Jemand, der einfach mal zuhört

Viele Menschen kennen die Momente, in denen man mit jedem neuen Gedanken gegen eine Wand rennt. Ungebremst fällt. Es weder Fluchttunnel geschweige denn Licht an dessen Ende gibt. Corona hat das noch verstärkt. Doch es gibt Unterstützung – Menschen, die zuhören. Wir haben mit einer von ihnen gesprochen.

Sich Hilfe zu suchen, ist ein erster Schritt. / Quelle: Pixabay/Beispielbild

Viele Menschen auf der Welt kämpfen oft mit ihren Geistern. Der Einsamkeit, der Existenznot, der Angst zu verlieren oder zu versagen, der Trauer um geliebte Menschen oder sie wurden zutiefst verletzt. Es gibt viele Gründe, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Immer schon. Dazu hat es nicht Corona gebraucht, aber die Pandemie verstärkt unsere Ängste. Sie offenbart die Schwächen in unserer Gesellschaft.

Viele Menschen fühlen sich allein. Kein Wunder: Der Anteil der Single-Haushalte ist zwischen 1991 und 2019 von 34 Prozent auf 42 Prozent (17,6 Millionen Haushalte) gestiegen. Fast jeder oder jede dritte davon lebt in Orten unter 20.000 Einwohnern. Überdeutlich treten die daraus resultierenden Probleme jetzt in den Fokus. Wir haben uns mit der Theologin Birgit Zimmer vom Telefonseelsorge Rosenheim über die aktuelle Situation unterhalten.

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Einfach nur zuhören

“Auch vor der Pandemie haben sich viele Menschen an uns gewandt”, sagt Zimmer. “Doch seit der ersten Welle beobachten wir, dass es immer mehr werden, die sich per Mail, im Chat oder klassisch übers Telefon bei uns melden. Besonders ältere Frauen, die sehr unter der Einsamkeit leiden, haben verstärkt den Kontakt zu uns gesucht.”

Den Frauen biete man am Sorgentelefon die Möglichkeit, einfach nur zuzuhören. “Mehr braucht es oft gar nicht. Wir versuchen, ihnen Trost und ein wenig Hoffnung zu vermitteln”, fügt die Theologin hinzu, “das Gefühl, nicht ganz allein zu sein”. Auffällig sei aber, dass in der Generation der über Siebzigjährigen die Angst vor der Pandemie viel geringer sei als bei jüngeren Menschen.

“Oft hören wir am Telefon Aussagen wie: ‘Davor fürchte ich mich nicht, da habe ich schon viel Schlimmeres erlebt’ oder ‘Meine Rente war vor der Pandemie erbärmlich und wird es auch danach bleiben – daran ändert Corona nichts’.“ Es sei in erster Linie die Einsamkeit und die Sorge um Kinder und Enkel, die diese oft starken Frauen dazu bringen, das Sorgentelefon anzurufen.

Bei den 60- bis 79-Jährigen bilden Frauen mit rund 34 Prozent die größte Gruppe der Alleinlebenden. Ab einem Alter von 80 Jahren ist die Zahl der allein wohnenden Frauen fast viermal so hoch wie bei den Männern. Insgesamt lebten 2019 rund neun Millionen Frauen allein. (Zahlen des Statistisches Bundesamt)

Junge Single-Männer leiden mehr unter der aktuellen Situation

Seit dem ersten Lockdown kristallisiert sich jedoch eine ganz neue Gruppe aus der Masse der Ratsuchenden heraus. Junge Männer im Alter zwischen 20 und 39 Jahren. Eine stetig wachsende gesellschaftliche Gruppe. Allein in Deutschland ist die Zahl der alleinlebenden Männer zwischen 20 und 39 Jahren stark gestiegen. Jeder dritte der 8,4 Millionen alleinlebenden Männer gehört dieser Altersgruppe an. Fast die Hälfte davon lebt in Großstädten.

Das bestätigt auch die Rosenheimer Beraterin. Für die zumeist ehrenamtlichen Mitarbeiter sei es etwas Neues, dass so viele junge männliche Alleinstehende Unterstützung suchen. Vor Corona waren es laut interner Erhebungen der Beratungsstellen zumeist die Frauen. So berichtet Birgit Zimmer aus der täglichen Praxis:

Die jungen Männer sitzen allein, zumeist in den großen Städten, in ihren kleinen Wohnungen. Ohne Fitnesscenter, den Sport und die Treffen in den Kneipen und Clubs fühlen sie sich vollkommen isoliert von der Welt.

Die männlichen Singles befänden sich laut Zimmer oft nach dem Ende einer Beziehung zumeist in kleinen, anonymen Wohnsituationen. Viele Anrufer würden auch unter großen existentiellen Sorgen und damit einhergehenden Zukunftsängsten leiden. Das Fehlen von gefestigten sozialen Strukturen verstärke die scheinbare Aussichtslosigkeit, beschreibt Zimmer die Situation der Ratsuchenden. Diesem Druck fühle sich eine wachsende Zahl der Alleinlebenden nicht gewachsen. “Wir versuchen, ihnen im Gespräch die Ängste zu nehmen, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und praktische Hilfen an die Hand zu geben”.

Die letzten Tage 2020 werden eine Herausforderung

Die Zahl der hilfesuchenden Menschen steigt zudem zwischen Weihnachten und Silvester immer deutlich an. Das belegen alle Auswertungen der beratenden Vereine und Organisatoren. Vermehrt melden sich in dieser Zeit auch Opfer häuslicher Gewalt, verzweifelte Kinder, psychisch Kranke und Obdachlose. “Wir bereiten uns alle in diesem Jahr auf eine sehr große Nachfrage vor”, sagt Zimmer.

Das wird bestimmt ein Kraftakt. Aber wir sind gut vorbereitet und nehmen uns für jeden Menschen, der unsere Unterstützung sucht, viel Zeit.

Dennoch beobachtet Zimmer auch eine positive Entwicklung: Unter anderem aufgrund der Corona-Pandemie entscheiden sich aktuell viele Menschen dazu, anderen zu helfen. Der neue Ausbildungskurs im Januar sei jetzt schon fast ausgebucht, beendet die Theologin das Gespräch mit einem Lächeln.

Wenn euch zwischen den Jahren die Wände um die Ohren fliegen, ihr das Morgen nicht sehen und nicht aus der Spirale von düsteren Gedanken ausbrechen könnt: Nehmt euch die Zeit und den Mut, eine der Nummern anzurufen, zu chatten oder zu mailen. Es ist egal, was euch bedrückt, dort könnt ihr es einfach mal laut aussprechen oder aufschreiben. Sich Unterstützung zu suchen, ist ein erster Schritt.

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