Sitzt ein Unschuldiger im Gefängnis?

Eine alte Frau wird leblos, kopfüber in ihrer Badewanne gefunden. Das ist fast sieben Jahre her. Manfred Genditzki wurde im sogenannten “Badewannenmord von Rottach-Egern” zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch der frühere Hausmeister bestreitet die Tat noch immer. Rechtsanwältin Regina Rick will den Fall wieder aufrollen. Eine Mammut-Aufgabe.

In einer Badewanne wie dieser ist Lieselotte K. ums Leben gekomen.
In einer Badewanne, wie dieser, ist Lieselotte K. ums Leben gekommen.

“Ich brauche etwas absolut Neues”, sagt Regina Rick, Rechtsanwältin aus München und von Manfred Genditzki damit beauftragt, den sogenannten “Badewannen-Mord von Rottach-Egern” wieder aufzurollen und eine Wiederaufnahme zu erreichen. Seit etwa einem Jahr arbeitet sie bereits an dem Fall.

Am 28. Oktober 2008 wurde Lieselotte K. aus Rottach-Egern kopfüber in ihrer Badewanne gefunden. Sie war ertrunken. An ihrem Kopf fand die Gerichtsmedizin später Blutergüsse unter der Haut, die auf “stumpfe Gewalt” hinweisen, wie es in der Rechtsmedizin heißt: Sie könnte erschlagen worden oder auf die Kante der Badewanne gestürzt sein.

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Zwei umstrittene Urteile

Knapp eineinhalb Jahre später wird Manfred Genditzki wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil ist umstritten. Sein Verteidiger beantragt Revision, dieser wird stattgegeben und es kommt zu einer zweiten Verhandlung. Doch das Gericht kommt zum gleichen Urteil: Lebenslänglich. Seitdem sitzt der frühere Hausmeister aus Rottach-Egern in Haft. Noch immer bestreitet er die Tat.

Beide Urteile sind umstritten: War die alte Dame gestürzt und in die Wanne gefallen oder hatte Genditzki versucht, eine andere Straftat zu verdecken, indem er sie ertränkte? Im ersten Prozess hatte man angenommen, dass Genditzki der alten Dame Geld unterschlagen habe, weil er kurz zuvor 8.000 Euro Schulden bei einem Freund zurückgezahlt hatte.

Verfahrensfehler waren Glück des Angeklagten

“Dieses Motiv konnte in der ersten Verhandlung restlos widerlegt werden”, sagt Regina Rick. Also habe das Gericht einfach das Motiv ausgetauscht: Es sei zu einem Streit zwischen den beiden gekommen, woraufhin Genditzki die Dame angegriffen habe. Und um diesen Angriff zu vertuschen, habe er sie in der Badewanne ertränkt.

Dass das Gericht Genditzkis Verteidiger darüber nicht informiert hatte, war ein Verfahrensfehler und das Glück des Angeklagten, wie die Gerichts-Reporterin Gisela Friedrichsen über den Fall im Spiegel schrieb: Denn ohne diesen Fehler hätte der Bundesgerichtshof das Urteil nicht aufgehoben und es wäre nicht zu einer erneuten Verhandlung gekommen.

An dieser Stelle hat der Hausmeister früher gewohnt.
An dieser Stelle hat der Hausmeister früher gewohnt.

In dieser ging das Gericht von vornherein davon aus, dass sich Genditzki und die alte Dame gestritten hätten: Er habe sie an diesem Nachmittag nicht mit dem Sohn besuchen, sondern zu seiner kranken Mutter fahren wollen. Warum Genditzki, der als friedlich und nicht gewalttätig beurteilt wurde, die Frau angegriffen haben soll, erklärte man in der Verhandlung nicht. Auch der Gegenstand, mit dem er ihr die Blutergüsse am Kopf zugefügt haben soll, wurde nicht gefunden. Das spricht gegen das Motiv, mit dem er zum zweiten Mal zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden ist.

“Er hätte ja auch einfach gehen können”, sagt Rick. Für einen Streit gebe es keine Anhaltspunkte. Die Rechtsanwältin sammelt derzeit Beweise, die das Schicksal der Dame anders erklären, nämlich als Unglücksfall: Erst kurz vor ihrem Tod war sie aus dem Krankenhaus entlassen worden, wo sie wegen einer Durchfallerkrankung behandelt worden war.

Statistisch geringe Chance für Wiederaufnahme

“Sie wollte ihre Wäsche in der Badewanne einweichen. Dabei hat sie einen Schwäche-Anfall erlitten und ist gestürzt.” Dieser Erklärung hatte das Gericht damals nicht geglaubt. Würde der Fall neu aufgerollt, werde dies anders sein, hofft sie. Doch bis es soweit ist, muss sie hohe Hürden nehmen.

“Nur circa zwei Prozent der Revisionsanträge seitens der Verteidigung werden positiv beschieden”, erklärt Rick. Bei Anträgen von der Staatsanwaltschaft sei die Quote höher. Umso geringer ist die statistische Chance für eine Wiederaufnahme, bei dem der Fall komplett neu aufgerollt wird. Sie werde trotzdem alles dafür tun, die Wiederaufnahme zu erreichen.

Parallelen zum Justiz-Skandal Rupp

“Ich brauche etwas, das in der Verhandlung noch nicht beachtet worden ist”, sagt sie, “etwas komplett Neues”. Was das sein könnte, kann und will sie zum jetzigen Zeitpunkt verständlicherweise nichts sagen: “Die Gegenseite soll sich nicht auf meinen Ansatz vorbereiten können”, sagt sie und meint damit die Staatsanwaltschaft, die die Argumentation eines Wiederaufnahmeantrags entkräften und damit die Erfolgsaussichten schmälern könnte.

Als Beispiel für “etwas komplett neues” zieht sie den Fall der Familie Rupp heran: Rudolf Rupp war im Herbst 2001 spurlos verschwunden. Vier Jahre später wurden seine Frau und der Ex-Freund einer der Töchter zu achteinhalb Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt, ohne Rupp jemals gefunden zu haben: “Das Gericht war davon ausgegangen, dass die Familie den Mann an den Hund verfüttert hat”, sagt Rick.

Dann wurde Rudolph Rupp am Steuer seines Mercedes in der Donau gefunden. Es war ein Unfall. Die Familie wurde freigesprochen. Bei der Suche nach neuen Beweisen, die ihre Theorie untermauern und zu einer Wiederaufnahme führen sollen, hat sie neue Gutachten beauftragt. Zudem arbeitet sie mit dem pensionierten Ermittler Axel Petermann aus Bremen zusammen, der auch im Ruhestand als Profiler von sich Reden macht und unter anderem die Autoren des “Tatort” mit seiner Expertise unterstützt.

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