Mit Toni unterwegs im Tal

Früher hatte er eine eigene Zimmerei. Seit sechs Jahren fährt Toni Wackersberger (63) Taxi. Wir haben uns an einem beliebigen Wochenende ein paar Stunden lang zu ihm in den Wagen gesetzt.

Ein Fahrtenbericht zwischen Wartezeiten, Klassiksender und Alkfahne. Zwischen Bräu, Fährhaus und Rush. Und eine nicht alltägliche Reportage über einen “Job”, der vieles abverlangt.

16:45 Uhr
Schichtbeginn. Toni holt sein Taxi wie immer am Rottacher Parkplatz ab. Noch ist die Zentrale besetzt. Von 6.30 Uhr bis 18.00 Uhr sitzt jemand am Telefon – oft ist die Chefin Evelyn Jasinski selbst. Sie nimmt die Anrufe entgegen und teilt die Taxis zu.

Über mehrere Leitungen kommen die Kunden. Insgesamt fahren 40 Taxis rund um den See. Vier davon tragen die gleiche Firmenaufschrift wie Tonis Vito. Vier Kollegen hat er bei der Evelyn. Mit Aushilfen.

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„Die letzten Stunden hats getröpfelt,“ erzählt, als wir uns uns um 21 Uhr am Tegernseer Bahnhof treffen. „Wir warten erstmal,“ sagt Toni. Die Standheizung läuft und wärmt uns während der paar Minuten. Stündlich kommt die Bayerische Oberlandbahn, von der sich die Fahrer neue Gäste erhoffen. Immer um 12 Minuten nach der vollen Stunde. Dieses Mal gehen wir leer aus.

21:15 Uhr
„Wir fahren erstmal zum Bräu.“ Toni lässt sein Großraumtaxi anspringen, einen Neunsitzer. Der Bordcomputer zeigt, dass am Bräu bereits ein anderes Taxi steht. Nachfolgende Fahrzeuge müssen sich hinten anstellen. Taxiregel. Das vordere ist auf dem Display grün gekennzeichnet, wartet also auch auf Gäste.

Belegte Taxis werden rot angezeigt. Alle tragen Nummern: Toni ist die 33. Günter die 44, Stefan die 11. Der Kontakt zu den Kollegen ist gut. Besonders nachts hält man zusammen. Nicht alle vertragen die Wechselschicht so gut wie Toni. Er fährt immer drei Wochen nachts. Danach eine Woche tagsüber. Immer sechs Tage fahren, dann zwei Tage frei.

“Früher gabs Bergzuschlag”

21.18 Uhr
Es ruft einer an. „Grias di. Taxi Jasinski.“ Wir sollen zum Fährhaus kommen. Toni setzt den Blinker nach links Richtung Gmund. Ein bisschen sauer ist er, dass es hier am Bräustüberl keinen Taxistand mehr gibt. Überall anders hat es in der Ortsmitte einen Stand. „Des is scho ärgerlich.“ Grundsätzlich aber liebt Toni das Taxifahren. Das merkt man ihm auch an.

Er redet gern mit den Leuten. „Aber wenn einer nix sagt, ist es auch recht, je nachdem halt.“ Ein Anruf unterbricht ihn. „Grias di. Taxi Jasinski.“ Ein Stammgast will in Tegernsee abgeholt werden. „Bin in zwanzg Minuten da.“ Erstmal das Fährhaus erreichen. Irgendwie finden wir Taxifahren jetzt auch spannend. „Es ist wie beim Fischen. Man hofft immer, dass einer anbeisst.“

21.30 Uhr
Ankunft am Fährhaus. Toni geht hinein. Und kommt mit einem „Best-Ager-Pärchen“ heraus. Gut gelaunt sind beide. Er ist weniger begeistert, dass wir bereits im Taxi auf ihn warten. Sie nimmts gelassen. Deshalb reisst er sich am Riemen und erzählt einen Witz, der bis zum Fahrtziel „Gästehaus Elisabetn“ anhält. „SPD=San Packl do, KPD=Koane Packl do,“ endet er.

7,60 Euro der Fahrpreis für die rund drei Kilometer. Früher hätte Toni noch eine Anfahrt extra berechnet. Auch andere Zuschläge gab es. Beispielsweise einen Bergzuschlag. Für die beiden endet die Fahrt im Gästebett der „Villa Elisabeth“. Das Pärchen steigt aus und wünscht uns eine gute Nacht.

