Weil Fluchtgefahr bestand wurde der 29-jährige Angeklagte bereits im Juni festgenommen und gestern in Handschellen dem Amtsgericht in Miesbach vorgeführt. Sein Auftreten ist selbstsicher. Er hat ein sehr sportliches Erscheinungsbild. Trotz Kälte ist der Beschuldigte aus Hausham nur mit T-Shirt bekleidet.
Der Angeklagte ist kein Waisenknabe. Sieben Straftaten werden ihm heute vorgeworfen. Zwei Mal soll er Personen mit einer Bierflasche geschlagen haben, einmal eine Person mit der Faust ins Gesicht, ein Handy soll er gestohlen haben und zum Wiederverkauf des Telefons eine Unterschrift gefälscht haben. Zu guter Letzt wird ihm auch noch vorgeworfen, einem Mann mit der Vergewaltigung und der Ermordung dessen Freundin gedroht zu haben, wenn sie zur Polizei gingen.
Gleich vorab ein Rechtsgespräch
Der Zuschauerbereich des Gerichtssaals ist voll mit einer Schulklasse, die sich über die Verfahrensweisen im Gericht informiert. Kaum haben sich alle gesetzt und die Verlesung der Anklagepunkte gehört, müssen alle wieder den Gerichtssaal verlassen. Die Verteidigung erbat ein Rechtsgespräch. Daran sind nur der Richter mit den zwei Schöffen, die Staatsanwältin und der Verteidiger beteiligt.
Alle anderen müssen den Gerichtssaal räumen. Nun wird zwischen den Juristen verhandelt, was im Falle eines Geständnisses mit dem Beschuldigten passiert. Das Prozedere findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, das Ergebnis jedoch öffentlich bekannt gegeben. In dem Fall des Haushamers hatte man beschlossen, nur die Fälle der Körperverletzung zu verhandeln, da die anderen keine gravierende Erhöhung des Strafmaßes ausmachen würden. Zudem hatte man sich geeinigt, dass im Falle eines Geständnisses eine Freiheitsstrafe zwischen zwei Jahren und zehn Monaten und drei Jahren und vier Monaten verhängt werden.
Drei Fälle mit Steigerung
Trotz abgelegtem Geständnis wollten Richter Walter Leitner und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft einige der geladenen Zeugen hören, um das Strafmaß bestimmen zu können. So wurde zunächst der Polizeibeamte vernommen, der einen Fall von Körperverletzung aufgenommen hatte.
Er berichtete wie er zu einem Vorfall am Holzkirchner Bahnhofplatz gerufen wurde. Ein Mann sei dort geschlagen worden, habe es geheißen. Als die Beamten ankamen, trafen sie einen aufgeregten, angetrunkenen Mann und zwei ebenfalls angetrunkene Frauen. Eine der beiden sei wohl die Freundin des Angeklagten gewesen. Sie haben sich zu dritt am Bahnhof aufgehalten als der Angeklagte hinzukam.
Der hatte seine Freundin beschimpft. Das Opfer wollte den Mann zu Recht weisen. „Da hat er sich dann zwei Schläge ins Gesicht eingefangen.“, berichtete der Beamte. „Der Name des Angeklagten war den Kollegen schon bekannt.“ Man habe die Aussage des Opfers aufgenommen und auch eine Blutprobe bei ihm gemacht, um die Vernehmungsfähigkeit festzustellen. Die habe einen Wert von 1,52 Promille ergeben. Der Beamte weiter:
Die Frauen haben wir an dem Abend nicht mehr vernommen. Die waren so betrunken, dass sie nicht vernehmungsfähig waren. Das hätte nichts gebracht.
Ein Vorfall wird durch Richter Leitner verlesen: Auf dem Rewe-Parkplatz in Holzkirchen tranken einige Zufallsbekannte zusammen ein Feierabend Bier oder auch mehrere. Der Beschuldigte lief auf dem Parkplatz telefonierend herum, wurde dann eingeladen mitzutrinken. Nach einiger Zeit haben zwei der anwesenden Frauen Nachschub von der nahegelegenen Aral-Tankstelle besorgt. Eine war auf dem Weg gestürzt.
Mit Flasche auf den Kopf
Als sich ein Mann zu ihr setzte und den Arm um sie legte, habe das den Angeklagten gestört. Ohne viele Federlesens habe dieser ihn mit einer Flasche auf den Kopf geschlagen. Zwar habe der Geschädigte geblutet, er sei aber nach Hause gegangen und habe auf die sechs Halbe, die er schon intus hatte noch drei weitere gekippt. Erst dann habe er die Polizei verständigt.
Die Beamten haben dann dafür gesorgt, dass er beim Roten Kreuz verarztet wurde und ihn anschließend ins Krankenhaus gebracht. Zum schlimmsten Fall wurde das Opfer selbst als Zeuge vernommen. Der Angeklagte und der Geschädigte kannten sich aus dem Knast. Zur Zeit des Vorfalles vor knapp einem Jahr hatte der Angeklagte bei einem gemeinsamen Bekannten in Holzkirchen gewohnt. Man hatte sich zu einem gemeinsamen Abend getroffen. Die Freundin des Zeugen war ebenfalls anwesend.
