Erst nachdenken, dann “teilen”

Egal, wie man es nennt ‒ übler Scherz, Masche, Kettenbrief, Hoax, „urban legend“ – die Geschichten funktionieren immer gleich. Ein Empörungsthema wird gesucht, eine Bedrohung, irgendetwas, das viele Menschen berührt.

So auch die aktuelle Warnung an Waakirchner Eltern über einen vermeintlichen Missbrauchsfall in Point. Obligatorisch ist die Aufforderung, die Nachricht weiterzuverbreiten, „um andere zu warnen“. Seit Tagen verbreitet sich die Falschmeldung über Facebook.

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VERDACHT AUF SEXUELLEN KINDESMISSBRAUCH IN WAAKIRCHEN/POINT

„Liebe Waakirchner/Schaftlacher Eltern, bitte fragt bei euren Kinder nach, ob ihnen im Bereich Waakirchen/Point etwas in der Richtung zugestoßen ist, bzw. ob sie etwas gehört/beobachtet haben, und meldet dies bitte bei der Polizei.
 Es wird gegen einen Anwohner der Point aufgrund der sehr glaubwürdigen Aussage eines 7-jährigen Jungen ermittelt, von daher möchte ich euch bitten, dies zu teilen, damit alle Eltern gewarnt sind und wissen, WER bzw. WAS eventuell in ihrer Nachbarschaft wohnt.“

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Wie soll man sich als Facebook-Nutzer verhalten, wenn man so eine Nachricht bekommt? Die meisten finden das Thema berechtigterweise sehr brisant und wichtig. Kinder muss man vor sexuellem Missbrauch schützen, keine Frage. Aber statt diese Aussage zuerst zu hinterfragen, wird fleißig geteilt. So hat man das Gefühl, man würde etwas gegen den angeblichen Missbrauchsfall tun und so andere Kinder schützen.

facebook hoax
Der aktuelle Facebook-Hoax

Doch das Brisante an der Sache ist, dass selbst die Beamten der Polizeidienststellen im Landkreis von dem aktuellen „Waakirchner Fall“ nichts wissen. Es liegen keine Hinweise, keine konkreten Anzeigen und schon gar keine Verdachtsmomente vor, die im Zusammenhang mit einer Ermittlung stehen würden. Derzeit scheint es so, dass sich tatsächlich „nur“ jemand einen Scherz erlaubt hat. Es kann aber auch gut sein, dass jemand anderes bewusst verleumdet werden soll.

Der „Erfolg“, dass die Nachricht ohne Nachdenken weiterverbreitet wird, ist den „Urhebern“, egal ob aus Kalkül oder wie die Multiplikatoren aus Unwissenheit, gewiss. Trotz allem bleiben solche Meldungen nicht ohne Folgen: man schürt damit eine gewisse Panik bei Eltern und Familien und sorgt für Unruhe. Und auch jüngeren Kindern, die diesen Post auf ihrer Facebook-Seite finden, wird sicherlich am nächsten Tag mulmig zumute sein, wenn sie auf dem Weg zur Schule sind.

Der weiße Bus

Letztes Jahr um dieselbe Zeit gab es einen ähnlichen Vorfall. Es ging scheinbar darum, dass der Fahrer eines weißen Kleinbusses Kinder an Haltestellen im gesamten Landkreis ansprechen würde und diese zum Mitfahren auffordere, da angeblich der Schulbus defekt sei. Man sollte bitte alle Eltern und natürlich auch die Kinder warnen. Doch auch in diesem Fall konnte schnell Entwarnung gegeben werden.

Die Polizei wusste nichts von einem „weißen Bus“ ‒ und schon gar nichts von einer zwielichtigen Person, die sich an Kinder „ranmacht“.
 Der „weiße Bus“ war tatsächlich ein deutschlandweites Phänomen, das wahlweise als „grüner Kastenwagen“ oder „alter VW-Transporter“ weiterverbreitet wurde. Eine Falschmeldung, die es bis in die Zeitungen schaffte.

Nicht „teilen“ – nachdenken und melden

Trotz all der Empörung und der scheinbaren Gewissheit, durch das unbedachte Teilen auf Facebook zu helfen, ist das nicht die Lösung eines möglicherweise ernsten Problems. Denn sollte an den immer wieder aufkommenden „Geschichten“ etwas dran sein, sind die wirklich entscheidenden Ansprechpartner die ermittelnden Beamten.

Diesen ‒ und eigentlich auch nur diesen ‒ sollte eine solche Nachricht zugetragen werden. Bei einem echten Interesse an der Aufdeckung eines sexuellen Missbrauchs, dem Schutz der Nachbarn und anderer Kinder ist der Appell einfach: Hörer in die Hand nehmen und kurz bei der Polizei nachfragen oder die Beamten über den vermeintlichen Vorfall informieren. Das hilft tatsächlich und schürt nicht unnötig Panik.

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