21:40 Uhr
Auf nach Tegernsee. Den Stammgast abholen. Derweil erzählt Toni aus seinem Leben. Dass er gern fotografiert. Gerade ein Kalender im Entstehen ist. Landschaftsaufnahmen.

Dass er jedes Jahr die „Heilige Nacht“ liest. Auf der Galaun. Oder alte Gschichtn. Im Radio. Und von der Taxiprüfung. Psychologische Prüfung. Gesundheitstest. Ortskundeprüfung. So in etwa läufts ab. Dann darf man ein Taxi bedienen.

An der Hauptstraße hält er an. Das Tavernenschild schillert in der Straßenbeleuchtung. Er geht hinein und kommt mit dem Gast raus. „Dirnboch“ so der kurze Hinweis. Auf der kurzen Fahrt dorthin erfährt man eine Menge über ihn und sein „Gei“. Über den „Beda“, sein „oidn Spezi, der de beste Salami macht“. Über Bairisch als Amtssprache.

“D`Regierung” ruft an

22:00 Uhr
Die Stunde wird gerade wieder voll. Da wir sowieso gerade am Bahnhof vorbei kommen, wollen wir wieder nach Bahngästen “fischen”. Das Handy klingelt. „D’ Regierung.“ Tonis Frau ruft an. Ein kurzes, freundliches Abgleichen der Ereignisse der letzten Stunden. „Oiso bis morgn.“ Toni verabschiedet sich.

Dann fängt er wieder an zu erzählen. Vom Rumbringen der Wartezeiten. Mit Brotzeitmachen. Oder ein bisschen dösen. „Zwischen 1 und 3 Uhr wirds meistens ruhig.“ Dann verlassen die meisten Gäste die Kneipen im Tal. Müssten sie eigentlich gar nicht. Denn eine Sperrzeit existiert nicht mehr. Nur die „Putzstunde“ zwischen 5 und 6 Uhr müssen alle einhalten.

22:22 Uhr
Wieder klingelt das Handy. Toni soll ins Freihaus kommen. Vier Gäste warten um elf auf ihn. Wieder Stammgäste. Die kann er nicht ablehnen. Jetzt hat er aber Verpflichtungen. Und kann fast nichts anderes mehr annehmen. Außer wenn es auf dem Weg liegt.

Wir fahren nochmal zum Bräu. Da stehen jetzt zahlreiche Leute draußen. Einige rauchen. Andere wollen mitfahren. Jetzt könnten wir Fahrgäste genug haben. Sieben junge Männer wollen nach Arget. Sie rauchen und riechen nach Bier und Schweiß. Ganz rote Gesichter haben sie von ihrem geselligen Abend in Lederhosen und Haferlschuhen.

Dann klingelt ein paar mal das Telefon. Toni jongliert die Strecken telefonisch weiter an andere Fahrer, als hätte er nie was anderes gemacht. Erwin soll die Leute beim Francesco aufnehmen. Günter soll eine Gruppe ins Spinnradl fahren und auf dem Rückweg die Notaufnahme im Krankenhaus nach Hause fahren.

Auch eine Bedienung könnten wir jetzt bis nach Neuhaus fahren. Toni kennt sie gut. Sonst fährt sie immer ihr Mann. „Aber der kon heid ned,“ weiß er. 30 Euro würde der Tarif an den Schliersee betragen. 3,40 Euro beträgt der Grundtarif. Dabei ist es egal, ob Toni einen fährt oder fünf Leute. Bei mehr als fünf Leuten kommt ein Zuschlag hinzu. Fahrten über sein Pflichtfahrgebiet hinaus können pauschal vereinbart werden. Beispielsweise nach München.

22:35 Uhr
Toni glaubt nicht mehr daran, dass wir jetzt „was passendes“ finden. Knapp zwanzig Minuten später haben wir die bergige Anfahrt zum Freihaus geschafft. Toni holt die Gesellschaft aus der Gaststätte. Zwei Pärchen, die dort Wiedersehen gefeiert haben, steigen ein. Einer – der Alleinunterhalter unter den vieren – steigt auf den Beifahrersitz. Die anderen drei sind hinten.

