Wie hat sich Corona auf die Psyche ausgewirkt?

Die Corona-Pandemie war für die Bevölkerung eine sehr schwere Zeit, das soziale Leben war komplett eingeschränkt. Welche Auswirkungen sind für die Psyche des Menschen geblieben?

Die KBO-Lech-Mangfall Klinik in Agatharied.

Die Corona-Pandemie brachte für die Menschheit innerhalb kürzester Zeit einen Lebenswandel. Das soziale Leben wurde komplett eingeschränkt und für viele Menschen folgten Stunden der Einsamkeit. Welche Auswirkungen dies auf die menschliche Psyche hatte, erklärt uns Prof. Dr. Michael Landgrebe, Chefarzt der kbo-Lech-Mangfall-Klinik in Agatharied. 

Herr Prof. Landgrebe, wie ist die momentane Belastung der Mitarbeiter in der Klinik? 

Landgrebe: Im Moment sehr hoch. Wir haben immer wieder coronabedingte Personalausfälle und auch die Schutzmaßnahmen wie den ganzen Tag eine Maske zu tragen oder Schutzkleidung anzuziehen, falls ein Patient positiv getestet ist, belastet ziemlich. 

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Aktuell sind die Infektionszahlen gesunken. Trotzdem steht der Winter bevor und keiner weiß, was kommt – wie geht es den Patienten mit dieser Situation? 

Landgrebe: In der Vergangenheit hatten wir ein sehr strenges Besuchsverbot. Das war für die Patienten sehr belastend, denn diese waren teilweise völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Da unsere Patienten häufig deutlich länger in der Klinik sind als im Allgemeinkrankenhaus, waren diese starken Einschränkungen der Besuchsmöglichkeiten gerade für unsere Patienten besonders belastend. Von daher war es mir immer ein Anliegen, hier eine gute Balance zwischen Sicherheit (vor Corona) und optimaler Betreuung unserer Patienten zu finden.

Aktuell sind bei uns unter strengen Hygieneauflagen wieder Besuche erlaubt. Pro Patient darf ein Besucher für eine Stunde pro Tag kommen. Die Patienten selber haben allerdings immer noch gewisse Einschränkungen im Vergleich zu vor der Pandemie. Wir sind z.B. sehr zurückhaltend, was die Wochenendbeurlaubungen angeht, denn hier besteht natürlich im privaten Umfeld ein deutlich höheres Ansteckungsrisiko als unter den strengen Bedingungen des Krankenhauses. Ich denke aber, dass unsere Patienten damit gut umgehen können. 

Welche psychischen Erkrankungen nehmen sie aktuell vermehrt wahr und besteht ein Zusammenhang mit der Pandemie?

Landgrebe: Die Folgen der Corona-Pandemie zeigen sich erst so richtig in diesem Jahr. Am Anfang der Pandemie ist der Klinikbetrieb ja sehr stark eingeschränkt gewesen und wir mussten uns auf die Notfallversorgung reduzieren. In der Zeit hatten auch viele Menschen Angst in die Klinik zu gehen, da sie befürchteten, sich anzustecken. Hier sind wir unserem Versorgungsanspruch sicher nur sehr bedingt gerecht geworden und viele Patienten sind zu spät oder gar nicht in Behandlung gekommen.

Aktuell hat man schon den Eindruck, dass sich die Auswirkungen der Pandemie, mit massiven Einschränkungen auf das soziale Leben, Veränderungen der beruflichen Situation (Stichwort Home-Office und dadurch bedingte Isolation) und jetzt verstärkt durch neue Ängste durch Inflation und Ukraine-Krise zunehmend auch in einer Zunahme psychischer Probleme wie beispielsweise Depressionen und Angststörungen bemerkbar machen. Außerdem hat man den Eindruck, dass manche Patienten kränker sind als vor der Pandemie, viele sind vielleicht zu spät gekommen. Bei älteren Menschen stellt auch die Versorgung nach der Klinik ein Problem dar, da Pflegeplätze rar sind. 

Warum sind durch die Pandemie vermehrt psychische Erkrankungen entstanden?

