„Ohne Sprache geht nichts“

Mittwochabend kurz vor halb sieben: ein Dutzend Männer macht sich zu Fuß auf den Weg von der Tegernseer Turnhalle in Richtung Reisberger Hof. Das Ziel ist gleichzeitig auch die einzige Abwechslung in ihrem Wochenrhythmus: der gemeinsame Deutschkurs an der Tegernseer Volkshochschule.

In vier Schritten führt das landkreiseinheitliche System zu guten Deutsch-Kenntnissen
Marcos Román bringt den Asylbewerbern deutsch bei.

Hier in dem altehrwürdigen Gebäude in der Max-Josef-Straße drücken die Männer die Schulbank. Auch eine Frau ist darunter. Marcos Román – ihr Deutschlehrer – ist schon da. Etliche Skripte und Bücher hat er mitgebracht. Ein buntes Spielebuch, ein Lehrerhandbuch und natürlich ein Arbeits- und Kursbuch liegen bereit auf dem Tisch.

Dank dem „Arbeitskreis Sprache“ lernen alle Asylbewerber im Landkreis nach demselben System. Max Niedermeier und Gerhard Klante hatten das einheitliche Konzept ausgearbeitet, weiß Niggl. Jetzt fangen alle mit demselben System an. Das hat entscheidende Vorteile. Denn – zieht ein Asylbewerber einmal von Tegernsee etwa nach Holzkirchen um – so kann er sich sofort wieder in das selbe Deutsch-Kurs-System integrieren.

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Schritt für Schritt zu gutem Deutsch

„Schritte plus 1“ – so heißt das System, nach dem die Asylbewerber Deutsch lernen. Es ermöglicht auch Analphabeten, wie sie Marcos in seinem Kurs hat, nach einiger Zeit die ungewohnte Sprache zu verstehen und zu sprechen. „Guten Tag“, so fängt der Kurs an diesem Tag für alle an. Die Gruppe begrüßt vhs-Leiterin Anette Niggl, die kurz zur Tür hereinschaut.

Nach der Lektion – wie man begrüßt, nach Namen fragt oder sich selbst vorstellt – folgt Lektion 2, in der es um den Wohnort, die Herkunft, Adresse und Telefonnummer geht. Lektion 3 schließlich befasst sich damit, wie es jemandem geht. Das Befinden, aber auch Vorlieben oder Abneigungen stehen im Mittelpunkt. In Lektion 4 schließlich sprechen die Gruppenteilnehmer über Lebensmittel, über Einkaufen gehen, darüber wie man Preise beim Einkauf abliest oder was das eigene Lieblingsessen ist.

Anette Niggl hat sich überzeugt, dass der Kurs gut läuft. Sie nimmt gleich die ausgefüllte Anwesenheitsliste mit. „Yaya, Yonas, Suleman, Samial, Ibra, Patience“ und etliche andere Namen sind nach Vor- und Nachnamen untereinander aufgelistet. Alle Teilnehmer bestätigen mit einem Kugelschreiber, dass sie da waren.

Ohne Sprache geht nichts

Häufig ist im Deutschkurs für die Asylbewerber aber ein steter Wechsel zu verzeichnen. Bedingt dadurch, dass die Tegernseer Turnhalle nur eine kurzfristige Unterbringungsmöglichkeit ist, kommen und gehen die Menschen dort alle paar Wochen.

Niggl freut sich aber, dass der Kurs trotzdem gut angenommen wird. Denn: Deutschlernen ist Pflicht, auch für die Eritreer, Somalier oder die Flüchtlinge, die aus Mali hierher gekommen sind.

Ohne Sprache geht nichts.

So meint sie lachend. Sie erinnert sich noch an die Anfänge des Kurses im vergangenen Herbst, als die ersten Asylbewerber nach Tegernsee kamen. Inzwischen ist man schon bei der dritten Staffel angelangt. „Am Anfang war es schon Neuland für uns“, so Niggl. Doch man hat sich schnell mit der neuen Situation arrangiert und ist jetzt gut gewappnet für die wissbegierig Deutsch-Lernenden.

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Zweimal pro Woche lernt jetzt jede der insgesamt drei Gruppen eineinhalb Stunden lang ihr Deutsch-Wissen. Das große Ziel jeder Gruppe sei es, so Niggl, das „A1 Sprachzertifikat“ abzulegen. Das garantiert: „Ich verfüge über Grundkenntnisse der Deutschen Sprache“. Doch für manche liegt das Zertifikat noch in weiter Ferne.

Eine Sprache zu lernen geht langsam

Marcos schreibt mit Kreide das Alphabet an die Tafel. Nach und nach holt er auch einige der Schüler an die Tafel. Dann wirft der Referent seinen kleinen mitgebrachten Fußball reihum. Er soll spielerische Aufforderung sein für jeden, sich namentlich vorzustellen oder zu sagen, wo die eigene Heimat ist.

Als Lernmittel dienen weiterhin Brettspiele, Bildkärtchen, Zeitungen, CD-Roms, Fotos oder auch Rollenspiele. Marcos schätzt einen aktiven Lernprozess. Denn da lernt man am meisten. Und er eignet sich auch für die Analphabeten, die noch nie eine Schule von innen gesehen haben.

„Eine Sprache zu lernen ist ein ganz langsamer Prozess.“ So weiß Marcos. Erste Wörter lernen die Schüler phonetisch, z.B. „Ich heiße Ali.“ Erst viel später drücken sie sich schriftlich aus. Von außen betrachtet, sieht alles sehr rührig aus in dem Kurs. Reihum lesen sie Sätze laut vor und wiederholen, bis die Aussprache sitzt. Bei Fragen von Marcos Román, dem Deutschlehrer, brechen manchmal Diskussionen im Flüsterton aus, bis einer eine Antwort wagt.

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Nickende Köpfe, Stirnrunzeln, Zählen, Verben konjugieren, Vokabular wiederholen. Nach eineinhalb Stunden Unterricht schütteln alle dem Lehrer die Hand und kehren in ihre Unterkünfte zurück. Marcos, der eigentlich als Dozent an der Universität für Romanistik und Philologie tätig ist, findet die Deutschkurse mit den Asylbewerbern sehr erfüllend.

„Ein paar haben mir gesagt, sie genießen die Schule.“ So etwas nehme er als großes Lob mit. Obwohl er schon viele Sprachen beherrscht, beginne er jetzt damit, Arabisch zu lernen. Ob den Asylbewerbern oder sich selbst zuliebe, lässt er mit einem Schmunzeln offen.

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