Stressfalle Sudelfeld: Rasen bis die Funken fliegen

Das Sudelfeld lockt Raser an. Herrscht dort Narrenfreiheit?

Um die Kurven sausen; sportliches Manöver am Sudelfeld: Foto: Lena Müssig

Ein lauer Septemberabend. Gerade fahre ich mit meinem kleinen Auto von Oberaudorf kommend über die Sudelfeldstraße nach Hause Richtung Bayrischzell. Die warmen Sonnenstrahlen des Spätsommers hüllen die umliegenden Wiesen und Berge in einen goldfarbenen Schleier. Der Duft von Heu liegt in der Luft, in der Ferne bimmeln sanft die Kuhglocken. Tapfer und gemächlich schnauft mein kleiner Wagen die Straße hinauf. Ein paar PS mehr wären jetzt schon schön. Andererseits habe ich so die Möglichkeit, die malerische Kulisse wahrzunehmen. 

Drängeln und Speed geben

Kurz zuvor klebten mehrere Motorradfahrer gefühlt an meiner Heckscheibe. Mit hysterisch aufbrüllenden Motoren überholen sie mich, die doppelt durchgezogene Linie überfahrend, die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit deutlich überschreitend. Der Lärm und das Gefühl, dermaßen bedrängt worden zu sein, setzen mir zu. Auch, dass es den Fahrern offenbar egal ist, andere Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer in Gefahr zu bringen. Und, dass sie durch den Krach diese wunderschöne Landschaft entzaubern – und den Lärm anderen aufzwingen. 

Rein pragmatisch gesehen ist die durchs Sudelfeld verlaufende Bundesstraße 307 eine Verbindungsstraße der Landkreise Miesbach und Rosenheim. Emotional betrachtet ist das Sudelfeld ein Sehnsuchtsort: Deutschlands größtes zusammenhängendes Skigebiet lockt im Winter zahlreiche Wintersportler, in den wärmeren Monaten Wanderlustige – und eben zahlreiche Motorradfahrer. Unter das Gros der friedlichen Ausflügler mischen sich regelmäßig Speedjunkies.

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Illegale Rennen und Lärm auf dem Sudelfeld: Beschwerden häufen sich

Wie heißt es so schön? Des einen Freud ist des anderen Leid. Während Fans von hochmotorisierten Vehikeln – auf zwei und auf vier Rädern – sich an der kurvenreichen Strecke berauschen, sind Anwohner, Ruhesuchende und die Natur die Leidtragenden. Und die beschweren sich vermehrt, wie die Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig (CSU) in einer Pressemitteilung schildert. Auch illegale Rennen sollen auf dem Sudelfeld stattfinden. 

Wie sich die Gäste der anliegenden Wellnesshotels – eins auf der Miesbacher, das andere auf der Rosenheimer Seite – fühlen, wenn PS-Fans kollektiv ausschwärmen, um über den Pass zu heizen? Zuweilen, bis die Funken fliegen. Dafür sorgen spezielle Knieschleifer, die, sobald sie in der Kurve auf den Asphalt treffen, Funken sprühen. Das Schauspiel irritiert – und kann andere in eine potenziell gefährliche Situation bringen. An jenem Septemberabend soll ich noch zwei Biker sehen, die sich tief in die Kurve legen und für ein Mini-Feuerwerk sorgen.

Wilder Westen? Wildes Sudelfeld!

Dass der Speedrausch bei manch einem offenbar auch die letzte Hirnzelle in Funken aufgehen lässt, wird mir kurz darauf klar. Weil mich zwei Autofahrer, einer mit einem Kind auf dem Beifahrersitz, nötigen, halte ich an meinem Lieblingsparkplatz mit Blick auf das Kaisergebirge an. Ich steige aus, atme tief durch, will die Anspannung loswerden. Ich verstehe, dass einige von meiner italienischen Rennschnecke genervt sind. Aber: Auch, wenn ich schneller fahren wollte, würde es nicht gehen. 69 PS, Baby! Das Dröhnen eines Motors reißt mich aus meinen Gedanken. Genervt wende ich den Blick vom Kaiser am Horizont ab. Und dann verpufft auch meine letzte Hirnzelle: Nur auf dem Hinterrad balancierend schießt ein Motorradfahrer über die Straße. Ja, DAS ist möglich auf der B 307. Weil sie es können. 

Geschwindigkeitskontrollen auf dem Sudelfeld: Das unternimmt die Polizei  

Wenige Tage später, noch immer fassungslos vom Erlebten, möchte ich von der Polizeiinspektion Miesbach wissen, welche Maßnahmen gegen Raser und Lärm getroffen werden. “Die Bundesstraße B307, welche über das Sudelfeld führt, verläuft durch die Dienstbereiche der Polizeiinspektion Miesbach (im Landkreis Miesbach) und der Polizeiinspektion Brannenburg (im Landkreis Rosenheim). Lediglich die westliche Auffahrt von Bayrischzell bis zum Sattel befindet sich im Landkreis Miesbach. Der Großteil des Sudelfeldgebietes befindet sich im Landkreis Rosenheim und wird daher durch die Polizeiinspektion Brannenburg überwacht. Die Hotspots, an welchen sich die Motorradfahrer treffen und die für Kraftradfahrer interessanten Haarnadelkurven, befinden sich im Landkreis Rosenheim”, so Patrick de Raef, Polizeihauptkommissar der Polizeiinspektion Miesbach.

