"Die Lage ist äußerst kritisch, wir brauchen sofortige Unterstützung 'von oben'"
Landrat von Löwis fordert Innenminister heraus

Über Monate war er der Prügelknabe für die Migrationspolitik. Bürger bedrohten den Landrat Olaf von Löwis auf einer Info-Veranstaltung in Warngau. Löwis bat die Gemeinden im Landkreis um Hilfe. Immer wieder. Nichts passierte: Jetzt hat er genug …

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Angesichts der zunehmend schwierigen Lage bei der Unterbringung von Geflüchteten im Landkreis Miesbach wendet sich das Landratsamt nun direkt an die Öffentlichkeit. / Foto: Redaktion

Mit einem Brandbrief an den Innenminister Bayerns will Landrat von Löwis Druck machen. Wir veröffentlichen seinen Brief im Wortlaut. Nur die Forderungen haben wir in Fett hervorgehoben.

Brief von Olaf von Löwis an Bayerischen Innenminister

Sehr geehrter Herr Staatsminister, lieber Joachim,

mein Kollege Josef Niedermaier aus Bad Tölz scheitert immer wieder vor Gericht bei dem Versuch, Geflüchtete in seinem Landkreis unterzubringen. Nach Greiling hat nun auch Bad Tölz vor Gericht Recht bekommen, und es ist absehbar, dass auch Dietramszell klagen wird. Das bereitet mir große Sorgen.

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Wie sollen wir weiterhin geeignete Unterkünfte akquirieren und errichten, wenn uns ständig die Gefahr droht, vor Gericht ausgebremst zu werden? Im Landkreis Miesbach werden unsere Bemühungen von vielen betroffenen Kommunen massiv behindert. Erst Hausham, dann Warngau und nun auch Waakirchen, Fischbachau und Schliersee – überall wird versucht, die Errichtung von Unterkünften mit allen rechtlichen Mitteln zu verhindern. Insbesondere bei privaten Anbietern führt diese kritische Haltung häufig zum Rückzug. Wir werden von vielen privaten Anbietern sogar gebeten, ihr Angebot so lange wie möglich vertraulich zu behandeln, also die Rathäuser nicht zu informieren.

Inzwischen bin ich überzeugt, dass die Quotierung der Geflüchteten auf die Landkreise nicht die erhoffte Gerechtigkeit bringt. Die Voraussetzungen und Möglichkeiten unterscheiden sich von Landkreis zu Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt. Dass trotzdem die Solidarität unter den Landrätinnen und Landräten so groß bleibt, ist wirklich bemerkens- ja lobenswert.

Ein ungelöstes Problem bleibt die Unterbringung der sogenannten Fehlbeleger. Wenn diese nicht weiterhin in den Unterkünften bleiben müssten, hätten wir diese Plätze für die laufenden Zuweisungen zur Verfügung. Aber die Rechtslage und die Urteile helfen den Landkreisen nicht. Für die Fehlbeleger ist es bei uns praktisch unmöglich, eigenständig eine Wohnung auf dem freien Markt zu finden – die Situation in unserem Landkreis und im gesamten Einzugsgebiet der Metropolregion München ist bekannt.

Wir stehen in der Pflicht, alle Geflüchteten, inklusive der Fehlbeleger, unterzubringen, verfügen aber über keine Instrumente, um diese Verpflichtung gegenüber den kreiseigenen Kommunen durchzusetzen. Hier muss sich dringend etwas ändern! Zwar versichern uns die Kommunen ihr Verständnis, doch zeigen einige eher aufeinander, anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen. Der Heilige Sankt Florian wird selten so intensiv bemüht wie heute.

