Tegernseer Bergwelt:
Langschläfer-König der Lüfte

Ein Alpenbewohner der besonderen Art und eines der treuesten Tiere in unserer Bergwelt: der Steinadler. Auf der Suche nach dem beeindruckenden Greifvogel in Begleitung des Wanderführers Toni Wackersberger.

Nur sehr selten am Himmel zu erspähen: der Steinadler vom Wallberg. Foto: Andreas Kolbinger

Wir haben uns gestern mit dem „Tegernseer Urgestein“, dem Heimatführer Toni Wackersberger, getroffen. Wir wandern mit ihm ins Suttengebiet. Toni, über Generationen im Tal verwurzelt, ist Experte für Natur und Geschichte des Tegernseer Tals. Er kennt die Tegernseer Berge und alles, was dazu gehört. Und man merkt, dass sein Herz und Hirn an der Region hängen, denn er führt hier seit über 15 Jahren heimatkundliche Wanderungen durch. Organisiert werden die Wanderungen vom Tegernsee Tal Tourismus.

Heute sind 15 Touristinnen und Touristen aus ganz Deutschland mit dabei. Die Exkursion beginnt in Rottach und wir fahren gemeinsam mit dem Bus zur Sutten hoch. An der Winterstube, kurz unterhalb der Monialm, steigen wir aus und Toni gibt uns einen ersten Überblick zum Alpenbewohner. 

Die Wandergruppe auf dem Weg zum Suttensee. Foto: Birgit Posselt

“Im gesamten Alpenraum von der Schweiz runter bis in die Karawanken gibt es ungefähr 1200 Paare, wobei auf den bayerischen Alpenraum circa 45 Paare fallen. Und bei uns im Mangfallgebirge, des is zwischen Isar und Inn, wir haben da sechs Paare oder Reviere. Und bei uns is des erste Revier, drüben in Bad Wiessee Söllbach/Kampen, nächstes Revier is Langenau in den Blaubergen, des andere Gebiet is Wallberg und dann gehma nüba zur Rotwand sowie Wendelstoa und Traithen. Die Reviergröße is imma abhängig vom Nahrungsangebot. Je mehr Nahrung da is, um so kleiner is des Revier oder umgekehrt“, erklärt Toni, bevor wir leicht ansteigend in Richtung Suttensee spazieren.

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Mit etwas Glück kann man ihn kreisen sehen, führt er aus. Alle sind sehr gespannt. Das Wetter ist perfekt, spätsommerlich warm und azurblauer, fast wolkenloser Himmel. Voraussetzungen für eine gute Thermik sind gegeben. Doch wann fliegt er jetzt, der Steinadler?

Die Big Five des Alpenraums

Der Steinadler gehört zu den ‘Big Five’ der Alpen, neben Steinbock, Gams, Murmeltier sowie dem Bartgeier. Majestätisch kreist er mit einer Flügelspannweite von circa zwei Metern über den Berggipfeln und sucht nach Nahrung. Sein Flug ist sehr geschickt, er segelt und gleitet. Nur wenige Flügelschläge braucht er, um in der Luft zu bleiben. Als sehr zuverlässiger Thermikanzeiger schätzen ihn vor allem auch seine Flugkollegen: die Gleitschirm- und Drachenpiloten. 

Steckbrief Steinadler

Wissenschaftlicher Name: Aquila chrysaetos
Symbol: Der Steinadler steht sinnbildlich für Stärke, Entschlossenheit und Weitblick sowie Freiheit. In der Geschichte wurde der Adler als Wappentier bereits bei den Germanen genutzt. Er gilt bis heute als Machtsymbol.
Historie: Am Ende des 19. Jahrhunderts war der Steinadler fast ausgerottet, aber durch Schutzmaßnahmen hat sich der Bestand wieder erholt. 
Gattung: Der Steinadler zählt zu den Greifvögeln und gehört zur Familie der Habichtartigen in die Gattung der echten Adler. Seine nächsten Verwandten sind Schreiadler, Schelladler, Kaiseradler und Steppenadler.
Alter: bis 20 Jahre, in Gefangenschaft bis zu 50 Jahre.
Flügelspannweite: Männchen 200 cm, Weibchen 230 -240 cm.
Gewicht: 4 bis 6 kg.
Aussehen: Schmale, brettartige Flügel, mit geschwungenem Hinterrand, Jungvögel haben einen weißen Schwanz.
Farbe: dunkelbraunes Federkleid.
Lebensraum: Horste (der Name kommt aus dem Althochdeutsch und bedeutet Gestrüpp bzw. Dickicht), gebaut in Felsnischen, Jagdgebiete in darüber liegenden (halb-) offenen Hängen im gesamten Alpenraum.
Paarung: Adler bleiben ein Leben lang zusammen.
Balzzeit: Januar – März.
Brutzeit: März – Mai.
Nahrung: Murmeltiere, Gamskitze, andere Säuger, Raufußhühner, selten Schlangen.
Sehvermögen: Er sieht dreimal so scharf, wie wir Menschen. Ein strategischer Vorteil bei der Jagd.

Vor zehn Uhr lässt sich der Steinadler meistens nicht blicken, erklärt uns Toni. Er ist tendenziell ein „Langschläfer“, denn vor zehn Uhr gibt es meistens keine Thermik. Unser “Adlerblick” geht dennoch immer wieder zum blauen Himmel. Nur blau zu sehen. Kein Adler. Zwei Kolkraben über uns. Einen Eichelhäher – die Waldpolizei –, den erspähen wir und vor allem ist er nicht zu überhören.