Weiter erklärt er: “Es finden regelmäßig im Bereich des Sudelfeldes mobile Geschwindigkeitskontrollen statt. Durch die Polizeiinspektionen Brannenburg wird am Sudelfeld kontrolliert. Selbige Kontrollen finden durch die Polizeiinspektion Miesbach auf den Zufahrtstrecken zum Sudelfeld statt. Bei den Kontrollen werden die Dienststellen durch Beamte der Kontrollgruppe Motorrad und der Zentralen Einsatzdienste des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd unterstützt. Neben der Überwachung der Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit und der Überholverbote wird auch die Einhaltung der Vorschriften der Straßenverkehrszulassungsverordnung (StVZO) bei den Krafträdern überwacht. Fahrzeuge, bei welchen durch unzulässige Veränderungen die Betriebserlaubnis erloschen ist, werden aus dem Verkehr gezogen.”

Gespräche und legaler Lärm

Außerdem führe die Polizeiinspektion Brannenburg Präventionsveranstaltungen auf dem Sudelfeld durch, um mit den Motorradfahrern ins Gespräch zu kommen und diese für die Gefahren für sich und andere Verkehrsteilnehmer zu sensibilisieren. Und wie sieht es mit dem Lärm aus? Die von mir angemerkten extrem “lauten Motoren” seien oftmals legal und würden den Vorschriften der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) entsprechen, so Patrick de Raef. “Die Vorschriften, wie laut ein Fahrzeug im Betrieb sein darf, sind EU-weit einheitlich. Der als Höchstwert angegebene Geräuschwert wird nur für einen gewissen Drehzahlbereich vorgeschrieben. Außerhalb dieses Bereichs darf ein Fahrzeug lauter sein, da hier eine Gesetzeslücke besteht und dies nicht geregelt ist. Das trifft aber nicht nur auf Motorräder zu. Dies können Sie auch bei hochpreisigen, stark motorisierten Pkw feststellen”, ergänzt er.

Sudelfeld-Anwohner: “Ich habe längst kapituliert”

An hoch frequentierten Wochenenden meide ich die Gegend, in der ich gerne wandern gehe. Denn: Auch auf weiter entfernten Wanderwegen rund um die Alpenstraße und das Sudelfeld ist der Krach zu hören. Und Lärm, das ist längst wissenschaftlich belegt, kann krank machen. In Bayrischzell treffe ich mich mit einem Anwohner und frage ihn, wie er die Situation wahrnimmt. Aus Angst vor Anfeindungen möchte er namentlich nicht genannt werden. Er habe längst kapituliert. Man könne ja nichts machen. Früher hätte der Krach ihn an manchen Tagen stark belastet. Statt seinen Garten zu genießen, hätte er sich dann ins Haus verkrochen. Mittlerweile habe er gelernt, damit zu leben. Dies, fügt er lächelnd hinzu, könne aber auch am Hörgerät liegen, das er mittlerweile trägt.

In den Nachrichten habe ich von speziellen Lärmblitzern gehört, die in Berlin getestet werden, um zu laute Fahrzeuge aus dem Verkehr zu ziehen. Wären diese nicht auch eine Option für die Sudelfeldstraße, frage ich Georg Kittenrainer, Erster Bürgermeister von Bayrischzell. “Ich werde die Thematik bei unserem nächsten Termin mit der Polizei und der Straßenverkehrsbehörde ansprechen”, verspricht er. 

“Das Sudelfeld verführt zum Gas geben”

Und dann spreche ich noch mit einem, der wie viele andere gerne mit dem Motorrad übers Sudelfeld düst. Auch er möchte anonym bleiben. Ob Geschwindigkeitsbegrenzung und Rüttelstreifen im Asphalt ihn vom Gas geben abhalten, will ich wissen. Er lacht: “Das bringt überhaupt nichts. Es macht einfach zu viel Spaß.” Und wie schnell fährt er in der Regel? “So 100 km/h schon”, gibt er grinsend zu. Auch an den Passagen, an denen die Höchstgeschwindigkeit bei 60 liegt. Funkende Knieschleifer findet er aber auch daneben: “Die haben mich beim Fahren auch schon übel irritiert. Das ist gefährlich.” 

Es gäbe aber so viel Gefährliches im Leben – und Nerviges. Dem stimme ich zu. Auch, dass Motorradfahren Spaß macht. Nur können diejenigen, die dem entarteten PS-Rausch machtlos gegenüberstehen, sich nicht schützen. Und der Ruf derjenigen, die Rücksicht nehmen – sei es im Sportwagen oder auf dem Motorrad – leidet auch unter den lauten Raserinnen und Rasern. Und dann wäre da noch die Sache mit der Dosis: die macht ja bekanntlich das Gift. 

Motorradverbot am Kesselberg 

Der Kesselberg in Kochel am See “entgiftet” bereits. In der Sommersaison ist die Bundesstraße probeweise zeitlich begrenzt für Motorradfahrer gesperrt – um die Unfallquote zu senken. Fragt sich, ob sich diese am Sudelfeld erst erhöhen muss, bis Raser und Krachmacher nachhaltig ausgebremst werden. Vielleicht müssten aber auch mehr Menschen auf die Barrikaden gehen, statt den Lärm stillschweigend hinzunehmen. Sich regen bringt Segen. Alternativ könnten die Münchner Klimaaktivisten der “Letzten Generation” einen Gruppenausflug zum Sudelfeldstraße machen und die Zufahrten in Oberaudorf und Bayrischzell blockieren. Dann wäre der Aufschrei gellend – und die Ruhe da oben himmlisch.

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