„Ano 1907 und 8“ erbaute der Münchner Architekt Gabriel von Seidl in Kreuth eine Villa im Auftrag von Alexandrine „Sascha“ Gräfin von Schlippenbach. Einhundert Jahre später richtete das Sozialwerk Heuser dort eine Seniorenresidenz ein und letztes Jahr tauchte in einem Wiener Antiquariat ein sensationeller Fund auf: das Gästebuch der Villa Bruneck. Die Einträge aus den Jahren 1908 bis 1938 zeichnen ein Bild hochrangiger Gäste aus Politik, Adel, Kunst und Wirtschaft nach. Sie belegen die historische Bedeutung der Villa.
Alexandrine „Sascha“ Gräfin von Schlippenbach war mit 30 Jahren bereits verwitwet, als sie in Berlin einen politischen Salon führte, in dem sich zahlreiche prominente Herren und Damen trafen. Bei zwei Kuraufenthalten in Wildbad Kreuth verliebte sich die Gräfin sich in den ruhigen Flecken bayerischer Natur. Anders als die meisten betuchten Sommerfrischler, so Edmund Schimeta vom Museum Tegernseer Tal, ließ sie sich jedoch nicht in Tegernsee oder Egern „mit Seeblick“ nieder, sondern inmitten der stillen Idylle Kreuths.
Salon mit Blick auf die Blauberge
Sie beauftragte den als Vertreter des Historismus und Heimatstils bekannten Architekten Gabriel von Seidl mit dem Bau einer Villa. Diese stellte sie nach Fertigstellung in den Sommermonaten auch den Gästen ihres Berliner Salons zu Verfügung. Es wurden dort aber keineswegs rauschende Feste gefeiert, sondern der Salon mit Klaviermusik und Blick auf die Blauberge weitergeführt.
Irene und Johannes Heuser, die Inhaber der heutigen Seniorenresidenz „Villa Bruneck“, wussten um die Geschichte des Hauses, als sie es 2007 erwarben. Dass in der Villa aber einst derart viele Prominente, Adelsgeschlechter und Politiker ein und aus gingen, überraschte sie trotzdem. Einen richtigen Schatz hätten sie mit dem Gästebuch gehoben, so Johannes Heuser stolz bei der Präsentation. Entdeckt hatte diesen Schatz zufällig die ehemalige Mitarbeiterin und eng mit dem Haus verbundene Nachbarin Gabriele Reich im Internet, woraufhin Johannes Heuser das Gästebuch von einem Wiener Antiquariat Ende letzten Jahres schließlich käuflich erwarb.
Unlängst eröffneten Irene und Johannes Heuser nun eine Ausstellung in der „Villa Bruneck“ und gewährten damit erste Einblicke in das historisch interessante Gästebuch. Unterstützung in der Auswertung und zeitlichen Einordnung der alten, teils in Sütterlinschrift verfassten Einträge bekamen sie vom Museum Tegernseer Tal. Museumsleiter Edmund Schimeta und Hans Geier hielten bei der Ausstellungseröffnung einen interessanten und kurzweiligen Vortrag über die Entstehung des Hauses und seine Hausherrin.
Salonière und Wohltäterin
Alexandrine „Sascha“ Gräfin von Schlippenbach war demnach nicht nur „Salonière“, sondern auch Wohltäterin und schließlich Ehrenbürgerin von Kreuth. Während des 1. Weltkrieges stellte sie ihr Haus Feldlazarett-Krankenschwestern für Erholungszwecke zur Verfügung. Später beherbergte sie Evakuierte und Heimatvertriebene. Unter den prominenten Gästen der Villa weilten etwa der preußische Regierungspräsident Walther von Miquel, der Komponist Hans von Vignau, seine Exzellenz, der Reichspräsident Paul von Hindenburg, Marion Gräfin Dönhoff sowie Franz Joseph Prinz von Thurn und Taxis. Auch die einheimische Prominenz kam vorbei: Ludwig Thoma und Kiem Pauli. Beide verewigten sich allerdings gänzlich schnörkellos im Gästebuch – nur mit ihren Namen.
Welche Wirkung die idyllische Kreuther Landschaft mit Blick auf die Blauberge auf die Gäste von auswärts ausübte, lässt sich unschwer nachvollziehen. In Prosa, zahlreichen Zeichnungen, Fotografien, Gedichten und sogar in Notenpartituren bedankten sie sich bei ihrer Gastgeberin. Das in edles Leder eingebundene Buch wurde vom Architekten selbst mit einer Skizze der Villa samt vierzeiliger Widmung eröffnet: „Viel Freud‘ hat mir der Bau gemacht …“, schrieb Gabriel von Seidl, seit 1900 aufgrund seiner Verdienste Ritter von Seidl, nieder. Das Gästebuch ist jetzt in einer schützenden Vitrine untergebracht und Auszüge können in Form von Kopien betrachtet werden. Diese sollen künftig einen Platz im „Kunsttunnel“ finden, der die alte Villa mit dem Haupthaus der Seniorenresidenz verbindet.
Salon-Idee lebt weiter
Viel Freude hätte Gräfin von Schlippenbach sicherlich daran, wie mit Irene Heuser in ihrer einstigen Villa Kunst, Musik und Literatur weiterleben. Die Inhaberin der Seniorenresidenz und sechs weiterer therapeutischer Einrichtungen des Sozialwerk Heuser in Bayern und Thüringen ist selbst Künstlerin und Kunsttherapeutin und hat die Villa liebevoll mit Kunst und Antiquitäten eingerichtet.
Unter anderem gibt es zwei Flügel, auf denen die Hausbewohner spielen, aber auch Musiker Konzerte geben. So sind die Seniorinnen und Senioren stets umgeben von Kunst und kunsthandwerklichen Gegenständen, welche die Sinne anregen und die Synapsen zum Schwingen bringen. Sie können im hauseigenen Atelier selbst kreativ werden und jeden Samstag gibt es eine Lesung in der Bibliothek, dem „Roten Salon“. Auch der „Gräfin Schlippenbach Salon“ erinnert an die Vorbesitzerin. Mit ihrem Tod im Jahr 1938 hatte die Zeit der politischen Salons in Bruneck ihr jähes Ende gefunden und damit auch das Gästebuch, das danach über Jahrzehnte verschollen war.
„Lebewohl geliebtes Kreuth, schweren Herzens muss ich scheiden. Tausend Dank für all die Freuden, die du liebend mir beschert und mir so viel Freud gewährt. Denken werd‘ ich oft zurück an Bruneck und all sein Glück.“ Dieser Auszug aus dem Gästebuch mag auch heute noch vielen Bewohnern der Villa Bruneck und ihren Gästen aus dem Herzen sprechen. Das Andenken der Gräfin wird jedenfalls hochgehalten – das Gästebuch hat neue Facetten der Hausgeschichte ans Licht gebracht.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im Online-Magazin KulturVision, am 09.11.2023 | Ein Beitrag von Ines Wagner.
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