Die 81-jährige Martha K. starb an den Folgen eines Medikamentencocktails. Wie genau die Pflegerin, eine gebürtige Ungarin, daran beteiligt war, bleibt im Dunklen. Am Ende lautet das Urteil ein Jahr und sechs Monate auf Bewährung wegen Unterschlagung und Medikamentenmissbrauch. Die Angeklagte zeigte derweil Reue.
Dass die Rentnerin wirklich Selbstmord begangen hatte, bezweifelte die Polizei anfangs. Verschiedene Ungereimtheiten hatten die Beamten nach der Todesmeldung stutzig gemacht. Nach monatelangen Ermittlungen der Kripo und umfangreichen Analysen der Rechtsmedizin war man zu dem Ergebnis gekommen, dass die Rentnerin getötet worden sein musste. Der Verdacht fiel auf die Pflegerin.
Doch der Prozess bestand aus einem reinen Indizienverfahren. Am Donnerstag, den 9. Januar, hatte der erste Verhandlungstag gegen Andrea T. begonnen, die im März vergangenen Jahres in Untersuchungshaft gekommen war. Selbstbewusst saß die 42-Jährige auf der Anklagebank, als die Staatsanwaltschaft den Tathergang aus ihrer Sicht schilderte.
Staatsanwalt schildert Tathergang
Seit Oktober 2011 hatte die Seniorin das Appartement im zweiten Stock des Kreuther Pflegeheims bewohnt. Die Vorgeschichte – zwei Suizidversuche und Stimmungsschwankungen der 81-Jährigen – gingen auch an ihrer Pflegerin Andrea T. nicht vorbei. Kurz vor dem Tod der Frau hatte sie offenbar Schmuck von ihr angenommen, obwohl sie ihn nicht hätte annehmen dürfen – die Rentnerin stand zu dem Zeitpunkt bereits unter gesetzlicher Betreuung. Kripo-Beamte entdeckten die Schmuckstücke später in der Wohnung der Verdächtigen.
Um Ohrclips, Armreifen und Ringe behalten zu können, soll die damals 41-Jährige über ihren Lebensgefährten, einen ungarischen Arzt, einen tödlichen Medikamentencocktail beschafft und ihn der lebensmüden Seniorin – ohne deren Wissen – in eine Saftflasche gemischt haben. Zuerst stellte sie den Cocktail ans Bett, in der Hoffnung, sie würde ihn freiwillig trinken. Als sie am nächsten Tag registrierte, dass die Rentnerin noch lebte, zwang sie diese durch Zuhalten der Nase, das Gebräu zu trinken. Dann ging sie eine Stunde schwimmen und kehrte zurück, um den Tod der Frau festzustellen. So lautete zumindest die Darstellung der Staatsanwaltschaft zu den Vorkommnissen vom 27. Mai 2012.
Die Geschichte der Pflegerin
Am ersten Verhandlungstag erzählte auch Andrea T. ihre Geschichte, in der die Seniorin sich selbst das Leben genommen haben soll. Eine Zeitlang, nachdem sie sie zu pflegen begann, hätte die Seniorin den Eindruck erweckt, dass es ihr gemütsmäßig besser gehe, doch das änderte sich bald. Offenbar hatte sie Angst, die beginnende Demenz könnte sich verschlimmern. Über Monate hinweg schmiedete die Seniorin einen Plan, aus dem Leben zu scheiden. Doch davon wusste nur Andrea T.
Die Rentnerin hatte sich für ihren Freitod von einem Dritten Medikamente besorgt. Jetzt erwartete sie von der Pflegerin Hilfe für eine „sichere Anwendung“. Andrea T. fuhr zu ihrem Lebensgefährten, einen ungarischen Arzt, und besorgte dort Betäubungsmittel.
Tage vor dem eigentlichen Freitod „übte“ die Lebensmüde, ob sie die in Saft aufgelösten Tabletten geschmacklich hinunterschlucken kann. Am Tag ihres Todes half ihr Andrea T. dann gegen 15 Uhr beim Einfüllen der „echten“ Schlaftabletten in Flaschen. Zerreiben wollte die Lebensmüde die Medikamente selber. Dann verabschiedete sie sich und fuhr nach Hause. Später kehrte die Betreuerin zurück, um den Tod der 81-Jährigen festzustellen und zu melden.
Der Verlauf des Prozesses
An den Verhandlungstagen kamen Kollegen beziehungsweise Vorgesetzte aus der Einrichtung bei Gericht zu Wort. Auch der polnische Kollege der Pflegerin wurde vernommen. Doch der 38-Jährige verfängt sich in Widersprüche. Staatsanwaltschaft und Richter nahmen daraufhin an, er wolle die Angeklagte schützen.
