Zwischen Asyl-Frust und Pegel

Alkohol – oft der Grund für Schlägereien in Sammelunterkünften, für Randale und Ausschreitungen wie in der Rottacher Traglufthalle im vergangenen Jahr. Nur in Gmund griffen die Flüchtlinge nicht zur Spirituose. Und das aus gutem Grund.

In Flüchtlingsunterkünften ist die durch Alkoholkonsum steigende Gewaltbereitschaft ein Problem.

Gewalt gegen Flüchtlinge – das gab es im vergangenen Jahr auch in Rottach-Egern. In diesem Fall war der Auslöser für die Eskalation zwar der Fastenmonat Ramadan, dennoch spielt in Auseinandersetzungen unter Flüchtlingen Alkohol eine zunehmende Rolle.

Häufig kommen Asylbewerber nämlich aus einem Kulturkreis, in dem Alkohol entweder durch die Religion verboten, nicht so leicht zugänglich oder auch zu teuer ist, um täglich konsumiert zu werden. In Deutschland angekommen, stellen sie dann fest, dass Alkohol leicht zu haben und gesellschaftlich akzeptiert ist.

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“Es gibt Nationalitäten, in denen Alkohol strikt verboten ist und die Asylbewerber, die aus solchen Ländern stammen, wissen ihre Reaktion auf den Alkohol nicht einzuschätzen”, erklärt Roman Hörfurter, stellvertretende Dienststellenleiter der Wiesseer Polizeiinspektion.

Bei den Asylbewerbern, die beispielsweise in großen Sammelunterkünften leben müssen, entsteht oft ein Lagerkoller. Das ist ein gewisses Frusterlebnis. Unserer Erfahrung nach flüchten sich dann einige in den Alkohol.

Der Griff zur Spirituose vertreibt zudem Langeweile und lässt das Heimweh vergessen. In einer
Sammelunterkunft mit wenig Privatsphäre geraten Flüchtlinge schnell aneinander, dies umso häufiger, je mehr sie unter Alkoholeinfluss stehen. “Fakt ist, dass es in den Unterkünften sicher den einen oder anderen Polizeieinsatz gab, bei dem man mit alkoholisierten Flüchtlingen zu tun hatte”, so Hörfurter.

Dennoch sei das nicht nur ein Phänomen in Asylunterkünften: “Dieses Problem hat man bei jeder volksfestartigen Veranstaltung, dass einige Leute über den Durst trinken und dann zu unkontrollierten Handlungen neigen.”

Alltagsdroge macht auch nicht vor Asylanten halt

Denn Alkohol ist auch für Deutsche die Alltagsdroge Nummer 1. In Agatharied beispielsweise werden mehr Menschen mit einem Alkoholproblem eingeliefert als mit einer Drogenvergiftung. Ärzte sind gewarnt. Patienten mit Suchtproblemen werden deshalb nicht nur entgiftet und medikamentös behandelt, sondern vermehrt auch einer psychotherapeutischen und psycho-edukativen Behandlung unterzogen.

In der Therapie lernen die Betroffenen, was Süchte wirklich sind und wie sie damit umgehen müssen. Privatdozent Dr. Michael Landgrebe, ärztlicher Leiter in der Klinik Agatharied, stellt fest:

Alkohol führt die Statistik an und zwar mit zehn Mal so vielen Fällen wie bei Platz 2, den Schmerz- und Betäubungsmitteln.

Für Flüchtlinge hat die Suchtberatung der Caritas im vergangenen Jahr einige wenige Beratungen zur Suchtbekämpfung durchführen können. Laut Dipl. Sozialpädagogin und Suchttherapeutin Alexandra Peis-Hallinger gab es noch keine regelmäßigen Kurse. Insgesamt wurden zehn Personen beraten.

Anfragen habe es auf Empfehlung des Landratsamtes und der Ehrenamtlichen aus den Helferkreisen gegeben. Eine Mitarbeiterin des Landratsamtes, zu deren Arbeitsbereich „Krisenintervention“ gehört, hatte 2016 im Rahmen der Betreuung der Dreifach-Turnhalle in Tegernsee und später einiger Bewohner der Traglufthallen in Holzkirchen oder Rottach mit der Caritas kooperiert. Sprecher des Landratsamtes Birger Nemitz:

Dabei hat sie die Personen selbst ausgewählt. Alkoholsuchtberatung ist jedoch generell keine originäre Aufgabe des Landratsamtes.

In 2016 waren es so lediglich zehn Personen, die bei der Caritas beraten wurden. In Gmund gab es laut Dr. Otmar Straßmüller, Sprecher des Gmunder Helferkreises, keinen Bedarf an solchen Beratungen: “In der Seeturnhalle gab es ein Alkoholverbot, an das sich die Asylbewerber auch gehalten haben – dadurch gab es keine problematischen Vorfälle.”

Und auch in den Wohnungen, in denen die Asylbewerber jetzt untergebracht sind, und denen Straßmüller regelmäßig einen Besuch abstattet, habe er keine Schwierigkeiten im Umgang mit Alkohol festgestellt.

Intensivere Beratung notwendig

Suchttherapeutin Peis-Hallinger geht unterdessen davon aus, dass sich das Problem verschärft:

Die Auflösung einiger Flüchtlings-Unterkünfte hat den Überblick erschwert und ebenso den Zugang zu Flüchtlingen mit Alkohol- und Drogenproblemen. Es ist damit zu rechnen, dass Suchtprobleme bei Asylsuchenden ein dauerhaftes und eher ansteigendes Problem sind.

Probleme sind wie so häufig die Finanzen. Der zusätzliche Aufwand muss nämlich innerhalb des normalen Budgets bezahlt werden. „Um dieser Aufgabe zukünftig gerecht zu werden, bräuchte es eine eigene Finanzierung und vor allem finanzierte Dolmetscher“, erläutert Peis-Hallinger.

Denn obwohl davon auszugehen ist, dass der Beratungsbedarf steigt, wird wohl auch die Dunkelziffer wachsen. Denn ohne die erwähnten Dolmetscher macht es für die Flüchtlinge kaum Sinn, um Unterstützung zu bitten, und auch die Helfer werden so keinen Wert darin sehen, eine Suchtberatung anzuregen. Dafür sind die Sprachbarrieren einfach zu erheblich.

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