Die Lage ist äußerst kritisch, wir brauchen sofortige Unterstützung „von oben“, wie z. B.:

  • Bestehende Ankerzentren müssen schnell und deutlich erweitert und neue zügig errichtet werden. Ich weiß, ihr arbeitet daran und spürt selbst, wie schwierig es ist.
  • Eine rechtlich abgesicherte Möglichkeit, die Fehlbeleger (z.B. aus den Turnhallen einer Kommune) in mehrere Kommunen verteilen zu dürfen, ist zwingend notwendig. Die bisherige „Mitwirkungspflicht“ der Gemeinden reicht nicht aus.
  • Spezielle Herausforderungen, wie etwa die „Räumung“ der Turnhallen, müssen unbürokratisch unterstützt werden, indem bis dahin alle Zuweisungen ausgesetzt werden.
  • Darüber hinaus bin ich der Fürsorge gegenüber unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verpflichtet, insbesondere in den Fachbereichen 21 Ausländer- und Asylangelegenheiten sowie 41 Arbeit und Soziales. Die kaum noch zu bewältigende Unterbringungssituation belastet auch weitere Bereiche, wie Bauamt, Gebäudemanagement, Kindertagesbetreuung, Schulverwaltung und Gesundheitswesen. Wie sollen wir angesichts dieser schwierigen Arbeitssituation offene Stellen überhaupt noch besetzen? Unsere Pressestelle ist ebenfalls extrem gefordert. Die Anzahl der Überstunden ist mittlerweile so hoch, dass ein einfacher Zeitausgleich keine Lösung mehr ist.

Krisenmanagement gehört zum politischen Alltag. Doch was mich besonders nachdenklich stimmt, sind die persönlichen Anfeindungen, denen ich ausgesetzt bin: „Selber schuld“ und „Augen auf bei der Berufswahl!“ sind Kommentare, die ich immer wieder höre. Man beschimpft mich als „verlängerten Arm der Bundesregierung“, der schon während der Corona-Zeit als williger Erfüllungsgehilfe der Bundes- und Staatsregierung agierte. Ein Handwerker verweigerte uns private Aufträge, weil ich ihn „ausgesperrt habe“. Meine Familie wird bedroht, weil ich die Geflüchteten im Landkreis unterbringen muss: „Wir wissen, wo du wohnst.“ Jedes Mal, wenn ich über persönliche Anfeindungen berichte, werde ich von vielen verhöhnt, aber das ist mir mittlerweile egal.

Ich bin jedoch enttäuscht, dass unsere „Berichte von der Front“ bestenfalls mit verständnisvollen Worten und Durchhalteparolen kommentiert werden. Es hilft mir nicht, wenn ich bedauert werde (und ich will es auch nicht) – oft höre ich: „Ich möchte gerade nicht Landrat sein …“.

Meine Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern sowie mit Kommunalpolitikern hinterlassen mich oft ratlos. Die Öffentlichkeit kennt weder die Zuständigkeiten eines Landratsamtes bzw. eines Landrates, noch die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bei der Unterbringung von Geflüchteten. Möglicherweise besteht bei vielen gar kein Interesse an irgendwelchen Zuständigkeiten! Daher richtet sich häufig ihr Unmut pauschal gegen die „Boten“ – in diesem Fall also die Landrätin oder den Landrat oder die Bürgermeister.

Viele Bürgerinnen und Bürger erwarten von mir, ja fordern mich gerade dazu auf, die Aufnahme der zugewiesenen Flüchtlinge zu verweigern – evtl. dienstrechtliche Folgen habe ich gefälligst zu ertragen!

Um den Menschen in unserer Region zu zeigen, dass ich nicht nur mit unseren Kommunen um Lösungen für die Unterbringung der Geflüchteten ringe, werde ich diese Mitteilung in den kommenden Tagen an die Presse geben. Ich hoffe, dass eine dringend notwendige Transparenz dazu beiträgt, Verschwörungstheorien entgegenzuwirken, die Menschen besser zu informieren, Vertrauen zu schaffen und einen respektvolleren Umgang mit den Entscheidungsträgern zu fördern.

Mit diesem Schreiben möchte ich Dich herzlich bitten, auch die Rahmenbedingungen in Bayern zu prüfen (vgl. die Rechtslage in NRW). So darf es nicht weitergehen!

Ich habe in diesem Schreiben darauf verzichtet, die inzwischen allgemein bekannten und dringenden Forderungen an die Bundesregierung und die EU für eine Verbesserung der Flüchtlingslage explizit zu wiederholen. Das alles dauert dort viel zu lange; in Bayern sind wir doch besser!

Danke für die stets vertrauensvolle Zusammenarbeit und Dein Verständnis!

Mit den besten Grüßen
Dein Olaf von Löwis of Menar


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