Die Probleme fangen schon beim Parken an. Bärbel Sokat und Anne-Marie Hackl stehen auf den Behindertenparkplätzen hinter dem Kulturzentrum. Sie sind glücklich, dass die Parkplätze frei sind. Denn wenn beide Behindertenparkplätze besetzt sind, sei es einfach zu eng. Außerdem werde das mühselige Prozedere des Aussteigens erschwert, weil die Fläche schräg ist.
Das Aussteigen ist geschafft. Ziel ist der Marktplatz. Ich schiebe Sebastian Hackl, der seit seinem Motorradunfall 2007 an einem Schädel-Hirn-Trauma leidet, in seinem Rollstuhl am Kulturhaus im Oberbräu entlang. Doch das ist gar nicht so einfach. „Das Ruckeln des Rollstuhls ist nicht nur unangenehm und anstrengend, sondern auch gefährlich, weil man mit den Rädern hängen bleiben kann“, erklärt Johann Numberger, seit Dezember 2010 ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter für Holzkirchen. „Deshalb fordern wir, dass das Kopfsteinpflaster seltener verbaut wird“, erläutert er.
Abenteuer Selbstversuch
Weiter geht es in Richtung Rathaus. Damit ich besser nachvollziehen kann, wie sich das Leben aus der Rollstuhl-Perspektive anfühlt, hat es sich Johann Numberger nicht nehmen lassen, mir einen Rollstuhl zu organisieren. Ich kämpfe mich zur Ampel an der Tölzer und Tegernseer Straße vor, indem ich versuche, beide Räder an den Radschienen gleichmäßig anzuschieben. Leichter gesagt als getan: Immer wieder bekomme ich einen seitlichen Drall. Der Rollstuhl eiert, Fingernägel brechen ab. Ich stocke, als ich wieder auf den Bordstein auf der anderen Straßenseite möchte.
Die Bordsteinkante ist nur einen Zentimeter hoch. Das ist ideal für Rollstuhlfahrer. Und es entspricht genau den Vorschriften. Trotzdem ist der Holzkirchner Behindertenbeauftragte nicht glücklich. Denn für Sehbehinderte ist ein Zentimeter zu wenig, um sicher mit dem Stock ertastet zu werden. Für sie seien sechs Zentimeter Bordsteinhöhe vorgeschrieben, berichtet er. Ein Dilemma.
Als ideale Lösung wird in Holzkirchen der Gmunder Überweg, eine Rillenplatte, die Blinde und sehbehinderte Menschen gut mit ihrem Stock ertasten können, eingebaut. So sind Sehbehinderte gewarnt und Rolli-, aber auch Rollatorfahrer sowie Eltern mit Kinderwagen können die Fahrbahn schwellenlos betreten. Fast schwellenlos. Denn auch eine Mini-Schwelle von einem Zentimeter will erst einmal überbrückt werden.
Gemeinde ist gut aufgestellt
Endlich bin ich am Rathaus angekommen – wenn auch in der fünffachen Zeit wie als Fußgänger. Ich rolle links am Haupteingang vorbei. Dort ist der ebenerdige Zugang mit Schalter, der die Tür automatisch öffnet. „Das Rathaus ist in jeder Hinsicht vorbildlich“, loben alle Betroffenen einhellig. Man erreiche problemlos die Sitzungssäle und den Aufzug.
Auch das Kulturzentrum im Oberbräu, der Bahnhof mit seinen Aufzügen, das HEP und das Atrium sowie die meisten Neubauten seien beispielhaft angelegt. Trotzdem gäbe es immer wieder Kleinigkeiten, die den 150 bis 200 Rollifahrern in der Marktgemeinde den Alltag erschweren.
Eine potentielle Gefahrenstelle sei beispielsweise der Weg vom Atrium zum Bahnhof. „Der Weg hat eine so unglückliche Neigung, dass der Rolli kippen kann, wenn man alleine unterwegs ist. Besonders groß ist das Risiko bei dem schweren Elektro-Rolli meines Mannes“, erklärt Bärbel Sokat. Schier unüberwindbar sei auch eine 20 Zentimeter hohe Bordsteinkante am Bahnhof auf der Seite der Erlkamer Straße. Aber diese Schwachstelle werde gerade umgebaut, erzählt Anne-Marie Hackl.
Zebrastreifen als Wunsch
„Die Marktgemeinde hat für die Belange der Behinderten stets ein offenes Ohr“, bestätigt Numberger. Oft handele es sich nur um kleine Maßnahmen, die aber für die behinderten Menschen und ihre Begleiter sehr hilfreich seien. Dabei denke er an behindertengerechte Übergänge, Fußgängerwege und Zebrastreifen besonders bei Kreisverkehren. „Vielleicht schaffen wir es bei dem neuen Kreisel im Industriegebiet am Grünen Zentrum“, wünscht er sich.
Rathaus-Chef Olaf von Löwis bedauert sehr, dass der Gemeinde bei den Zebrastreifen die Hände gebunden sind. Allerdings habe sich der Kreistag in seiner letzten Sitzung am Mittwoch dafür ausgesprochen, die Vorfahrtsregelung von KFZ bei Kreisverkehren zugunsten von Fußgängern zu ändern.
Das größere Problem ist jedoch häufig die Gedankenlosigkeit der Bürger, meint Hackl. „Die Menschen sehen die Schwierigkeiten einfach nicht.“ Das fange mit dem Zuparken von Gehwegen an und gehe bis zum unberechtigten Stehen auf Behindertenparkplätzen mit der lapidaren Begründung: „Ich bin in zwei Minuten wieder weg.“
An diesem Punkt wird sogar Numberger, der bisher eher gelassen wirkte, ärgerlich. „Statt eines Papperls sollte man diesen Leuten zwei Punkte in der Verkehrssünderkartei geben – besonders denen mit großen Autos und Geldbeuteln, für die das immer noch ein preiswerter Parkplatz ist“, schimpft er. Bärbel Sokat plädiert sogar für einen Aufkleber, der die gedankenlosen Parker für zwei Wochen brandmarkt.
„Kleinigkeiten sind das nicht!“, sagen die betreuenden Ehefrauen. Schließlich müssen die Behinderten täglich mit diesen Problemen zurechtkommen. Und das ist trotz aller Bemühungen manchmal gar nicht so einfach.
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