Landgrebe: Vor allem aufgrund der Veränderungen der Lebensumstände. Die Umstellung auf Home-Office und dieses in sein Eigenheim zu integrieren. Dann die Einsamkeit, der Wegfall vom Freundeskreis, keine Freizeitaktivitäten mehr ausüben zu dürfen. Während der Lockdowns war alles geschlossen, es war kein sozialer Austausch möglich. Viele Kontakte haben die Menschen verloren. Das alles trägt dazu bei, den Ausbruch von Depressionen, Angststörungen zu fördern. Abhängigkeitserkrankungen haben zugenommen. Auch wenn viele der coronabedingten Einschränkungen in der Zwischenzeit wieder zurückgenommen worden sind, sehen wir doch immer noch die psychischen Folgen. Selbst jetzt hat sich bei Weitem noch nicht alles normalisiert. So meiden ältere Menschen aus Angst vor Ansteckung immer noch soziale Kontakte. 

Welche Altersgruppe ist davon am meisten betroffen?

Landgrebe: Im Prinzip alle. Es gibt auch junge Menschen mit schizophrenen oder Suchterkrankungen, die besonders betroffen sind. Aber gerade bei älteren Menschen, die beispielsweise am Übergang zum Altersheim stehen, sehen wir große Probleme, hier adäquate Lösungen zeitnah zu finden. 

Nehmen Sie wahr, dass die aktuelle Energiekrise auch zu psychischen Belastungen führt?

Landgrebe: Dieser Zusammenhang ist naheliegend. Uns alle beschäftigt die aktuelle Situation: Atomkriegsdrohungen, der Ukraine-Krieg, die Inflation. Eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Dies sind alles erhebliche Belastungen, die sich auf unsere Psyche auswirken und damit das Risiko erhöhen, an Depressionen oder Angststörungen zu erkranken. 

Die Klinik bietet eine sogenannte Tagesklinik. Was ist das und mit welchen Problemen kommen die Menschen in die Tagesklinik? 

Landgrebe: Die Tagesklinik liegt mir besonders am Herzen. Denn wir bieten hier dasselbe diagnostische und therapeutische Angebot an, wie bei einem stationären Aufenthalt. Sie deckt das gesamte Spektrum psychischer und psychosomatischer Krankheiten ab. Dennoch können die Patienten abends in ihr gewohntes Umfeld zurück und werden nicht aus ihrem Alltag herausgenommen. So können gelernte Inhalte oder Techniken (z.B. Umgang mit Konflikten oder Stress) gleich in den Alltag transferiert werden. Ein wirklich tolles Angebot, das ja auch politisch gewollt ist. Wir in der Psychiatrie haben das schon lange! Im Prinzip kann jeder Patient in der Tagesklinik behandelt werden. Nur in sehr schweren Fällen, die eine rund-um-die-Uhr-Betreuung benötigen, beispielsweise bei akuter Selbstmordgefahr, ist eine Behandlung in der Tagesklinik nicht möglich. 

Welche Behandlungsmethoden werden in der Tagesklinik häufig eingesetzt, um den Betroffenen zu helfen?

Landgrebe: Wir bieten das gesamte diagnostische und therapeutische Spektrum an. Psychotherapeutische Einzel- und Gruppentherapie, Musik-, Sport- und Kunsttherapie, aber auch Akupunktur, Aromatherapie und Entspannungstechniken kommen zum Einsatz. Wenn nötig, erfolgt eine begleitende Behandlung mit Medikamenten oder modernen Verfahren wie beispielsweise der transkraniellen Magnetstimulation, ein Verfahren, was gerade bei Depressionen sehr gute Erfolge bei hervorragender Verträglichkeit erzielen. 

Gibt es momentan noch freie Plätze für einen stationären Aufenthalt?

Landgrebe: Menschen in Krisensituationen helfen wir immer und die werden auch immer stationär aufgenommen, wenn dies notwendig ist. Ansonsten versuchen wir im Interesse unserer Patienten, die Aufnahmen zu planen, damit die Patienten auch auf den für das jeweilige Krankheitsbild spezialisierten Stationen (z.B. unsere psychosomatische Station oder die Spezialstation für ältere Menschen oder auch bei Entwöhnung von Alkohol) aufgenommen werden können. Hier können auch mal Wartezeiten bestehen, die sich aber in der Regel in Grenzen halten. Meist können wir in 1-2 Wochen einen Platz anbieten. Allerdings kommt uns hier leider immer noch die Corona-Pandemie in die Quere, die uns zwingt, infizierte Patienten zu isolieren. Dies kostet Kapazitäten. 

