In der Theorie klingt es dufte. Ein Flugzeug steigt auf und ändert das Wetter für uns. Ein Menschheitstraum. Aber wie geht es das? Ist das realistisch?
Ein Silberjodid-Azeton-Gemisch wird aus zwei Tanks von einer kleinen Propellermaschine in die Wolken eingebracht. Dort zerstäubt es in Billiarden von Kristallen. Sie sollen sich an die Wassertropfen setzen und dabei viel Feuchtigkeit binden. Die Idee dahinter: Es bilden sich zwar mehr Hagelkörner. Die sind aber kleiner, tauen somit schneller auf dem Weg zum Boden und werden somit nicht zu steinharten Geschossen.
Im Durchschnitt sind die Hagelflieger aus Rosenheim laut eigener Aussage zwischen 18 und 20 Tagen im Jahr unterwegs, um gewitterträchtige Wolken mit Silberjodid zu impfen. Hauptsaison April bis September. Die Flieger zeigen Transparenz: Mit der „Ro-Berta“-App kann man die Hagelflieger bei ihrem Einsatz beobachten. Die App zeigt die Flugrouten an, liefert sogar Kameraaufnahmen aus dem Cockpit und von der Unterseite des Fluggeräts. Über die App können Bürgerinnen und Bürger zudem Wetterdaten melden.
Wolken impfen und sie dadurch zum Abregnen zu bringen – ein alter Schuh. Das Verfahren wurde bereits vor mehr als 50 Jahren in den USA entwickelt und seitdem immer wieder in vielen Ländern (Venezuela, Russland, China, Kanada) angewandt. Es ist also nicht so, dass die hiesigen Hagelflieger mit ihrer Überzeugung völlig allein sind. Nur: Flatearther, Homöopathen und andere “Glaubensrichtungen” sind ebenfalls global. Was sagen die Experten?
Alles nur Zufall?
“Aber Regen machen ist eine Sache, Hagelkontrolle eine ganz andere”, sagen Kritiker wie Hartmut Höller, Atmosphärenphysiker am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt. “Die meteorologischen Verhältnisse in einer normalen Wolke sind überschaubar. Aber die Prozesse in einer Gewitterfront sind viel zu komplex und zu energiereich, um sie gezielt beeinflussen zu können”, so Höller. Es sei “reiner Zufall, wenn es mal funktioniert.” Unser Nachbarlandkreis Rosenheim hat dazu eine sechsjährige Studie beim DLR in Auftrag gegeben. Das Ergebnis war für die Flieger-Fans ernüchternd: Es konnten keinerlei Auswirkungen auf das Hagelgeschehen nachgewiesen werden. Trotz des negativen DLR-Gutachtens hält der Landkreis Rosenheim am Hagelfliegerprogramm fest, mehr noch: Man wirbt dafür auf der Seite des Landratsamts, mehr noch: Man hat eine eigene Abteilung mit Durchwahl und Dienstzimmer für die Hagelhelden in Rosenheim.
Überwiegende Experten-Mehrheit dagegen
Die Wirksamkeit des Wolkenbeschusses findet weltweit in der Wissenschaft keine Zustimmung, zu mächtig die Gewitter, zu wenig nachweisbar der Effekt von wenigen Fliegern an gigantischen Wolkenbergen. “Es gibt keine belastbaren statistischen Untersuchungen”, erklärt Professor Manfred Wendisch, Leiter der Arbeitsgruppe Atmosphärische Strahlung der Uni Leipzig. “Die Flieger impfen die Wolken und fliegen heim. Wenn es nicht hagelt, ist das schön. Doch kann keiner nachweisen, dass es wirklich an der Impfung lag. Vielleicht wäre es auch ohne trocken geblieben. Ich glaube, hier kann der Wunsch der Vater des Gedankens sein”, so Wendisch. “Und selbst wenn viel Silberjodid geimpft wird, dann muss man zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle genau die richtige Menge impfen”, erklärt Joachim Curtius, Professor für experimentelle Atmosphärenforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Robin Cox, von der kanadischen Royal Roads University, prognostiziert für die Zukunft düsteres. Die Zahl der Hagelstürme würde beispielsweise in Nordamerika vermutlich abnehmen. Aber die Größe der Hagelkörner werde wachsen, so die Forscherin. Der Klimawandel sorgt weltweit für mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre. Das erzeuge schlicht andere, gefährlichere Hagelstürme.
