Jabrils “Kiste zum Leben“

Die Zahl der Asylbewerber im Landkreis Miesbach wird zum Ende des Jahres auf über 400 steigen. Viele der Flüchtlinge sind auf ihrem Weg oft Monate unterwegs. Wie berichtet, gelangen sie schließlich per Bahn oder Transporter ins Oberland und werden von Flüchtlingsfahndern der Bundespolizei Rosenheim aufgegriffen. So auch der 16-jährige Jabril.

Schleuser transportieren Flüchtlinge wie Ware. Im Kofferraum oder per Zug. Quelle: Bundespolizei Rosenheim.
Schleuser transportieren Flüchtlinge wie Ware. Auf Rädern oder Schienen. Quelle: Bundespolizei Rosenheim.

Vor einer Woche war die Holzkirchner Stimme einen Tag lang mit Flüchtlingsfahndern der Bundespolizei Rosenheim unterwegs. Der Einsatzraum der Beamten umfasst insgesamt 645 Kilometer Grenzlänge. Täglich verkehren am Rosenheimer Bahnhof rund 150 Regional- und Fernverkehrszüge.

Er ist Verkehrsknotenpunkt in Richtung Österreich und Italien. Und somit der Umschlagsplatz für geschleuste Flüchtlinge, die ins Oberland und schließlich in den Nordlandkreis einreisen wollen. Im ersten Teil der Geschichte berichteten wir über die tägliche Arbeit der Rosenheimer Flüchtlingsfahnder Veronika und Christian. Heute geht es um den 16-Jährigen Jabril.

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Von der Zugtoilette in ein besseres Leben?

Den Jungen aus Somalia haben die Beamten im ICE von Kufstein nach Rosenheim aufgegriffen. Sie finden den blinden Passagier zusammengekauert in der Bordtoilette des Zuges. “Germany?”, fragt er die Beamten und scheint erleichtert, als sie nicken. Dennoch steht er jetzt eingeschüchtert in der Ecke und weiß nicht, was mit ihm passieren wird.

Englisch kann er kaum. Veronika macht ihm mit Händen und Füßen verständlich, dass er jetzt gleich mitkommen muss. Sehr jung, abgemagert und schwach ist er. Sein Gürtel hält ihm die Hose kaum noch auf den Hüften. Nur eine kleine Tasche hat er umhängen. Am Bahnhof in Rosenheim öffnet sich die Tür und die Beamten führen ihn ab.

Für die Polizisten beginnt jetzt das Puzzlespiel. Bevor der Junge in den Dienstwagen einsteigen kann, durchsucht ihn Christian. In seiner Tasche findet sich ein Zugticket für die Strecke Verona – Graz. Es ist abgelaufen. Auf dem Weg zur Wache erfährt Veronika den Namen des Flüchtlings: Jabril. Mit seinen Händen zeigt er der Beamtin, dass er 16 Jahre alt ist. „Somalia“, sagt er immer wieder.

Registrierung verhilft Flüchtlingen zum Neustart

Auf der Wache muss jeder Flüchtling, so auch Jabril, das gleiche Prozedere über sich ergehen lassen: Durchsuchung, Registrierung, Verhör. Dazwischen heißt es warten. Denn bis ein Dolmetscher gefunden ist, vergehen meistens mehrere Stunden. Jabril spricht nur Somali. Ein Dolmetscher wäre zwar gerade vor Ort, doch der ist Syrer und scherzt: „Bald kann ich hier auch einziehen“.

Nach drei Stunden ist ein passender Dolmetscher gefunden. Jedoch ist dieser gerade in München und nur per Telefon zugeschaltet. So erfahren die Beamten Jabrils Geschichte. Auf einem Schlauchboot mit 26 anderen Flüchtlingen ist er von Afrika nach Italien gekommen. Mehrmals hätte ihn die italienische Polizei aufgehalten, Dokumente habe er nicht erhalten. Für 1.500 Euro habe ihm dann ein Mann, ein Schleuser, das Ticket von Verona nach Kopenhagen besorgt.

Jabril muss sich registrieren lassen. Danach kann er Asyl in beantragen.
Jabril muss sich registrieren lassen. Danach kann er Asyl beantragen.

Ein Ticket, das seit Wochen schon ungültig ist und nur von Verona nach Graz ging. Seine Eltern hätten Zuhause ihre Hütte und die Tiere verkauft, um wenigstens ihm die Flucht zu finanzieren. Dass er sich laut deutschem Gesetz wegen unerlaubter Einreise ohne Pass, Visum oder Aufenthaltsgenehmigung und Urkundenfälschung strafbar gemacht hat, sei ihm nicht klar.

Es scheint so, als freue er sich nur noch auf Essen und eine warme Zelle. Seit einem Monat ist er unterwegs und wiegt nur noch 48 Kilogramm. Weil Jabril erst 16 ist, wird er dem Jugendamt übergeben. Davor werden noch seine Personalien und seine Fingerabdrücke aufgenommen, damit Jabril auch auf dem Papier in Deutschland angekommen ist.

„Viele Flüchtlinge haben nie zuvor einen Pass besessen“, erklärt Polizeihauptkommissar Rainer Scharf, „so bekommen sie endlich eine Identität.“ In die Hand drückt man Jabril eine Kiste, mit dem Inhalt seines „Reisegepäcks“ und einiger Formulare – seinem neuen Leben.

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