Haben viele Menschen Bedenken, sich in die Behandlung zu begeben und kommen deshalb häufig viel zu spät?

Landgrebe: Zu Beginn der Corona-Krise war dies in der Tat so, dass Patienten aus Angst vor einer Ansteckung nicht in die Klinik gekommen sind. Auch durften wir wie gesagt nur Notfallpatienten behandeln. Das hat sich glücklicherweise zu einem großen Teil normalisiert und wir als Klinik haben auch gelernt, mit der Pandemie zu leben. Es gibt aber sicher immer noch Patienten, die sich zumindest scheuen, in die Klinik zu kommen. Vielleicht aus Angst vor Ansteckung, gerade die Älteren, vielleicht auch aufgrund der weiterhin bestehenden Einschränkungen. Die Nachfrage ist aber auf jeden Fall groß und wir versuchen ihr gerecht zu werden! 

Wie merke ich, dass ich durch die aktuellen und vergangenen Krisen angeschlagen bin und vielleicht Hilfe brauche?

Landgrebe: Wichtig ist, achtsam mit sich selber zu sein, auf die Signale des Körpers zu hören. Warnzeichen sind häufig ein schlechter Schlaf, Unruhe und Nervosität. Aber auch vermehrtes Grübeln, negative Gedanken oder dass ich keine Freude mehr empfinden kann oder an nichts mehr Interesse habe, können Anzeichen einer beginnenden Depression sein. Spätestens dann sollte ich zum Arzt gehen!

Wie werde ich aufgenommen? Muss ich vorher anrufen?

Landgrebe: Im Notfall kann ich jederzeit in die Klinik kommen! Ansonsten haben wir ein Aufnahme- und Belegungsmanagement, dass telefonisch unter der Durchwahl 08026 / 393 2138 (Montag bis Freitag von 9.00h-16.00h) erreichbar ist. Hier wird direkt geklärt, ob und wann der Patient aufgenommen werden kann oder wir vermitteln eine andere Klinik, sofern wir keine Möglichkeiten zu einer Aufnahme haben. Außerhalb der genannten Zeiten sind wir über die Pforte des Krankenhauses Agatharied jederzeit im Notfall erreichbar. 

Wichtig ist mir, auf den psychiatrischen Krisendienst hinzuweisen. Hier bietet der Bezirk Oberbayern ein neues, innovatives Angebot, dass sich 24/7 an Menschen in seelischen Krisensituationen richtet. Das Angebot reicht von einer Telefon-Hotline bis hin zu Krisenteams, die sehr schnell, innerhalb von 1-2 Stunden direkt zum Patienten kommen. Der psychiatrische Krisendienst ist rund um die Uhr kostenfrei unter 0800/ 655 3000 telefonisch erreichbar. Ein wirklich tolles Angebot!

Gibt es abschließend noch etwas, was Sie besonders erwähnen möchten? 

Landgrebe: Die Betreuung und Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen liegt mir wirklich sehr am Herzen! Hier erleben wir aber leider immer noch, dass viele Menschen sich schwertun, Hilfe zu suchen. Teils aus Unwissenheit, dass sie an einer psychischen Erkrankung wie beispielsweise einer Depression leiden, teils aber auch aus Angst und Vorbehalten vor unseren Angeboten und unserer Klinik.

Die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen ist eine Aufgabe, der wir uns stellen und mit der wir alle uns auseinandersetzen müssen! Eine Depression ist wie ein Herzinfarkt eine furchtbare Erkrankung, die schnell und effektiv behandelt werden muss. Dafür stehen wir und bieten unseren Patientinnen und Patienten ein umfassendes diagnostisches und therapeutisches Angebot im ambulanten, teilstationären und stationären Rahmen an! 

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Prof. Dr. Landgrebe für die Zeit und das Interview!

Eine Station in der KBO-Lech-Mangfall-Klinik in Agatharied.
Die Stationen haben freundliche einladende Farben in der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Agatharied.
Bilder, die für eine gute Stimmung sorgen sollen auf den Stationen der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Agatharied.
Ausgestattet mit einem Tischtennis Bereich sind die Stationen im kbo-Lech-Mangfall-Klinik Agatharied.
Der Musiktherapieraum in der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Agatharied.
Die Flechtwerkstatt in der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Agatharied.

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