“Die erfüllendste Aufgabe, die ich je hatte”

Das Aufziehen von Kindern stellt eine der größten Herausforderungen in einem Leben dar. Viele Eltern scheuen deswegen davor, die Betreuung in andere Hände abzugeben. Meistens ohne Grund, wie wir festgestellt haben.

Wir sind zu Besuch bei Rolf Neresheimer, einem Tagesvater aus Bad Wiessee. Der ehemalige Manager erzählt von seinem Alltag und warum ihm die Betreuung von Kindern immer noch solche Freude bereitet.

Tagesvater Rolf Neresheimer mit Lena auf der Couch
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Die Tür öffnet sich, zwei kleine und ein großer Mensch stehen mir gegenüber und schauen mich erwartungsvoll an. Freundlich werde ich von dem hünenhaften Mann mit festem Handschlag und polterndem Lachen begrüßt. Die Augen der beiden Mädchen weichen keinen Augenblick von meinem Antlitz.

Heute sei es ungewohnt ruhig – wegen der Ferien sind nur zwei Tageskinder da. „Alte Hasen“, wie der Tagesvater sie nennt. Denn die Fünfjährige und die fast Vierjährige kommen schon seit Jahren hierher. Normalerweise spielen fünf Knirpse in der Wiesseer Kinderwelt. Es ist später Vormittag. Lena sitzt auf einem der kleinen bunten Stühle und malt. Emily kommt gerade aus dem “Tobezimmer” und macht mit.

“Zweites Zuhause” für Zwerge

Wir befinden uns in der geräumigen Wohnung im Souterrain eines Einfamilienhauses. Rolf Neresheimer hat sie „Kinderwelt“ genannt. Etliche Zimmer gibt es hier, individuell eingerichtet. Mit unzähligen Büchern und Spielsachen, ein paar Matratzen zum Hüpfen, Klettergerüsten, einem großen kuschligen Sofa mit oranger Tagesdecke und kleinen bunten Stühlchen zum Essen in der Küche.

Inzwischen haben es zahlreiche Zwerge als „zweites Zuhause“ schätzen gelernt. Die Kinder der acht Familien, die Neresheimer betreut, kennen sich seit Jahren. „Ich hatte schon immer einen guten Draht zu den Kleinsten“, erklärt der Wirtschaftsingenieur den Grund dafür, warum er vor über zehn Jahren aus dem aktiven Manageralltag ausgestiegen ist.

Schwerer Stand für Tagesbetreuungspersonal

Viel Verantwortung hat er auch heute noch. Fachliche Kompetenz, hohes Risiko, jede Menge Flexibilität. Und das für relativ wenig Geld. Gerade in Zeiten, in denen nach mehr Kita- und Kindergartenplätzen gefragt wird, sollte man meinen, dass der Tagesmüttermarkt boomt.

Doch dem ist nicht so. Viele Eltern denken offenbar, sie seien Rabeneltern, wenn sie ihr Kind in fremde Hände geben. Vor allem dann, wenn sie eigentlich den Tag über mal Zeit hätten. Dann kommt schnell der Gedanke „Oje, eigentlich müsste ich die freie Zeit ja mit meinem Kind verbringen.’ Oft sind es aber auch finanzielle Motive, die die Zeit limitieren.

Neresheimer macht seinen Job trotz aller Widrigkeiten mit großer Freude. „Du weißt, dass das, was hier passiert, das Leben eines Menschen beeinflussen wird“, beschreibt er seine Motivation für den Jobwechsel.

Jetzt kommt finanzielle Hilfe “von oben”

Um die Tagespflege noch stärker zu fördern, soll sie nun auf solide Finanzierungsstandbeine gestellt werden. Unter anderem hat der Gemeinderat in Bad Wiessee jüngst beschlossen, Tagesmütter finanziell zu unterstützen.

Offenbar hat man dort erkannt, dass diese eine wichtige Ergänzung zur Betreuung in anderen Einrichtungen wie Krippen oder Kindertagesstätten darstellen. „Wenn in Wiessee die Krippe voll ausgelastet ist, brauchen wir Ersatz“, formulierte es Bürgermeister Peter Höß auf der letzten Gemeinderatssitzung.

Auch in den anderen Gemeinden im Tal war das Thema teils schon auf der Agenda. In Gmund und in Kreuth entschied man sich, die Betreuung bei Tagesmüttern finanziell zu fördern. Die Sätze schwanken je nach Kommune zwischen 1 und 2 Euro pro Kind und Stunde. In Kreuth ist der Schritt eher vorausschauender Natur, da derzeit lediglich ein Kind die Tagespflege besucht. Landkreisweit jedoch besuchen bereits 68 Kinder die Tagespflege.

Mehr Verdienst – weniger Verwaltung

Die Bezahlung von Tagespflegepersonen ist derzeit verhältnismäßig schlecht, gemessen daran, welch flexibles Angebot erbracht wird. Dieses muss man jedoch fast bieten, angesichts der zahlreichen Betreuungsangebote, die es im Tal inzwischen gibt.

Deshalb bieten Tagesväter wie etwa Rolf Neresheimer den eingewöhnten Kindern für Notfälle und nach Vereinbarung auch über Tage gestreckte Betreuungszeiten an. Die Kinder bekommen eine flexible, versicherte Aufsicht und Pflege in Kleingruppen. Eltern schätzen “ihren” Tagesvater als eine Art „Ersatzoma“, die einspringt, wenn andere Einrichtungen nicht (mehr) greifen: Krippe voll, Sommerferien im Kindergarten, Nachtschicht, Großeltern im Urlaub.

