Für den bisherigen Bürgermeister Michael Pelzer ist die Sache klar: Die Umfrage von 2012 habe es an den Tag gebracht. Die 60+-Bürger von Weyarn, die sich über ihren wohlverdienten Ruhestand freuen sollten, bangen gleichzeitig um ihre Zukunft. Die Kinder lebten in der nächsten Großstadt oder weit entfernt, das Haus sei viel zu groß geworden, der Garten mache mehr Arbeit als der lädierte Rücken verkrafte, ein altersgerechter Umbau sei oft nicht möglich. Sie wollten ihre XXL-Häuser in praktische, pflegeleichte Wohnungen umtauschen. Für diese Zielgruppe hat die Gemeinde unter Schirmherrschaft Pelzers das Mehrgenerationenprojekt auf der Klosterwiese entwickelt.
In der geplanten Wohnanlage mit rund 60 barrierefreien Wohnungen sollen Singles, junge Familien sowie fitte und hilfsbedürftige Senioren sich gegenseitig unter die Arme greifen – zum Vorteil aller. Neben dem Wohnraumzuwachs für einheimischen Senioren böten die Bebauungspläne für die ehemalige Schlickenriederwiese die langerersehnte Chance, den toten Ortskern rund um die alten Klostermauern aus dem 12. Jahrhundert wieder zu beleben – ein Vorteil für den ganzen Ort.
Vielleicht keine Idylle, aber eine zukunftsfähige Form des Zusammenlebens angesichts unserer veränderten Gesellschaft mit mehr Single-Haushalten, hoher Mobilität bei der Jobsuche und dem demografischen Wandel, verteidigt Betty Mehrer von der SPD das Projekt Zukunft in Weyarn. Als Seniorenbeauftragte der Gemeinde und Sprecherin des Arbeitskreises Altersplanung kennt sie sich in diesen Fragen bestens aus.
Autobahn-Rauschen statt Alpenblick
Allerdings stellt sich angesichts von Quadratmeterpreisen in Höhe von wahrscheinlich rund 4000 Euro die Frage, ob diese Wohnträume für Einheimische realisierbar sind. „Definitiv nein“, hat Alexander Sauer, Bürgermeisterkandidat im letzten Wahlkampf und Sprecher des Vereins “Wir in der Gemeinde Weyarn e.V.” (WiGW), vor der Wahl bei Steppvisiten an den Haustüren der Gemeindebürger herausgefunden. Aufgrund dieser Gespräche befürchtet er, dass statt der kaufwilligen, aber finanziell nicht so potenten Weyarner eher finanzkräftige Münchner zuschlagen. Und damit den Zielen der Bürgerbefragung entgegenwirken. Der Wunsch sei es nämlich gewesen, den dörflichen Charakter zu stärken und eben „gerade keine Pendler- und Schlafgemeinde“ zu werden.
Ex-Bürgermeister Pelzer räumt zwar ein, dass „sozial schwache Schichten“ sicher eher nicht zu dem künftigen Käuferkreis gehören würden. Aber die bisherigen Erfahrungen mit dem Prälatenhof zeigten, dass doch Zweidrittel der neuen Eigentümer aus der näheren Region, also Landkreis Miesbach oder Feldkirchen-Westerham, kämen. „Unsere Käufer aus München sind frühere Weyarner Bürger, die in ihre alte Heimat zurückziehen“, entkräftet er Vermutungen, dass die Käufergruppe nur aus kapitalstarken Anlegern bestehe.
Die Gefahr von reichen Münchnern als Neubürger in Weyarn sieht Betty Mehrer überhaupt nicht: „Die gehen nach Grünwald oder Tegernsee – und nicht 200 Meter neben die Autobahn“.
Er gibt auch zu bedenken, dass durch die strengen Denkmalschutzauflagen auch hohe Kosten entstehen, die umgelegt werden müssen. Und letztlich liege man immer noch unter dem Limit von 5.000 Euro, das zum Teil schon in Holzkirchen verlangt werden würde.
„Die Qualität der Bebauung muss sich an der Kirche von Weyarn orientieren“, scherzt Pelzer. Die hohen Qualitätsansprüche an eine gelungene Sanierung hätten mit zu der Entscheidung beigetragen, den gut beleumundeten und finanzstarken Bauträger Quest AG aus Kolbermoor mit dem Groß-Projekt zu beauftragen.
„Wir haben keine Bauträger vor Ort, die so ein Bauprojekt stemmen könnten“, bedauert Mitinitiator Pelzer. Die Gemeinde habe Ausschreibungen an alle ansässigen Baufirmen geschickt, doch die meisten der Zwei-oder-drei-Mann-Betriebe hätten abgesagt: „Das Projekt ist mir zu groß“ oder „Ich habe keine Partner, mit denen ich das stemmen kann“.