Interessierte Wandergruppe in der Sutten unterwegs. Alle blicken immer wieder nach oben. Wo ist er? Schläft er noch? Foto: Birgit Posselt

Berühmt ist der Steinadler nicht nur für seine Flugkünste, sondern auch für seinen stechenden Blick. Aus der Entfernung von 300 Metern erkennt er noch eine Maus! Kurioserweise ist das Weibchen circa 40 cm größer als das Männchen; eher ungewöhnlich, aber biologisch erklärbar. Die größere Flügelspannweite ermöglicht der Steinadlerin ein besseres Ausbrüten der Eier. Vor allem braucht sie Kraft, um sich mit dem aggressiven Balzverhalten des Männchens klarzukommen. Durch ihre Größe kann sie sich besser wehren.

Lebenslange Treue und der Nachwuchs

Ein Steinadlerpaar bleibt lebenslang zusammen. Wenn ein Elternteil stirbt, sucht sich der andere Elternteil nach circa einem Jahr einen neuen Partner. Doch die Erhaltung der Population ist kein einfaches Unterfangen. Die Jugendsterblichkeit von Adlern liegt bei 65 Prozent. In der Realität überlebt stets nur ein Adlerjunges. Warum?

“Ende März legt das Adlerweibchen zwoi Eier im Abstand von drei bis vier Tagen und so werds auch bebrütet. Warum zwei Eier? Es konn ja oins blind sei, des hoißt, des is ned befruchtet und da is no a zwoits da “, so Toni. Von Januar bis Ende März ist Balzzeit, und die Greifvögel vollziehen ihre Balz-Flugkünste. Mit dem Brüten ist der Steinadler früh dran im Jahr und brütet circa 45 Tage.

Danach erfolgt das Überleben nach dem Darwin-Prinzip: Entweder wirft das ältere Tier das jüngere Geschwisterchen aus dem Nest oder die Adlermutter selbst. Sie konzentriert sich darauf, eines der Tiere immer zuerst zu füttern. „Des zwoite verhungert eigentlich imma”, sagt Toni, denn die Nahrung würde nicht für beide reichen. So sichert die Adlermutter-Natur das Überleben wenigstens eines Tieres. Bis der Greifvogel wieder balzt und brütet, vergehen vier oder fünf Jahre. Jetzt können wir nachvollziehen, wie schwierig das mit dem Adlernachwuchs in der Praxis ist.

Horst: das Zuhause des Adlers

Nicht umsonst gibt sich der Steinadler sehr viel Mühe mit dem Nestbau. Meistens befindet sich die “Wohnung” des Steinadlers unter einer Felsnische, denn da sind die Tiere vor Regen geschützt. In der Regel hat ein Pärchen zwei bis drei Horste, die es abwechselnd nützt. Toni erläutert: “Des is ein sogenannter Wechselhorst”. Die Nester werden also abwechselnd bewohnt, damit sie sich im Lauf der Zeit von den Parasiten befreien.

Die meisten Standorte der Nester liegen auf einer Höhenlage zwischen 1.000 und 1.200 Metern Höhe, also recht niedrig. Sie müssen unterhalb des Jagdreviers liegen, weil die Beute des Steinadlers oft so groß und schwer ausfällt, dass er sie zwar anheben, aber nicht mehr hinauffliegen kann. Der Greifvogel kann sein Eigengewicht fangen, erläutert unser Experte. Gefressen wird an sich nur Frischfleisch, es sei denn, es gibt einen Engpass im Nahrungsangebot, dann frisst der Steinadler auch Aas.

Doch auf meine Frage, wo hier bei uns die Horste liegen, kommt von Toni die Antwort: “Das wissen am ehesten die Gleitschirmflieger bei uns. Des is a Geheimnis”. Während der Brutzeit darf im Radius von 500 Metern keine Störung stattfinden, denn darauf reagiert der Adler sehr sensibel. Daher dürfen in dieser Zeit keine Hubschrauberflüge oder Gleitschirmflüge stattfinden. 

Der Girlandenflug des Steinadlers

Steinadler zeigen ihre „Bitte-nicht-stören“-Brutzeit meist durch auffälligen Girlandenflug an. Dabei lassen sich die Adler immer wieder nach unten fallen und steigen danach wieder auf ; ganz ähnlich einem Wellenflug. Optisch eher ein Kunstflug, gemeint ist dies jedoch als Warnung: Er signalisiert damit eindeutig, dass derjenige, der sich ihm nähert, abdrehen soll oder eine andere Gefahr für ihn droht. Dies kann ein Gleitschirmflieger, ein Hubschrauber oder auch ein Adler aus dem anderen Revier sein. „Inzwischen haben sich die Steinadler scho dran gwohnt, an die Gleitschirmflieger bzw. Segelflieger“, bemerkt er.

Toni erzählt auf unserer Tour immer wieder zwischendurch historisches über das Tal oder erklärt naturkundliche Raritäten. Er möchte gerne nicht nur den Touristen, sondern auch Einheimischen eine Achtsamkeit im Umgang mit der Natur und ihren Lebewesen vermitteln. Man spürt, dass ihm der Steinadler ans Herz gewachsen ist. Der Steinadler soll auch in hier im Tal in Zukunft seinen Nachwuchs großziehen können. Auf die Frage, was denn persönlich für ihn der Steinadler bedeutet, antwortet er: „Der g’hört hoit zu meina Heimoat!” 

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