Wenn Übermotivation die Existenz gefährdet
Nebulöse Ermittlungen gegen die Kirchengemeinde Tegernsee

von Redaktion

2022 wurde das Tegernseer Pfarramt durchsucht. Es soll um die Veruntreuung von Spendengeldern und die private Nutzung eines Dienstfahrzeugs gehen, doch Strafrechtliches kam bisher nicht heraus. Hat ein ehemaliger Kirchenvorstand bloß Staub aufgewirbelt?

Die evangelische Kirche in Tegernsee. Die Stimmung ist hin. Foto: Redaktion.

Im November 2022 werden Räume der evangelischen Kirchengemeinde Tegernsee von Polizisten aus Rosenheim durchsucht. Es geschieht auf Anweisung der Münchner Staatsanwaltschaft II. Dort geht man von einem Verdacht der Untreue eines kirchlichen Funktionsträgers aus. Geld soll der Pfarrer eingestrichen haben. Konkret: Kollektengeld aus den Gottesdiensten sowie weitere Spenden. Zudem sollen Fahrtenbücher des Dienstwagens nicht ordnungsgemäß geführt worden sein. Insgesamt geht es um 9000 Euro, die in die Tasche des Verdächtigen geflossen sein sollen. Allein: Die Vorwürfe bleiben nebulös, denn sie kommen vor allem aus einer Richtung:

Tegernsee, Rosenheim und Ansbach

Die evangelischen Kirchen sind so organisiert, dass ihre Finanzen und damit alle finanziellen Angelegenheiten einer zentralen Verwaltungsstelle gemeldet werden und dort bearbeitet werden. Für Tegernsee ist die Verwaltungsstelle der evangelischen Kirsche in Rosenheim zuständig. Darüber gibt es die Landeskirche in Ansbach, die Pfarreien und deren Verwaltung überprüft. In dem Revisionsbericht der Landeskirche wird bisher nur organisatorisches Fehlverhalten beanstandet.

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Nun ermitteln Beamte, aber auch Revisoren der Kirche. Letztere kommen zwar zu dem Schluss, dass es keine strafrechtlichen Vergehen gegeben habe, aber die Ermittlungen gehen weiter. Wer ist der Mann, der hier in das Visier der Ermittler kam? Nennen wir ihn zum Schutz seiner Privatsphäre Michael W. Obwohl es fast unerheblich ist: Das Tal ist überschaubar. Man kennt sich. Schnell verbreitet sich die Nachricht.

Erst wird hinter vorgehaltener Hand über den Fall berichtet, bald schon werden auch wir aufgefordert, über diesen Fall zu berichten. Wir recherchieren. Doch ein grobes Vergehen springt uns erstmal nicht an. Die Folgen für den Verdächtigen stehen aus unserer Sicht in keinem Verhältnis zu einem möglichen Anspruch auf Veröffentlichung. Wir wollen nicht vor einer Gerichtsverhandlung die Existenz eines Menschen und seiner Familie in Gefahr bringen. Der Mann ist bekannt im Tegernseer Tal. Er sammelt Spenden, ist ehrenamtlich extrem stark engagiert. Hat manchem Bürgermeister aus der Patsche geholfen, in dem er rechtlich einklagbare KITA-Plätze aus dem Nichts schuf. W. ist ein Mann, der brennt. Der sich engagiert, Pflegekinder in seiner Familie aufnimmt. W. ist offen, möglicherweise auch naiv, anderen Mitmenschen gegenüber. So berichten es Mitglieder der Kirche. Aber Untreue? Das ist für einen Kirchenmann ein existenziell bedrohlicher Vorwurf. Wir entscheiden uns gegen eine Veröffentlichung des Falles.

Auftritt Hans K.

Über Monate schwebt über dem Verdächtigen das Ermittlungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft will einen Prozess, bummelt aber mit den Ermittlungen. Der Amtsrichter in Miesbach lehnt eine Hauptverhandlung ab, fordert weitere Ermittlungen. Ein herber Schlag für die Münchner. Aber von wem hat die Staatsanwaltschaft in München die Informationen über eine mögliche Untreue?  

2014 zieht Hans K. (Name ebenfalls von der Redaktion geändert) nach Tegernsee. Zuvor hatte er Jahre in der Staatskanzlei der bayerischen Regierung gearbeitet. Nun ist er pensioniert. Er hat viel Zeit. In Tegernsee sucht er Anschluss, so die Erzählung. Er will sich engagieren und schaut sich verschiedene Vereine des Tals an – auch die evangelische Kirchengemeinde. Hier ist man über jeden Ehrenamtlichen glücklich, wählt ihn gleich in den Vorstand.

Doch das Verhältnis zwischen Funktionsträger und K. verschlechtert sich. Es geht um Kompetenzen, die Rede ist von einer “gewissen Übermotivation”. Die Pandemie rollt über das Land. K., so steht es in einem Protokoll der Gemeinde, leidet sehr darunter: “Als aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen zunächst nur online kommuniziert werden konnte, entwickelte sich bei ihm die Vorstellung, dass sich der KV (Kirchenvorstand, Anmerkung der Redaktion) heimlich hinter seinem Rücken treffen würde, um ihn auszugrenzen, wie wir später erfuhren. Sein Ton in den Mails wurde aggressiver und polarisierender, er war inhaltlich und emotional kaum noch erreichbar.”

