Mit dem Chevy zum Milch holen

Schon immer haben die einheimischen Familien die Geschicke der Menschen im Tegernseer Tal bestimmt. Sie haben sich eingemischt in Politik und Wirtschaft. So auch die Familie Weber. Sie trug mit ihrer Gmunder Molkerei wesentlich zur Nahversorgung der Bürger bei.

Über Generationen hinweg, so erzählt es der 83-jährige Rudi Weber, widmete sich die Familie ihren Kühen, aber auch anderen Dingen. „Verwegene Geschichten“ aus einer anderen Zeit.

Foto: Powalski – das Forum für historische Nutzfahrzeuge

Jeden Morgen und dann abends noch einmal brach Max Weber mit seinem Lastwagen Marke Chevrolet zu den umliegenden Bauern auf, um in 20-Liter-Kannen die Milch ihrer Kühe abzuholen. Da es damals noch keine elektrischen Milchkühlungen gab, musste die Milch – gerade im Sommer – sofort in der Molkerei verarbeitet werden, damit sie nicht schlecht wurde.

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„Im Sommer lief immer der Wasserhahn“, erzählt Rudi Weber, der jüngere Sohn von Max Weber, als wir ihn in seinem Gmunder Haus besuchen. Denn nur mit laufendem, kaltem Wasser konnte die Milch kühl gehalten werden, bevor sie erhitzt wurde, um eine längere Haltbarkeit zu erzielen.

Milch, Butter, Käse und Quark gab es im Laden

„Hauptsächlich Quark wurde hergestellt“, erinnert sich der Enkel des Molkereigründers Erhard Weber. In dem Familienanwesen war im Erdgeschoss der Milchladen untergebracht, in dem die Bürger sich mit Milch, Butter, Käse und Quark eindecken konnten. Lange Jahre – auch während der Kriege, als die Frauen den Betrieb führen mussten – ging das so.

Den größten Teil des Gebäudes nahm die Molkerei selbst ein. Aber auch ein kleiner Stall war vorhanden. Neben ein paar anderen Tieren gab es vor allem Schweine. „Denn es gab natürlich auch Abfälle aus der Produktion“, so Weber. Diese bekamen dann die Schweine, die im hinteren Teil untergebracht waren – dort, wo heute Bildhauer Quirin Roth seine Werkstatt hat.

Max junior und Max senior waren Molkereimeister

Vater Max war gelernter Molkereimeister und führte seine Geschäfte bis ins hohe Alter. 82-jährig starb er schließlich. Der älteste Sohn – Max junior – stieg in seine Fußstapfen, lernte in Weihenstephan sein Handwerk, übernahm die Molkerei und führte sie noch bis in die Neunzigerjahre. „Dann ging es nicht mehr“, berichtet Rudi über seinen älteren Bruder, der inzwischen verstorben ist.

Wusste auch, wie man gute Milchprodukte herstellt: Amalie Hofer (1872 – 1953), Besitzerin der Molkerei Hofer in Finsterwald. Foto: Das Tegernseer Tal in historischen Bildern von Hans Halmbacher.

Wie auch die weiteren drei Gmunder Molkereien – Hofer, Floßmann und Nieder – konnte die „Weberei“ dem preislichen Konkurrenzkampf auf dem Lebensmittelmarkt irgendwann nicht mehr standhalten. Rudi Weber war für den Molkereiberuf nicht gemacht, wie er erzählt. Er widmete seine Geschicke der Baubranche und machte sich vor allem im Münchner Bereich als Bauträger verdient.

„Der Großvater war ein verrückter Hund!“

Sein Herz schlägt auch für Geselligkeit und für die Fliegerei. So war er lange Wirt von Kaltenbrunn und zählt zu den Mitbegründern des Warngauer Flugplatzes. Familie bedeutet dem 83-Jährigen sehr viel. So erzählt er gleichermaßen gern von seinem Neffen, heute als Arzt im Tal tätig. Und auch von seinem Großvater Erhard, den er als kleiner Bub stets in der Bäckerei Winkler besuchen durfte.

„Mein Großvater war ein verrückter Hund“, behauptet er. Er holt einen Zeitungsausschnitt heraus, der dies belegt. „Der erste Radfahrer von Gmund als Achtziger“ ist er überschrieben. Daraus geht das ganze arbeitsreiche, wechselvolle Leben hervor. Wie so viele, die um 1860 herum geboren waren, musste er schon mit 14/15 Jahren losziehen und sich selbst sein Brot verdienen. Erhard Weber entschied sich für die Tätigkeit des Käsers und blieb seinem Beruf ein Leben lang treu.

„Alles ist vergänglich, nur der Kuhschwanz, der ist länglich“

Der Ausbildung und den ersten Berufsjahren folgten Almjahre auf der Kreuther Königsalm, wo er unter anderem Bekanntschaft mit Kaiserin Sissi machte. Später heiratete er die Bäckermeistertochter Maria Kniegl und baute seine in Gmund gegründete Molkerei zum Musterbetrieb aus. Etliche Royals weilten damals regelmäßig in Tegernsee. Und Weber konnte einige von seinen Qualitätsprodukten überzeugen. So zählte er bald unter anderem die deutsche Kaiserin (1896) zu seinen Kundinnen.

Als jedoch zu Beginn des 1. Weltkrieges 1914 alle Last des Geschäftes auf Erhard Weber lag – Sohn Max musste in den Krieg –, zog er sich ein schweres Fußleiden zu, was die spätere Amputation seiner Beine zur Folge hatte. Vorher jedoch konnte er sich einen Namen als technischer Vorreiter machen.

Er war nicht nur der erste Radfahrer und der erste Autofahrer von Gmund. Auch als Viehzüchter konnte er angesehene Züchtermedaillen erwerben. Wenn Rudi heute an die Vergangenheit seiner Familie denkt, ist er schon ein wenig wehmütig. In Gmund gibt es schon lange keine Molkerei mehr. Trotzdem wirkt er zufrieden. Dreht jeden Tag seine ausgiebigen Geh-Runden am See. Einen Spruch gibt er uns noch mit, als wir aufbrechen: „Alles ist vergänglich, nur der Kuhschwanz, der ist länglich.“

Das Weberhaus heute, im hinteren Teil - dem ehemaligen Schweinestall - ist die Werkstatt von Bildhauer Quirin Roth untergebracht.
Das Weberhaus heute, im hinteren Teil – dem ehemaligen Schweinestall – befindet sich die Werkstatt von Bildhauer Quirin Roth.

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