Gesicht zerschmettert
Es sei viel Bier und Wodka getrunken worden. „Er hat mich dann gefragt, warum meine Freundin ihn nicht leiden kann”, berichtete der Holzkirchner. „Ich habe ihm erklärt, dass sie es nicht leiden kann, dass er sich für den Größten hält. Außerdem habe ich ihm geraten seinen Drogenkonsum runterzufahren.“
Das kam beim Angeklagten nicht gut an. Er nahm den anderen in den Schwitzkasten, hielt ihn fest, stürzte mit ihm auf die Couch. Der Zeuge machte sich frei, rief seiner Freundin zu, dass sie schnell abhauen solle. Da wurde er plötzlich von seinem damaligen Freund mit einer Flasche ins Gesicht geschlagen. Der Geschlagene:
Das ging wie ein Blitz, völlig unvorhersehbar. Als wenn plötzlich eine Sicherung durchgeknallt ist.
Das Pärchen flüchtete dann aus der Wohnung und rief am Bahnhof die Polizei. Der junge Mann blutete ohne Unterlass, wurde in Agatharied erstversorgt, aber erst eine Woche später in einer Spezialklinik operiert: Dreifacher Nasenbruch, Kiefer- und Jochbeinbruch, die Augenhöhle 2 mm nach hinten verschoben.
Zwei Mal wurde der Mann bisher operiert. Es wurden kleine Metallplatten ins Gesicht eingesetzt. Eine weitere Operation steht an. Bis heute sind sein Geruchs- und Geschmackssinn schwer gestört. Der Angeklagte habe sich bei ihm telefonisch ein paar Wochen später entschuldigen wollen. „ Aber das geht nicht.“, so der Geschlagene. „Das ist nicht zu entschuldigen.“
Warum ist der Mann derartig gewalttätig?
Ein Sachverständiger bringt etwas Licht ins Dunkel. Der Gewalttäter hat eine Jahrzehnte lange Drogengeschichte. Bereits im Alter von nur acht Jahren habe ihn sein Alkoholkranker Vater Bier trinken lassen. Mit 14 Jahren habe er dann zum ersten Mal Haschisch konsumiert, mit 18 dann Heroin intravenös gespritzt. Seit dem stehe der Mann kontinuierlich unter Drogen. Kokain, Amphetamine, Alkohol seien wahllos durcheinander konsumiert worden.
Er leide unter einer Polytoxikomanie, einer Drogenabhängigkeit von mehreren Substanzen. Dazu könne man auch davon ausgehen, dass der Angeklagte unter einer Psychose leide. Aber so der Sachverständige:
Wer ist der Angeklagte eigentlich? Das kann man heute nach diesem langen Drogenkonsum gar nicht mehr sagen. Wie würde er ohne Drogen agieren? Wir wissen es nicht.
Zur möglichen Therapierbarkeit des Täters gab er dem Angeklagten eine Chance, aber wenig Hoffnung. Er sehe die Wahrscheinlichkeit eines Drogenausstiegs im unteren Drittel. Im Tatzeitraum habe der Angeklagte zwar substituiert, also von einem Arzt verschriebenen Heroinersatz zu sich genommen. Allerdings habe es erheblichen zusätzlichen Drogen- und vor allem auch Alkoholkonsum gegeben. Von zwei bis vier Flaschen Wodka täglich sei die Rede gewesen.
„Es ist auch nicht verblüffend, dass die Polizisten und seine Bekannten ihm den Drogenverbrauch nicht angemerkt haben“, meinte der Sachverständige. „Polytoxikomanen haben gelernt mit Drogen umzugehen und können sich sagenhaft gut verkaufen.“ Er befürwortete aus seiner Sicht eine weitere Therapie.
Die Staatsanwältin erklärte, dass sie das nur unterstütze, wenn es eine Chance dafür gebe, dass der Angeklagte zukünftig weniger Gewalt bereit sein wird.
Wenn er nur aufhört, Bier zu trinken und Drogen zu nehmen reicht mir das nicht.
Letztendlich forderte sie allerdings auch eine Haft von drei Jahren und 4 Monaten sowie die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit Therapie. Die Verteidigung wollte das Geständnis stärker gewürdigt sehen und forderte zwei Jahre und zehn Monate. Richter Leitner erkennt die verminderte Schuldfähigkeit an:
Zackbumm, kam ihre Hand mit der Flasche geflogen. Aber das wussten sie aus ihrer Erfahrung, dass sie unter Drogeneinfluss ausrasten.
Trotzdem gewährt Leitner noch eine letzte Chance: Der Angeklagte darf noch einmal eine Therapie machen und muss für drei Jahre und zwei Monate hinter Gitter.
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