„Wir sind offen für solche Sachen“, leitete Waakirchens Bürgermeister Sepp Hartl die gestrige Gemeinderatssitzung ein. Das Gremium bekam Besuch von Norbert Hirsch, dem „Piraten“ aus Miesbach, der einen digitalen Vortrag hielt. „Welche Möglichkeiten der Gemeinderatsübertragung im Netz gibt es?“ Diese Frage sollte im Anschluss geklärt sein.
Schon im Mai 2014 hatte er einen offenen Brief an alle Bürgermeister im Tegernseer Tal geschickt. Darin enthalten eine Broschüre über die rechtlichen und technischen Möglichkeiten einer Übertragung der Ratssitzungen. Gestern sollte das Wissen rund um die digitalen Möglichkeiten persönlich vertieft werden. Hirsch ging auf Recht und Technik, Bürgerwille und Verantwortung sowie auf die anfallenden Kosten ein.
Für wen ist digitale Übertragung interessant?
Bisher ist die Möglichkeit der digitalen Übertragung aus dem Sitzungssaal heraus nur wenigen bayerischen Kommunen vorbehalten. Obwohl der Wunsch der Bürger laut Hirsch groß ist. „Wer gehört zum Nutzerkreis?“, dafür interessierte sich in der Diskussion auch Gemeinderat Martin Weingärtner. „Alle, die keine Möglichkeit haben, in den Sitzungssaal zu kommen. Also vor allem Leute, die lange und viel arbeiten, aber auch junge Familien und körperlich eingeschränkte Menschen“, so Hirsch. Der Sitzungssaal der Waakirchner ist nicht barrierefrei, erfuhr man ganz nebenbei.
Rechtlich ist das Thema wie folgt geregelt: Eine Übertragung öffentlicher Gemeinderatssitzungen ins Internet kann nur erfolgen, wenn alle hiervon betroffenen Personen zuvor freiwillig und schriftlich eingewilligt haben. Fasst der Gemeinderat einen einstimmigen Beschluss, ersetzt dies die schriftliche Einwilligung des einzelnen betroffenen Gemeinderatsmitglieds.
Für die Gemeinde könnte die digitale Übertragung durchaus positive Effekte haben, so Hirsch. „Die Gemeinden müssen was tun, sonst geht das alles vor die Hunde“, ist sich der „Pirat“ sicher. Bei einer Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent bei der letzten Kommunalwahl müsse man schon nachdenken. Denn die Gefahr, dass Randgruppen an die Macht kämen, sei viel größer, wenn nicht so viele zum Wählen gingen. „Die Leute müssen sich wieder für Politik interessieren.“
Eine für viele Räte ungewohnte Situation dürfte die Tatsache einer sehr großen Öffentlichkeit sein, die durch die Kameraübertragung ins Netz entsteht. Zwar bestätigen kameraerfahrene Zeitgenossen laut Hirsch, dass man sich schnell an die Aufnahmen gewöhnt und sie dann gar nicht mehr bemerkt.
Die Sache mit dem Datenschutz
Bei der notwendigen Zustimmung der Gemeinderäte gibt es unterschiedliche Ausprägungen, wie Hirsch aufklärte. Man stimmt entweder nur Ton, nur Bild oder beidem zu. Wenn ein Ratsmitglied eine der Ausprägungen ablehne, müsse man das akzeptieren. Die Krux an der Sache ist, dass weder Zuschauer noch Gemeinde-Mitarbeiter aufgenommen werden dürfen. Dies ist laut Datenschutz nicht erlaubt. „Es könnte sein, dass der Datenschutzbeauftragte sagt, der Bürgermeister hätte ihn bedrängt,“ so Hirsch.
Zum Thema „Mitarbeiter“ kam ein Einwurf von Gemeinderat Rudi Reber: „Aber der Geschäftsleiter muss doch was sagen. Ist das erlaubt?“ Auch dies sei nicht erlaubt, so Hirsch. Doch dass bestimmte Personen nicht ins Bild dürften, könne man technisch lösen. Die Idee dahinter: Die Kamera hängt im hinteren Bereich des Sitzungssaals – dort wo die Zuschauer sitzen – an der Decke. Durch den schrägen Winkel der Kamera von oben wird der Hintergrund beziehungsweise dort befindliche Personen kaum erfasst.
Technik blendet im wahrsten Sinne auch „unerlaubte Personen“ wie den Geschäftsleiter aus. „Der Bürgermeister oder jemand anders hat ein Kastl mit Namen und Nummern, dann kann ein Ratsmitglied sprechen, der Lautsprecher ist aktiv, das Bild ist auf ihn gerichtet. Will oder darf jemand nicht ins Bild, so ist der ausgeblendet. Aber der Wortbeitrag soll einfließen, das gehört mit als Information rein.“ Text könnte zum Beispiel sein: „Der Geschäftsleiter merkt an, dass…“
Schlägt Waakirchen „zwei Fliegen mit einer Klappe“?
Rudi Reber befürchtete, dass ins Netz gestellte Aufnahmen deformiert werden könnten. Doch Hirsch beruhigte: „Das macht keiner.“ In den Kommunen Passau, Pfaffenhofen und Seelbach habe man keine derartigen Erfahrungen machen müssen.
„Wie viele nutzen das erfahrungsgemäß?“ Das interessierte Gemeinderat Johann Glonner. „Durchschnittlich 20 bis 30 Personen, um die hundert in der Spitze“, so Norbert Hirsch. Das müsse wachsen. Die Kosten von um die 22.000 Euro zuzüglich Montage konnte die Räte dagegen nicht abschrecken.
Hirsch verdient nach eigenen Aussagen daran nichts. Vor allem vor dem Hintergrund, dass ein eventueller Umbau der Räumlichkeiten für die Barrierefreiheit zwischen 10.000 und 20.000 Euro kosten würde, macht eine digitale Übertragung für Waakirchen durchaus Sinn. „Mit der Übertragung könnte man dem aus dem Weg gehen“, so Martin Weingärtner.
Hirsch empfahl, in einem ersten Schritt Aufzeichnungen zu machen und diese nachträglich ins Netz zu stellen. Dann könne man sehen, wie es geworden sei und eine gewisse Kameraerfahrung sammeln. Das Interesse in Waakirchen an einer digitalen Übertragung aus dem Sitzungssaal ist grundsätzlich vorhanden. Auf einen Beschluss und Detaildiskussionen ließ man sich an diesem Abend aber nicht ein. Dies soll in künftigen Sitzungen geschehen, so Bürgermeister Sepp Hartl. „Wir lassen das jetzt erstmal setzen.“
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