Wir unterhalten uns übers Zeitung machen und lesen, über Kleinkinder, übers Fasten und über neue Kneipen im Tal. Die vier wollen nicht nach Hause ins „Hotel Berlin“, sondern noch feiern. Wir nähern uns der Zielstation. Dem erst vor zwei Tagen eröffneten „Rush“ – die frühere „Alpenbar“. Erst muss Toni aber schnell ans Handy. „Ja, i kimm glei,“ hört man ihn noch am Telefon.

Netzwerken ist alles – auch bei den Taxifahrern

23:00 Uhr
Die zwei Pärchen haken sich geschlechtergetrennt unter und flirren in den neuen Club. Man kennt sich schon an der Tür und tauscht ein paar Sätze. Auch Toni will mal schnell reinsehen. Präsenz ist alles für einen Taxifahrer. „Man hat so seine Häuser,“ verrät er. Da kann man dann darauf zählen, dass man direkt angerufen wird.

Der „Leeberghof“, das „Aibl“ oder „Das Tegernsee“ gehören dazu. Vielleicht auch bald das „Rush“. Mal sehen. Und erstmal die Visitenkarten tauschen. Dann geht es weiter Richtung Tegernsee. Die bestellten Damen abholen.

23:30 Uhr
Nach der kurzen Fahrt zum Leeberghof und acht Euro mehr in der Kasse gönnt sich Toni erstmal einen Kaffee. Vor dem “Das Tegernsee” bringt uns der Nachportier zwei Heißgetränke und ein Wasser. Toni erzählt vom Fahren am Tag und in der Nacht.

Während es tagsüber meist Besorgungsfahrten oder Arztbesuche sind, fahren abends meist Nachtschwärmer mit. Das liegt in der Natur der Sache. Denn wegen Alkohol will niemand seinen Führerschein verlieren. Da nimmt man sich halt dann lieber ein „Floß“. So wie Martina, die gerade anruft.

„Mir kennan uns,“ hat sie gsagt. „Da bin i jetz gspannt,“ sagt Toni. Jetzt müssen wir schnell sein. Denn wenn die Leute „von der Straße“ anrufen und es geht nicht schnell genug, dann „fängt sie ein anderer ab.“

23:40 Uhr
Glück gehabt. Martina steht noch da. Zusammen mit ihrem Begleiter klettert Sie auf den hintersten Sitz. Sie strahlt übers ganze Gesicht. Erzählt von Glückstagen wie dem heutigen. Dass sie grad den Mietvertrag unterschrieben hat für ihre zweite Boutique.

Die eine – das Tendenz – ist in Tegernsee. Das neue Geschäft soll in Rottach eröffnet werden. Auch die Angestellte – ihre Schwägerin – hat sie schon. „Manchmoi lafts oafach.“ Sie ist ganzer Rand und Band und auch ein bisschen beschwippst. Aber nicht schlimm. Ihr Begleiter ist eher ein ruhiger.

Als wir zwanzig Minuten später das Zuhause der beiden erreichen, wissen wir trotzdem Bescheid. Über die Katze, die sich grad arg verletzt hat. Über das Landleben an sich. Und die Bauern in Wall im speziellen. Die würden sonntags um vier Uhr in der Früh das Holz sägen anfangen. Und odeln, dass es zum Küchenfenster hereinstinkt.

00:00 Uhr
23,20 Euro hat die Fahrt nach Wall gebracht. Jetzt geht’s wieder zurück ins Tal. Dorthin, wo „ein bissl wos los ist,“ wie uns Martina noch hinterherruft. Jetzt aber sind die Straßen auch von Gmund ab leer. Vielleicht liegts an der Fastenzeit? Oder daran, dass alle Nachtschwärmer noch in den Kneipen sitzen und sich schon drauf vorbereiten, Tonis Nummer zu wählen?

5:00 Uhr
Jetzt macht Toni ungefähr Feierabend. Dann fährt er wieder nach Rottach. Stellt seinen Wagen am Parkplatz ab. Den, der ihn seit dem 22. November 2011 begleitet. Und auf den er in einem Vierteljahr schon 44.000 Kilometer draufgefahren hat. Das sind geschätzte 2.000 mal um den See herum.

Vom Parkplatz aus geht Toni die paar hundert Meter zu Fuß nach Hause und lässt die Nacht nochmal revue passieren. Bis Mittag wird er ungefähr schlafen. Dann den Tag mit seiner Frau verbringen. Bis es um 16:45 Uhr wieder heißt: „Grias di. Taxi Jasinski. I bin’s der Toni.“

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