Auch Zeugen, die die Tote als vermögende, großzügige Dame beschreiben, kamen zu Wort. Ein Schreiner beschrieb die Beziehung zur älteren Dame als Freundschaft ohne viele Worte. Zwar bemerkte er Stimmungsschwankungen, von Selbstmordgedanken jedoch habe er nichts mitbekommen. Eine weitere Freundin weiß davon, dass die 81-Jährige den Wunsch hatte, zu sterben.
Aus Mord wird Unterschlagung
Am heutigen letzten Prozesstag wurde schließlich das Urteil gegen Andrea T. verkündet. Die Richter um den Vorsitzenden Martin Rieder sprachen die Angeklagte vom Mord an ihrem Schützling frei. Die Pflegerin hatte stets behauptet, mit dem Ableben der Frau nichts zu tun zu haben. In der Hauptverhandlung wurde nach und nach klar, dass sich die Lebensmüde nicht jedem mit ihrem Todeswunsch anvertraut hatte, weil sie die Befürchtung hatte, dann in eine geschlossene Anstalt eingeliefert zu werden. Zu ihrer Pflegerin hatte sie ein vertrautes Verhältnis.
Grundsätzlich folgten die Richter der Argumentation und Bewertung des Staatsanwalts. So auch in dem Umstand, dass die beiden Verletzungen an Nase beziehungsweise Lippe der Verletzten sowohl eine direkte Einwirkung der Angeklagten als auch eine alleinige Einwirkung der Toten nicht beweisbar sind. Lediglich das Strafmaß sahen sie um vier Monate geringer als Staatsanwalt Florian Gliwitzky mit einem Jahr und zehn Monaten. Als Tatbestand sah der Richter am Ende nur den Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz sowie Unterschlagung.
Gliwitzky hatte vorher in seinem Plädoyer die Tatbestände erläutert. Der Staatsanwalt war der Ansicht, dass sich die Angeklagte durch Mithilfe zum Suizid schuldig gemacht hatte, weil diese der Rentnerin das Betäubungsmittel Lidocain über ihren Lebensgefährten, den ungarischen Arzt Dr. A., verschafft hatte. Deshalb sah er auch den Tatbestand des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz gegeben.
Es gibt starke Indizien, dass die Angeklagte tatkräftig mitgeholfen hat.
Der zweite Tatbestand – Unterschlagung – ergibt sich daraus, dass die Schenkung des Schmucks als unwirksam anzusehen sei, da Martha K. bereits unter Betreuung stand und der Vormund hätte zustimmen müssen. Es sei, so Gliwitzky weiter, von einem Wert von 2.500 Euro (Materialwert) beziehungsweise 10.000 Euro (Wiederbeschaffungswert) auszugehen. Die Angeklagte hatte dabei versucht, den Besitz des Schmucks zu verschleiern.
Im Falle der Anklage des Mordes plädierte der Staatsanwalt auf Freispruch. Er sei „zwar überzeugt, dass sie es getan hat“. Man könne jedoch nicht rekonstruieren, was damals hinter den Türen im Appartement von Martha K. genau passiert sei. Es gäbe auch gewisse Indizien, dass nachgeholfen wurde, beispielsweise die beiden Wunden an Nase und Lippe. Doch auch der Suizidwunsch der Rentnerin sei gleichzeitig nachgewiesen. Also müsse man zugunsten der Angeklagten handeln.
Ich gehe nach wie vor davon aus, dass die Verletzung am Tattag entstanden ist. Nichtsdestotrotz ist das ein Punkt, der nicht so entscheidend ist. Die Frage der Suizidneigung ist relevanter. Man muss es zugunsten der Angestellten sehen.
Ein Recht auf Suizid sieht die Staatsanwalt auf jeden Fall nicht. Wenn man feststelle, dass jemand suizidgefährdet sei, müsse man verhindern, dass der Suizid auch ausgeführt werde. Dann könne etwa eine Einweisung in eine geschlossene Abteilung erfolgen. Was bleibt, ist die Frage:
Wie ist das zu werten, wenn jemand einen solchen Suizidwunsch fördert?
Verteidiger Andreas von Mariassy stimmte beim Freispruch mit dem Staatsanwalt überein, jedoch plädierte er auf strafmildernde Wirkung, was das Strafmaß anbelangt. In Sachen Unterschlagung sei es so gewesen, dass Frau K. sehr unwirsch gewesen sei, wenn man Geschenke nicht annahm. Beim Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz sei Andrea T. dem steten Drängen der Seniorin erlegen.
Die Angeklagte wirkte zum Prozessende nachdenklich und äußerlich mitgenommen. Ihre Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Die Untersuchungshaft von elf Monaten gilt als verbüßt. In Deutschland gilt Andrea T. nun als vorbestraft. In ihren Schlussworten entschuldigte sie sich für ihr Handeln:
Es tut mir leid, dass die Sache solche Ausmaße angenommen hat und ich in dieser Weise dazu beigetragen habe.
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