“Unrealistisch und teuer”
Für die Vertreter der WIGW stellen sich die Investor-Entscheidung und die Ausschreibungen ganz anders dar: Zum einen habe es mit dem Fraunhofer-Institut durchaus einen weiteren renommierten Kandidaten für die Sanierung gegeben. Statt eines inoffiziellen Kaufpreises von „100 bis 120 Euro pro Quadratmeter für das Areal“, so Sauer, „hätte man den Marktwert von 400 Euro pro Quadratmeter für ein erschlossenes Baugrundstück“ verlangen können. Verschenkte Einnahmenquellen der Gemeinde aus Sauers Sicht. Anders als beim Bau von Megaprojekten hätten die kleineren einheimischen Handwerksbetriebe durchaus mithalten können, wenn die Vergabe der Aufträge durch einzelne heimische Bauherren in kleinen Bauparzellen erfolgt wäre.
Als unrealistisch sieht der Vertreter der Bürgerinteressen die Pläne von Pelzer auf der letzten Bürgerversammlung, 15 bis 20 Prozent des Wohnraums für Einheimischenmodelle zur Verfügung zu stellen. Als Rechtsanwalt kann er nicht nachvollziehen wie beim Verkauf von Wohnungen „eine Trennung zwischen Investor und Einheimischenmodell“ funktionieren kann, zumal der Investor wohl kaum den Verkauf aus eigener Tasche subventioniere. Da auch die Reihenhäuser durch den Bauträger erstellt werden sollen, sieht er auch hier kaum eine Chance für Einheimische, günstig an eigenen Wohnraum zu kommen.
Die Gemeinde dagegen argumentiert, dass sie sich bewusst für eine einheitlichen Bebauungsstil aus einer Hand entschieden habe, um zu verhindern „dass manche Leute ihren Traum vom mediterranen Landhaus verwirklichen und ein stilistisches Durcheinander entsteht“. Damit auch Bürger mit kleinerem Budget zum Zuge kommen, könnten sie den Rohbau erwerben und den Innenausbau in Eigenregie vornehmen.
Zurück zum Gedanken der Mehrgenerationenhäuser: Im Gegensatz zur Gemeinde entdeckt die Bürgerinitiative WIGW bei der Befragung von 2009 keinerlei Anhaltspunkte für einen Bedarf von sieben Mehrgenerationenhäusern. „Ich bin der Überzeugung, dass das ein ‚Marketing-Gag‘ ist, um den Bau von Wohnblocks durchzubringen“, provoziert Sauer. Seinen Kontaktgesprächen zufolge wünschen sich die Senioren in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben. Die geplanten Wohnungen sowie Reihenhäuser hält er bautechnisch für ungeeignet, überteuert und nicht zukunftsorientiert.
Die Fachfrau für Seniorenfragen Mehrer ist sich durchaus im Klaren, dass eine Mehrgenerationen-Wohnanlage zwar „keine Insel der Glückseligen“ darstelle, aber durchaus eine Chance biete, generationenübergreifendes Zusammenleben und gegenseitige Hilfe auszuprobieren. Auch wenn die Zukunftsmusik noch etwas blechern klingt, so biete das Projekt aus Mehrers Sicht doch die Möglichkeit für manche Menschen, in Weyarn wohnen zu bleiben, den Ortskern wieder zu beleben und die Ruine, die die Ortsmitte 20 Jahre verschandelte, aufzupeppen.
Wer könne schon erwarten, dass ein Wohngebiet nur für Einheimische entwickelt werden würde – das erinnere an „gemeindliche Inzucht“. Die bereits zitierte Untersuchung belege übrigens auch, dass beispielsweise von den über 65-Jährigen nur 24 Prozent in Weyarn geboren wurden. Die anderen seien alle Zugezogene.
Wöhr: Spagat bald auflösen
Für die einen ist das Projekt Klosteranger eher eine Mehrgenerationen-Idylle mit Zukunftsvisionen, für die anderen eine eklatante Fehlplanung. Die kontroversen Positionen und widersprüchlichen Argumentationen werden die Diskussionen im neuen Gemeinderat noch eine Weile anheizen. Zurzeit läuft die Stufe 2 des Bebauungsplanverfahrens, in dem Änderungsvorschläge eingearbeitet und Details konkretisiert werden.
Der neue Bürgermeister Leonhard Wöhr von der CSU sieht die WIGW als eine „fünfte Gruppierung im Gemeinderat, die wichtige Impulse gegeben hat und durch die die Planung transparenter geworden ist“. Durch die vielen Gespräche seien zahlreiche Befürchtungen zerstreut worden; in dem Spagat zwischen Befürwortern und Skeptikern „ringen wir um die beste Lösung“. So bleibt zu hoffen, dass sich rund um die alten Klosteranlagen Schritt für Schritt bald neues Leben in der Gemeinde entwickelt – idealerweise für Jung und Alt.
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