Kurz nach der Berichterstattung um Sternekoch Christian Jürgens erhalten wir einen anonymen Hinweis.
“Auch in der Gaststätte Dürnbecker wird man von der Chefin psychisch permanent unter Druck gesetzt”, so lautet der erste Satz einer E-Mail, die uns am 11. Mai erreicht. Seitdem sind weitere 18 E-Mails und ein Dutzend Sprachnachrichten dazugekommen. Sie enthalten Bedrohungen und Anschuldigungen ehemaliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich psychisch von Doreen Dietel bedroht fühlten – zum Teil noch immer darunter leiden. Dazu Dokumente, Links, Screenshots, Anwaltsschreiben, Videos und Sprachnachrichten. Die Fälle gehen fünf Jahre zurück.
Wer sich mit Doreen Dietel beschäftigt, betritt ein Paralleluniversum. Da ist die starke, selbstbewusste Schauspielerin, die über eine Blumenwiese rennt (Instagram), die Spinat-Fleischpflanzerl mit Dinkel für ihre Gäste kocht, vier Tage ihr Restaurant in Gmund führt, Gewichte hebt und sich fast täglich Zeit nimmt – für ihre 99.000 Follower. Da ist die Frau, die selbst davon erzählt, dass sie ein Stalking-Opfer sei. Die sofort ans Telefon geht und ihre Geschichte zu erzählen versucht, die die TZ im September 2022 veröffentlicht hat. Die TZ schreibt von zahlreichen Hasskommentaren und davon, dass Dietel einen Stalker habe, der sie beim Jugendamt angeschwärzt habe. Nur zwei Wochen später berichtet die BILD, dass sie gegen diese Person ein Annäherungs- und Kontaktverbot erzielt habe.
Vorwürfe
Der Mensch, den Dietel als Stalker verdächtigt, ist ein ehemaliger Kellner ihres Gmunder Cafés. Er spricht von “Victim-Blaming”, also davon, dass nicht er der Täter sei, sondern das Opfer und – dass es kurz nach seiner Meldung beim Jugendamt im August 2022 losging. Er habe Dietel, aus Sorge um das Wohl des Kindes, beim Jugendamt gemeldet. Warum? Dazu möchte Z. nichts im Internet lesen, weil er das Kind raushalten will. Im Anschluss habe ihn jemand telefonisch kontaktiert und ihm später über WhatsApp eine Einigung vorgeschlagen. Der Anrufer gibt sich als Anwalt von Dietel aus, so Z. Doch er ist skeptisch. Er lehnt ab. Zwei Stunden später sei dann die Frage gekommen, was er denn wolle? Als er wieder nicht darauf eingeht, wird der Ton schärfer: “Du bist ein kleiner widerlicher Psychopath”, gepaart mit, “du hast so schwer einen am Kopf”; alles vom gleichen Absender. Drei Wochen später postet Dietel ein Foto von Z. und verlinkt es mit seinem Facebook-Profil – so der Vorwurf: “Das ist die Seite des Irren” – gefolgt von einem weiteren Post mit seinem Namen: “Das ist der Stalker”; Screenshots dazu liegen uns vor. Später soll Dietel auch die vollständige Adresse von Z. veröffentlicht haben.
Ab diesem Moment ist es egal, was Z. gemacht hat, ob er je etwas gemacht hat.
An diesem Tag wird Z. zum Abschuss freigegeben. Bild, Promiflash und andere übernehmen die Stalker-Geschichte. Das Narrativ wird zum Selbstläufer. Z. bekommt daraufhin Hunderte Hassnachrichten, Menschen sprechen ihn auf offener Straße an, nachts klingelt jemand Sturm. Bald traut er sich nicht mehr aus dem Haus, bekommt Panikattacken, geht zwei Wochen in die Klinik. Dann die Entscheidung: Viele Jahre war das Tegernseer Tal sein Lebensmittelpunkt – doch frei bewegen ist gestern. Die Bäckerei am Ort, wo er Freunde und Bekannte zum Kaffee trifft, ist zu nah an Dietels Gastrobetrieb. Nachdem er die Vorwürfe nicht entkräften kann, die Spirale anzieht, zieht er schließlich weg.
Alles für die Headline?
