Um es für all jene, deren Pulsschlag sich beim Blick in die Augen des Wesens auf dem Bild merklich beschleunigt hat, gleich vorwegzunehmen: In Bayerns Wäldern gibt es aktuell keine Wölfe. Das bestätigt Gerhart Zwirglmaier, stellvertretender Forstbetriebsleiter bei den Bayerischen Staatsforsten in Schliersee, auf Nachfrage der Tegernseer Stimme. Inzwischen gilt es als sicher, dass die tote Hirschkuh, die am 23. Januar in den Wäldern zwischen Kreuth und dem Sylvensteinspeicher gefunden wurde, von zwei Hunden gejagt worden ist.
„Es ist relativ selten, dass ein Hund ein erwachsenes Stück Wild reißt“, erklärt Zwirglmaier. Dass die Tiere zu zweit gewesen seien, habe die Aussicht auf den Jagderfolg stark erhöht. Allerdings bewegen sich Details zu dem Vorfall im Bereich der Spekulation. Da dies ein Einzelfall sei, so der Forstfachmann, sei aber anzunehmen, dass es sich hier nicht um Streuner gehandelt habe, sondern eher um temporäre Ausreißer mit „festem Wohnsitz“.
Märchen versus Realität
In diesem Fall ist also der Wolf als potentieller „Mörder“ auszuschließen. Doch ist er damit noch nicht wirklich rehabilitiert. Obwohl die Aufklärung über den scheuen Waldbewohner inzwischen Fortschritte macht, löst allein die Bezeichnung „Wolf“ bei vielen Menschen noch immer Ängste aus. Ein Wolf könnte in der Nähe sein? Rette sich, wer kann! Kein Wunder, lässt doch schon der Klang seines lyrischen Namens „Isegrim“ auf negative Wesenszüge schließen.
Auch in den gängigen Märchen ist er auf die Rolle des Bösen abonniert. In der Grimmschen Geschichte von Rotkäppchen frisst er zuerst die Großmutter und hat es danach auf deren Enkelin abgesehen. Dabei erweist er sich als listig und bösartig-schlau, um an sein Ziel zu gelangen. Diese und andere Geschichten aus Kindheitstagen – nicht zu vergessen die Legenden vom Werwolf – haben das Weltbild vieler Menschen mit geprägt und verursachen bis heute diffuse Ängste.
„Canis lupus“ – der gejagte Jäger
Dabei tun derlei Fantasiegeschichten den Urvätern der domestizierten Haushunde Unrecht. Wölfe als gefährliche Bestien darzustellen, die unberechenbar Menschen angreifen, ist schlichtweg falsch. „Canis lupus“ fällt zwar als sogenannter Beutegreifer in die Ordnung der Raubtiere, ist aber kein aggressiver Einzelgänger, dessen Lieblingsbeschäftigung das Töten ist.
Der Wolf lebt bevorzugt zurückgezogen im Kreis seiner Familie, also im Rudel, und zeigt dort ein ausgeprägtes Sozialverhalten. Freilebend wird er – ähnlich wie sein Verwandter, der Haushund – etwa zehn bis dreizehn Jahre alt. Im Unterschied zu seinem domestizierten Verwandten meidet er aber den Menschen.
Bis zur Entwicklung der menschlichen Land- und Weidewirtschaft war „Isegrim“ das am weitesten verbreitete Raubtier der Erde. Da er bei seiner Beuteauswahl zwischen freilaufendem Wild und eingezäunten Nutztieren keinen Unterschied machte, erklärte der Mensch ihn zum Feind. Besonders in Nordamerika und Westeuropa galt seine Art daher lange Zeit als nahezu ausgerottet. Heutzutage ist der Wolf streng geschützt.
Die gängige Verknüpfung vom „bösen Wolf im dunklen Wald“ ist ebenfalls auf die Verfolgung durch den Menschen zurückzuführen. Eigentlich bewohnen die Tiere auch Grasland und sogar Wüsten, doch in den letzten Jahrzehnten wurden sie in die Wälder zurückgedrängt. Momentan sind größere Populationen unter anderem in Osteuropa, Kanada, Sibirien und der Mongolei bekannt.
Und obwohl sich die Bestände auch in Europa langsam erholen, ist ein Comeback des Wolfs in unseren Breiten laut Gerhart Zwirglmaier vorerst nicht absehbar – womit auch die Wahrscheinlichkeit, einen Wolf in den Wäldern des Tegernseer Tals zu entdecken, derzeit gen Null tendiert.
SOCIAL MEDIA SEITEN