiden neu vorgeschlagenen Umgehungstrassen. Wie geht man damit um, dass man es nie allen Bürgern recht machen kann, auch wenn man der Bürgermeister aller ist?

Josef Höß: Sie müssen sich gerade hinstellen und klare Worte sprechen. Auch mal sagen „mir ist das wurscht, ich habe dieses Ziel, dafür stehe ich“. Man muss auch das Risiko eingehen, zur Not nicht wiedergewählt zu werden. Die Befürworter der Nordumgehung sind massiv angegriffen worden – das muss man auch verdauen können.

Holzkirchner Stimme: Aber warum polarisiert gerade das Thema Verkehr so stark? Bei kaum einem anderen Thema sind die Bürger emotional so sehr dabei.

Josef Höß: Jeder hat Angst, dass der Verkehr auf sich konzentriert wird. Jeder fährt Auto, aber keiner will, dass unmittelbar vor seiner Haustür gefahren wird. Die größte Sorge vieler Bürger ist der Lärm. Fakt ist: Holzkirchen hat in den letzten zwölf Jahren viele große und kleine Bauprojekte durchgezogen, aber keines ohne Widerspruch.

Holzkirchner Stimme: Ist Ihnen jemand, der widerspricht, sich echauffiert – nennen wir ihn mal Wutbürger – lieber als jemand, der alles ohne Widerrede über sich ergehen lässt?

Josef Höß: Wenn der Bürger sachlich bleibt, man mit ihm konstruktiv debattieren kann, dann ja. Diskussionen sind wichtig. Ich brauche keine Ja-Sager um mich. Ich treffe Entscheidungen nie allein, sondern immer in Absprache mit anderen, allem voran meine Mitarbeitern.

Holzkirchner Stimme: Auch wenn die Nordumgehung zur Verkehrsentlastung beiträgt, gelöst ist das Problem nicht. Vor allem im Ortszentrum ist der Verkehr dicht. Hat man hier wirklich alles versucht?

Josef Höß: Zum einen führt die Bundesstraße durch den Ortskern, darauf hat Holzkirchen keinen Einfluss. Aber man muss differenzieren: während der diversen Ferien ist der Ort in der Früh fast wie ausgestorben. Holzkirchen ist allerdings inzwischen ein Schulstandort, ab Herbst werden hier 3.500 Schüler unterrichtet. Das bringt zwangsläufig einen hohen Verkehrsfluss mit sich. Im Zentrum herrscht außerdem viel Berufsverkehr, es gibt viele Arbeitsplätze im Ortskern, worauf ich auch stolz bin. Unter der Woche stört mich der Verkehr also eigentlich gar nicht, denn der Verkehr steht auch für Leben. Der Ort darf nicht leer werden – dann wäre das Zentrum tot.

Holzkirchner Stimme: Trotzdem steht man oft im Stau.

Josef Höß: Am Wochenende gebe ich Ihnen recht. Aber oft führt auch das Navigationssystem durch den Ort. Das ist wohl ein Prozess, bis alle die Umfahrungsmöglichkeit kennen und sie nutzen.

Was hat es mit der Macht auf sich?

Holzkirchner Stimme: Weiten wir den Blick und schauen auf den Landkreis. Sie haben jetzt, am Ende Ihrer Amtszeit, auch einen der größten Skandale der Kommunalpolitik miterlebt: die Kreidl-Affäre. Man hatte das Gefühl, der ehemalige Landrat hat die Bodenhaftung verloren – und dieses Gefühl beschleicht einen bei so manchem Politiker. Sie waren viele Jahre Rathauschef einer gewiss nicht unwichtigen Landkreisgemeinde. Verraten Sie uns: Was hat es mit der Macht auf sich? Verführt diese so leicht?

Josef Höß: Auch für mich war das unverständlich. Ich habe einen guten Kontakt zu Jakob Kreidl gehabt und ihm nach dem Skandal um seine Doktorarbeit geraten, Abschied zu nehmen. Ich habe ihm gesagt, steh zu deinem Fehler, du bist nicht der Einzige, der über so etwas gestolpert ist. Aber er hat solche Ratschläge einfach abgelehnt.

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Jakob Kreidl (in der Mitte) bei einer CSU-Sitzung im Januar diesen Jahres.

Holzkirchner Stimme: Ist es tatsächlich so, wie es das Klischee besagt: Je höher in der Hierarchie, desto schneller hebt man ab?

Josef Höß: Ja, je höher, desto schneller verliert man den Bezug zur Normalität. Nach dem Motto „ich will mehr Macht haben“ zu leben, ist aber ein ganz gefährlicher Weg. Wissen Sie, als was ich das Rathaus sehe? Als Dienstleistungsunternehmer. Bei mir steht die Tür immer offen, meine Nummer steht im Telefonbuch. Man darf die Bürgernähe nicht verlieren. Es ist ganz wichtig, am Boden haften zu bleiben. Die kleinen Dinge im Auge zu behalten und auch auf die Leute zu hören, die in der Hierarchie nicht so weit oben stehen.

Holzkirchner Stimme: Wer oder was hilft auf dem Boden zu bleiben?

Josef Höß: Es gibt viele Leute, die einen zurück auf den Boden holen, die auch mal ‚ja spinnt er jetzt ganz?’ sagen. Und ich glaube, dass Sie diesen Beruf ohne verlässlichen Partner nicht ausführen können. Man geht oft mit gesenktem Kopf nach Hause. Wenn der Partner daheim wartet, ist das schön, wenn Sie mit ihm noch ein Gespräch führen können. Meine Frau ermahnt mich immer wieder, wichtige Dinge wie Geburtstagsgratulationen nicht zu vergessen, die Leute erwarten das. Das Kleine ist genauso wichtig wie das Große. Wenn man die Bodenhaftung verliert, ist man verkauft.

Holzkirchner Stimme: Hatten Sie nie Ambitionen nach einem höheren Amt?

Josef Höß: Nein, ich hatte keinerlei Ambitionen auf mehr. Mein Amt als Bürgermeister hat mich sehr gut ausgefüllt, ich wollte nie höher hinaus. Wenn man weiter geht, besteht die Gefahr, dass man den Kontakt zur Familie verliert. Das kann es nicht sein, der Preis ist viel zu hoch.

“Reden, reden reden, das ist das Wichtigste”

Holzkirchner Stimme: Nun hatte der Skandal um Kreidl und die Sparkasse auch Einfluss auf die CSU insgesamt. Auch im Holzkirchner Gemeinderat hat Ihre Partei nicht mehr die absolute Mehrheit. Ist das ohne ordentliche Opposition nicht eigentlich furchtbar fad?

Josef Höß: Nein, das ist es nicht. Man braucht die CSU-Mehrheit eigentlich nicht, die meisten Beschlüsse fallen ohnehin einstimmig. Die Mehrheit zu haben ist beruhigend, aber nicht zwingend notwendig. Es ist der Diskurs, der zu guten Ergebnissen führt. Reden, reden, reden, das ist das Wichtigste.

Holzkirchner Stimme: Mit welchem Gefühl scheiden Sie aus dem Amt?

Josef Höß: Ich hätte theoretisch noch einmal antreten können. Aber es muss noch etwas anderes geben als diesen Beruf, der mir große Freude gemacht hat. Ich habe meine Arbeit all die Jahre sehr, sehr gern gemacht und die Wehmut steigt täglich. Aber ich gehe mit großer Zufriedenheit.

Holzkirchner Stimme: Herr Höß, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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