Was komisch bleibt; Doreen Dietel soll mit ihren Mitarbeitern grundsätzlich fair umgehen. Auch Z. erzählt, dass sie im Betrieb sehr umgänglich und freundlich sei. Hier geht es also nicht darum, ob sie eine coole oder ätzende Chefin ist. Es geht um die Frage: Werden Aushilfen, ehemalige Mitarbeiter gemobbt für 24-h Storys? Alle Nachrichten und Daten deuten darauf hin, dass Nach-der-Kündigung vor der Headline ist. “Das System ist simpel. Frau Dietel bezichtigt öffentlich Mitarbeiter irgendetwas gemacht zu haben. Dann kommt das in die Printmedien und sie hat Aufmerksamkeit und bekommt Geld”, schreibt unsere Quelle. Manche soll sie auf Social-Media beschuldigt haben, Wein oder Geld geklaut zu haben, eine Beschäftige soll sich heimlich Zutritt verschafft haben, um die Kühlschränke vom Strom zu nehmen. Doch darüber reden wollen nur wenige: “Die anderen alle haben natürlich Angst zu reden. Wer will schon gerne Morddrohungen oder ähnliches erhalten …”, kommt als E-Mail-Antwort, als wir von unseren – oft mühsamen – Kontaktaufnahmen erzählen. Und ergänzend in einer späteren Nachricht: dass sie “Ex-Angestellte” seien, “denen gleiches widerfahren ist.” Eine ehemalige Mitarbeiterin schildert uns am Telefon, dass sie nicht mehr reden wolle, weil es sie so lange psychisch belastet hat.
Dietels Sicht
Wir konfrontieren Doreen Dietel am Telefon mit den Vorwürfen und bitten anschließend per E-Mail um eine schriftliche Stellungnahme. Sie ist zugänglich, aber nicht überrascht über den Anruf. Erzählt ihre Version, dass sie wisse, wer hinter diesen Hinweisen stecke und dass es darum gehe, sie zu bedrohen. Auch auf die Frage, warum sie so wenig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter habe, reagiert sie gelassen. Sagt, sie koche allein, weil sie das eben stemmen kann und weil sie schlechte Erfahrungen gemacht habe.
Fügt ein wenig später hinzu, dass alle “Köche Choleriker oder Alkoholiker” seien und “an der Flasche hängen”. Zur Auflistung der Vorwürfe (Bedrohungen per SMS, Verfolgungen und üble Nachrede), schreibt sie: “Hier wird versucht, den Spieß umzudrehen. Es werden seit geraumer Zeit üble Nachreden über MICH (sic) verbreitet und aus dem Zusammenhang gerissene Nachrichten verbreitet. Ich bin nicht Täterin, sondern Opfer.” Auf die Ansage, dass ehemalige Mitarbeiter sich psychisch angeschlagen fühlen und große Angst vor ihr haben, reagiert sie mit: “Von angeblichen Angstzuständen oder Therapien weiß ich nichts, wenn diese stattgefunden haben sollten, dann ganz bestimmt nicht wegen mir! Es ist aktuell eher umgekehrt! ICH (sic) habe Angst-Attacken, weil ich extrem verleumdet und öffentlich gedemütigt werde.”
Unser Nachhaken, wie viele Mitarbeiter sie in den letzten Jahren beschäftigt hat, wiegelt sie ab: “Ich weiß nicht, was diese Frage mit der Klärung der Vorwürfe zu tun haben soll. Sie ist irrelevant.” Im Google-Eintrag zu ihrem Café steht: “… Ich bin nun fast 5 Jahre durch immer wiederkehrende Enttäuschungen gegangen, was das Personal angeht, und bekoche seit August 2022 mit großer Leidenschaft & Hingabe meine Gäste persönlich, bediene & serviere.”
Randnotiz:
Wir haben die Kommentarfunktion für diesen Beitrag geschlossen und einige Kommentare, auf die wir aufmerksam gemacht worden, gelöscht. Da es sich hier nicht mehr um einen sachlichen Austausch handelt, und das Gros der Kommentare nicht mehr zur Klärung der Sachlage beiträgt. Mit der Bitte um Verständnis. (Aktualisierung 30.06. 2023)
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