Auch Versicherer wenden sich ab
Also mehr zerstörte Autoscheiben und Glashäuser in der Zukunft, weil die Wucht der Himmelsgeschosse stärker wird? Da muss man doch alles versuchen, denkt man am Boden und schaut verängstigt nach oben. Denn die Schäden, wie sie jetzt im Tegernseer Tal entstanden sind, bezahlen in der Regel die Versicherungen. Und die werden ihre Tarife sicher mit zunehmender Schadensgröße erhöhen. Dennoch: Fragt man den größten Rückversicherer der Welt, die Münchner Rück, wird es eng für die Flieger: “Der vorbeugende Effekt lasse sich in der Unwetterschadenstatistik nicht erkennen”, sagt Ernst Rauch von der Münchner Rückversicherung. Auch Sabine Schaffrath von der Allianz sagt uns: “Ein Testfeld unter Beteiligung der Allianz Versicherungs-AG im Bereich Hagelflieger ist aktuell nicht vorgesehen.” Der Versicherungsriese aus München setzt eher präventive Maßnahmen und frühzeitige Warnsysteme
Das ist insofern interessant, als das Sturm, Hagel und Starkregen vergangenes Jahr versicherte Schäden in Höhe von 4,3 Milliarden Euro verursachten. Die Versicherungen dürften also eigentlich ein großes Interesse an Schadensvermeidung haben. Aber auch sie berufen sich lieber auf wissenschaftliche Erkenntnisse, als auf den Glauben der Piloten. Hans-Friedrich Graf vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie wird zitiert: “Der Erfolg der Hagelabwehr ist vor allem eine Frage des erfolgreichen Marketings.” Klar, verwegene Männer steigen bei Wind und Regen in ihre kleinen Maschinen, sausen durch die Wolken – nur um uns vor kaputten Autos und zerstörten Dächern zu schützen. Technik meets Mut. Und so eine Erzählung trifft auf die wahre Not am Boden:
Die Not führt zum Glauben
Hagelstürme hatten und haben vor allem in der Landwirtschaft über Jahrhunderte einen Schrecken. Binnen weniger Minuten waren ganze Ernten, ob Getreide, Obst oder Wein, zerstört, somit auch zuweilen Existenzen. Wallfahrtsorte sind mit Bitt-Tafeln gegen Hagel gefüllt. Man ließ früher Glocken gegen den Feind von oben läuten.
Im Mittelalter waren Menschen davon überzeugt, dass nicht Wolken, sondern Hexen den zerstörerischen Hagel verursachen. Im sogenannten Hexenhagel fand man, so wird überliefert, Hexenhaare und Schuhnägel der Damen. Als Gegenzauber wurde in erster Linie das Läuten der Kirchenglocken empfohlen. Später hielt man einen Spiegel dem Wetter entgegen. Hagelprozessionen wurden bei herannahenden Gewittern auch durchgeführt, nicht immer unfallfrei. Bei einer Prozession in Kärnten soll im 18. Jahrhundert ein Hagelschauer mehrere Gläubige dahingerafft haben.
Es ist diese Machtlosigkeit, die viele dazu bringt, jede nur erdenkliche Methode anzunehmen, die dem Wolken-Schrecken vielleicht etwas entgegensetzen kann. Somit sind gerade Landwirte bei uns die größten Unterstützer der Flieger, reagieren mit Wut und zuweilen auch zweifelhaften Angriffen auf Kritik. Klar, wenn dir die Wissenschaft recht einhellig erklärt, dass die Hagelfliegerei nichts weiter als Hokuspokus ist, der das teure Hobby von Freizeit-Piloten (sind meist nur Männer) finanziert, schwillt schon einmal der Kamm. Wenn Landwirte und andere Mitbürger so etwas privat finanzieren, ist das ok.
Die einen zünden Kerzen in Altötting an, die anderen Räucherstäbchen. Warum sollte man Menschen den Glauben nehmen wollen? Dazu gehört aber auch, dass eben Hagelflieger-Fans Kritik, auch öffentliche, ohne Schaum vorm Mund ertragen. Solange der Staat, also die Gemeinschaft, so etwas nicht bezahlt, können, müssen wir das aushalten.
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