Als die Tegernseer Stimme K. zu dem Fall befragt, weigert er sich, Auskunft zu geben. Er sei Zeuge, so schreibt er uns, könne zum jetzigen Zeitpunkt keine Stellungnahme abgeben. K. war vor seiner Tätigkeit in der Staatskanzlei als Polizist tätig. Er dürfte weitreichende Kontakte zu staatlichen Ermittlungsbehörden haben.

K. nimmt den Funktionsträger ins Visier. Die Kirchengemeinde schreibt dazu: “Zusammen mit zwei inzwischen ausgeschiedenen Mitarbeiterinnen sammelte und dokumentierte er dann heimlich angeblich belastendes Material, das diese ihm zukommen ließen bzw. zukommen lassen sollten. Auch zahlreiche Fragen, scheinbar ohne Zusammenhang z. B. zu den Dienstfahrzeugen oder Jahresrechnung, dienten dieser Materialsammlung. Sein Amt und seine Verantwortung als Kirchenvorsteher hat er nicht genutzt, um Probleme anzusprechen und zu lösen, sondern um heimlich an Informationen zu gelangen.”

Diese Privatsammlung wird den Münchner Ermittlern zur Verfügung gestellt, K. lässt die Staatsanwaltschaft arbeiten. Ermitteln jetzt seine einstigen Kollegen? Die Vorwürfe sind mal heftig – da wird von nicht ordnungsgemäßem Weiterleiten von Spenden gesprochen – mal sind es Kleinigkeiten, wie der Verzehr von Gemeindeverpflegung bzw. von Grillgut. Aber die Vorwürfe reichen aus, um einen Menschen, zu zerstören. K., so beschreiben es Mitglieder der Gemeinde, entwickelt über die Wochen einen unglaublichen Eifer, möglichst viele Ungereimtheiten zu sammeln.

Im November 2022 erfolgte die Hausdurchsuchung. Zeugen berichten, es sei ein Spektakel wie bei einer Terror-Fahndung gewesen. Mehr als ein Dutzend Beamte der Staatsanwaltschaft und der Polizei Rosenheim waren vor Ort. Mitarbeiterinnen der örtlichen KITA werden Zeuginnen einer gründlichen, harschen Durchsuchung. Für die Familie des Funktionsträgers ist das besonders hart. Einen Steinwurf entfernt wohnt K. Beobachtet er von hier das Werk seiner alten Kollegen aus München?

Blinder Eifer?

Heute, vierzehn Monate später: Noch immer ist man bei der Staatsanwaltschaft nicht weitergekommen. Bislang bleiben unsere Anfragen an die Behörde unbeantwortet. Anders bei den kircheninternen Ermittlern: In einem Bericht der Revisionsabteilung der evangelischen Landeskirche in Ansbach liest man: “… es konnten keine direkten Hinweise auf strafbare Handlungen festgestellt werden.” Lediglich organisatorisches Fehlverhalten des Funktionsträgers wird beanstandet. Hier fehlen mal alte Kollektenbelege, dort ist das Fahrtenbuch in den vergangenen Jahren nicht immer ordnungsgemäß geführt worden. Doch Gerüchte reisen schnell und der Merkur greift sie in einem Artikel auf.

Die ärgert Peter Friedrich Sieben, im Kirchenvorstand der Gemeinde: “Ich nehme Kopfschütteln bis hin zur Verärgerung über diese verzerrte und falsche und damit verantwortungslose Berichterstattung wahr. Der Kirchenvorstand und die Mitarbeiter sind von Anbeginn an mit der Angelegenheit befasst.”

Besonders seltsam findet Sieben die Berichterstattung vom Samstag: “… deshalb ist die Behauptung, ‘der Friede sei dahin in der ev. Kirche und es würde hinter unseren Mauern rumoren’ völlig aus der Luft gegriffen und absoluter Quatsch. Der Autor hätte mit uns reden sollen, bevor er so etwas schreibt, dann hätte er diese und andere falsche Behauptungen vermeiden können.”  

Die Kirchengemeinde hat den eifrigen Pensionär bereits im Januar 2023 aus dem Vorstand ausgeschlossen. Die Stimmung in der Gemeinde ist gereizt. Peter Friedrich Sieben sieht hier einen Mann mit blindem Eifer am Werk: “(Z)… wurde aufgrund eines eklatanten Vertrauensbruchs aus dem Kirchenvorstand ausgeschlossen. Dass er sich inzwischen bis hin zur Landeskirche in ein Ehrenamt zurückklagt, wo ihn niemand mehr haben möchte, sagt eigentlich schon alles. Zumal Dekanat und Landeskirche den Ausschluss klar bestätigt haben.”

Inwieweit der besagte Artikel auf einseitig weitergegebene Informationen beruht, können wir nicht belegen, aber es bleibt zumindest auffällig, mit welchem Engagement hier vorgegangen wird. Der Kirchenmann, dem in den vergangenen Wochen kurz hintereinander beide Eltern verstarben, ist sichtlich angegriffen. Für einen Funktionsträger wie ihn sind Ehrlichkeit und Transparenz im Umgang mit Geldern essenziell, zumal auch existenziell.

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