Holzkirchner Stimme: Sie gelten als einer der beliebtesten Ärzte hier in Otterfing. Worauf führen Sie das Vertrauen der Patienten zurück?
Franz X. Kühnel: Für mich war schon immer das ganzheitliche Menschenbild die Basis für eine gute Allgemeinmedizin. So ein Ansatz hat damals, in den frühen 80-er Jahren, Erstaunen und Widerstand hervorgerufen. Aber ich hatte als junger Assistenzarzt mit Chefarzt Peter Bayerl am Tegernseer Krankenhaus einen hervorragenden Lehrer.
Holzkirchner Stimme: Dieses Denken ist heutzutage verbreiteter. Aber wie konnten Sie diesen Ansatz zu jener Zeit in einer Klinik umsetzen?
Kühnel: Schwierig, schwierig. Der Krankenhausalltag ließ sich nur schwer mit dem Gedanken einer ambulanten Medizin umsetzen. Wir haben die Patienten tatsächlich am Abend besucht, wir kümmerten uns um die Menschen – und haben dadurch sehr viel weniger Schlafmittel gebraucht. Das hat übrigens die niedergelassenen Allgemeinmediziner sehr erstaunt.
Holzkirchner Stimme: Für die 80-er Jahre war das schon fast revolutionär! Konnten Sie das Konzept in Ihre Praxis übernehmen?
Franz X. Kühnel: Ja. Aber die Menschen waren vor allem dankbar, dass wir Gespräche mit ihnen geführt haben.
Holzkirchner Stimme: Wie sahen solche Gespräche aus?
Kühnel: Wir fragten uns: Warum hat die Person Migräne? Dahinter steht die Grundidee: Somatische Erkrankungen haben eine psychische Ursache. Wir haben uns die Zeit genommen, mit den Menschen zu reden, damit sie ihre Probleme loswerden konnten.
Holzkirchner Stimme: Wie reagierten die Patienten, die im Wartezimmer warten mussten?
Kühnel: Sie hatten Verständnis, weil sie wussten, dass wir uns auch für sie Zeit nehmen, wenn sie es brauchen.
25 Jahre lang Gemeinderat
Holzkirchner Stimme: Wie groß war denn das Verständnis von den Krankenkassen zu jener Zeit für eine gesprächsintensive Behandlung?
Kühnel: Die hausärztliche Versorgung ist ein Politikum: Die technische Medizin wird besser honoriert als die zwischenmenschliche Kommunikation. Ja, das führt zu Konflikten.
Holzkirchner Stimme: Woran denken Sie da?
Kühnel: Zum Beispiel an den Aufruhr in Nürnberg vor einigen Jahren. Als 7.000 Hausärzte drohten, ihre Kassenzulassungen zurückzugeben. Aber das ist dann doch missglückt, weil viele Ärzte Angst hatten,
danach im Regen zu stehen.
Holzkirchner Stimme: Und Sie, waren Sie in Nürnberg?
Kühnel: Ich habe die Aktion unterstützt und war dort. Als Mitglied des Hausärzte-Verbandes, nicht aber als Funktionär.
Holzkirchner Stimme: Aber Sie sind trotz Ihres starken beruflichen Einsatzes auch ein politisch engagierter Mensch. Auch hier in der Gemeinde Otterfing. Da waren sie 25 Jahre lang Gemeinderat.
Kühnel: Mich interessiert die soziale Situation der Leute. Schon immer. Als ich gefragt wurde, ob ich für den Gemeinderat kandidiere, konnte ich nicht Nein sagen. Aber das war keine einfache Aufgabe in
so einem Gremium zu arbeiten. Ich bin oft in Konflikt geraten, wenn ich eine Entscheidung treffen musste.
Holzkirchner Stimme: Wie ist das in einer kleinen Gemeinde, wenn man so bekannt ist wie Sie?
Kühnel: Als jemand, der vor Ort lebt und arbeitet, hatte ich mehr Konflikte als Kollegen, die in München gearbeitet haben. Wenn es um die konkreten Probleme von Einzelnen ging, die man gegen die Bedürfnisse der Allgemeinheit abgrenzen musste, war oft Durchhaltekraft gefragt. Ich habe wirklich großen Respekt vor diesem Amt.
Täglich erreichbar, auch am Wochenende
Holzkirchner Stimme: In den TV-Serien sind die Landärzte oft rund um die Uhr im Einsatz. Wie war das in Ihrem Arbeitsleben?
Kühnel: Ich war täglich erreichbar, eigentlich immer. Auch am Wochenende. Wenn es um Notfälle ging. Außerdem gab es Bereitschafts- und Notarztdienste. Das ist der Job eines Arztes. Auch wenn man
manchmal stöhnt: Es bringt Abwechslung und macht Spaß.
Holzkirchner Stimme: Wie ließ sich Ihr Beruf mit ihrem Privatleben vereinbaren?
Kühnel: Ich habe sechs Kinder. Ich war immer mittags zuhause, deshalb habe ich viel von ihrer Entwicklung mitbekommen. Jetzt sind sie in alle Winde verstreut.
Holzkirchner Stimme: Wie viele sind in Ihre Fußstapfen getreten?
Kühnel: Ein Sohn ist Anästhesist in München. Und eine Tochter geht jetzt als Kinderärztin nach Fulda.
Holzkirchner Stimme: Und keiner möchte die Praxis übernehmen?
Kühnel: Nein. Sie leben ihr Leben. Und das ist okay so.
Der Ruhestand wartet
Holzkirchner Stimme: Am 1. Juli hat Ihr Nachfolger Martin Ulbrich die Praxis übernommen. Sie werden viel mehr Zeit haben. Was planen Sie?
Kühnel: Keine Weltreisen! Dafür ist die Welt zu groß. Und zu schön.
Holzkirchner Stimme: Zu schön …?
Kühnel: Weil ich nicht alles sehen kann, was ich mir wünsche. Deshalb vermeide ich diesen Frust. Aber ich werde meine Kinder besuchen, wenn sie in fernen Ländern leben. Ein Sohn lebt als Meteorologe in Norwegen. Da waren wir natürlich.
Holzkirchner Stimme: Also, noch einmal: Auf was freuen Sie sich im Ruhestand?
Kühnel: Spontan sein. Meine Kinder unterstützen. Zum Beispiel die Enkel in die Schule fahren. Ich habe acht Enkel … aber nur drei sind vor Ort und schulpflichtig.
Holzkirchner Stimme: Was wünschen Sie Ihren Patienten?
Kühnel: Die bestmögliche Betreuung. Und ich bin dankbar, Dr. Ulbrich gefunden zu haben. Denn er verfolgt ähnliche ganzheitliche Ansätze wie ich. Ich wünsche mir, dass mehr junge Ärzte sich für die
betreuende Medizin einsetzen, die Familien bei ihren Alltagssorgen begleiten und helfen, Weichen zu
stellen.
Holzkirchner Stimme: Danke für das Gespräch und alles Gute für Ihren Ruhestand.
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