Insgesamt bezahlen die Eltern für das Erziehungs- und Betreuungsangebot pro Kind 5 bis 6 Euro je Stunde. Neresheimer erläutert die Zusammensetzung:

Bisher wurden 2,44 Euro aus dem Miesbacher Landratsamt an mich überwiesen, wovon 1,14 Euro von öffentlicher Hand finanziert wurden und 1,30 von den Eltern ans Amt zurückgezahlt werden müssen. Die Differenz zum vereinbarten Stundensatz wird – bis 1.4.13, den Eltern privat in Rechnung gestellt.

In Neresheimers Haus ist alles da zum Spielen

Dabei kommt es darauf an, wo das zu betreuende Kind wohnt und wieviel die Eltern verdienen. Liegt das Zuhause beispielsweise in Warngau, so überweist das Amt 4,44 Euro und die Eltern zahlen dem Amt 1,30 Euro als Elternbeitrag zurück. Von der Gemeinde Gmund dagegen erhält der Betreuer 3,44 Euro, weil in diesem Fall die Mutter als Geringverdienerin und Alleinerziehende voll von Öffentlicher Hand finanziert wird.

„Die Differenz zu 5 oder 6 Euro Kinderwelt-Stundensatz habe ich dann den Eltern privat in Rechnung gestellt“, berichtet Neresheimer.

Situation verbessert

Bereits seit dem ersten Januar hat sich die Situation für Neresheimer und seine beiden aktiven Kolleginnen im Tal – Martina Karge (Gmund/Ostin) und Vicki Rank (Wiessee/Holz) – verbessert. Denn die Kommunen beteiligen sich mit einem je nach Gemeinde unterschiedlichen Satz an der Arbeit. Ab dem ersten April wird eine weitere Regelung greifen. Laut Pressesprecherin Gabriele Dorby vom Landratsamt steigt der allgemeine Vergütungssatz in der Tagespflege auf 5 Euro, zuzüglich eines Qualifizierungszuschlags von 20 Prozent und weiterer Nebenleistungen.

Auch die Abrechnung für Tagesmütter dürfte ab April einfacher werden: Die Betreuungsstunden teilt die Tagespflegeperson dann Amt mit. Dieses übernimmt dann die komplette Abrechnungsabwicklung. Die Eltern bezahlen voraussichtlich einen Kostenbeitrag von 1,85 Euro je Betreuungsstunde. Essensgeld kommt obendrauf.

Hier essen die Kleinen jeden Tag

Apropos Essensgeld. Jetzt gibt es erstmal Brotzeit. Lena und Emily holen ihre mitgebrachten Boxen heraus. Es gibt Obst und Schnitten. So ein Tag kann mitunter lang sein für die Kleinen. Lena ist im Monat 180 Stunden hier, Emily dagegen nur zwanzig.

Familiennah von früh bis spät

Die Eltern machen Bring- und Holzeiten individuell mit der Kinderwelt aus. Doch gelangweilt wirken die Kleinen nicht. Diana Reichenbach – gelernte Erzieherin und Unterstützung auf Zeit – macht oft kreative Vorschläge. Und auch Neresheimer fällt immer was ein, was man spielen könnte.

Nach der kleinen Zwischenmahlzeit ist es Zeit zum Lesen. Die beiden Kinder ziehen sich auf das orange Sofa zurück, um zu schmökern. Danach werden sie noch Trampolin hüpfen, klettern und in dem Schnee bedeckten Garten Schneeballschlacht machen. So oder so ähnlich sieht der Tagesablauf von tausenden Tagesbetreuerinnen aus.

„Ich will mich nicht auf eine Ebene stellen mit den Erziehern in Kindergärten oder Krippen“, schränkt Rolf Neresheimer ein. Es geht ihm mehr um die Förderungsgleichstellung, darum, das Wahlrecht der Eltern zu stärken – auch unabhängig von der finanziellen Belastung. Denn die Eltern entscheiden letztendlich, welche Betreuung für ihr Kind die richtige ist. Sie sind als Qualitätsprüfungsinstanz für ihre Kinder hoch motiviert, allen, die den Tag mit ihnen verbringen, auf die Finger zu schauen.

Doch auch Tagesbetreuungspersonen müssen sich “nicht verstecken” – auch sie arbeiten nach dem Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan. Neresheimer erzählt, wie es anfing mit der „Kinderwelt“. Als seine beiden Kinder noch klein waren, lag es nahe, über eine solche Tätigkeit nachzudenken.

Also absolvierte er die Qualifikation, die die Jugendämter zur Bedingung für die Anerkennung als Tagesmutter/-vater machen. Den Kurs führt das Amt in Kooperation mit dem Tageselternservice Rosenheim durch. Ein Grundkurs mit insgesamt 100 Einheiten ist zu besuchen. Während seine Frau bald wieder arbeitete, machte sich Neresheimer selbständig, arbeitete ab 1999 auf eigenes Risiko.

Kinderwelt sucht Personal

Heute wünscht er sich mehr Mitarbeiter für seine „Kinderwelt“ und setzt auf die Zusammenarbeit mit anderen selbständigen Betreuern. Jemanden, der zuhause keine Chance sieht, Kinder zu betreuen. Die Räumlichkeit würde er stellen. Die Motivation dafür liefert er, als ich das Haus verlasse: „Es ist die anspruchsvollste, erfüllendste Aufgabe, die ich je gehabt habe.“

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