1972: Der Kalte Krieg droht heiß zu werden. Bildgewaltig beginnt Günther Frühmorgens Kriminalgeschichte „Spionin Escora“. Während Starfighter Tag und Nacht über den bayerischen Himmel fliegen, verschwindet der inzwischen suspendierte Polizist Paul Piller mysteriös in Moosburg. Die Spur führt Polizeiobermeister Mike Meiller zum Tegernsee, wo es in den Bergen explosiv wird.
Sie lassen den Drecklackenbraunen brettelbreit vor dem Bahnhof stehen. Fünfter Mast. Was war mit dem fünften Telefonmasten? Der Mann in Grün mit dem Fernglas dort am Waldrand: das war der Marder mit dem Jagdgewehr. Oder? Eine gemeine Falle? Wurde er nur hingelockt, um abgeschossen zu werden wie ein Hase?
Es geht um die Suche nach DDR-Spionen, eine Liebesgeschichte und irgendwie auch um einen Bankraub. Räumlichkeiten und Lokalitäten stehen genauso im Zentrum des Buches wie die Menschen, die darin vorkommen und wie Statisten auf ihren Einsatz warten.
Ein Wort- und Zitatemix
Mit auf Ganovensuche gekommen ist – wie schon im ersten Buch „Katzendraller“ – die dralle Hanni. Inzwischen ist sie 17 geworden und ein gefeierter Ariola-Schlagerstar. Gibt es wirklich einen Zusammenhang mit dem Überfall auf eine Raiffeisenbank? So fragt sich das Detektivpärchen, als sie sich auf die Fersen der Spione heften, die ihrerseits auf die Starfighter angesetzt sind.
Halb fiktiv, halb authentisch entspinnt Günther Frühmorgen seine Story rund um die zentrale Frage, ob Meiller der Ostspionin Ellen Rometsch widerstehen kann. Das Buch gibt seine Antworten in brettelbreitem Boarisch. Wenn die Hauptdarsteller wieder einmal mit ihrem drecklackenbraunen 190er Diesel auf Verbrecherjagd sind. Jäger und Gejagte finden sich erst ganz zum Schluss. Dabei beschreibt der Autor stets spannend die atmosphärische Stimmung in der Region rund um die Tegernseer Berge.
Welk hängen die Wolken über Wiessee. Angel of the Morning, Merilee Rush. Bayern 3. Meiller ist saumüd. Hanni säbelt eine Semmel. Der Morgen nach der Nacht in der Pension Kampenblick.
Der Schriftsteller kreiert einen Wort- und Zitate-Mix, der die sprachliche Umwelt wie ein permanentes Hintergrundgeräusch erfasst und durch das eigene literarische Denken leitet. Dabei verzichtet er weitgehend auf durchgehende Handlungsstränge. Stattdessen springt Frühmorgen – wie in einem Theaterstück – von Akt zu Akt.
Aber auf genau diese vielen verschiedenen Deutungsmöglichkeiten kommt es auch an. Losgelöst von der Suche nach einer einheitlichen Aussage kann man sich durch die Texte treiben lassen. Das Buch zwischendrin aus der Hand zu legen, wird weniger empfohlen. Der Leser ist durchaus gefordert.
Der Autor und seine Zeit
Als er die Siebziger erlebte, wurde Frühmorgen gerade volljährig. In Moosburg geboren und aufgewachsen, studierte er Amerikanische Literatur und Geographie. Arbeitete als Lehrer und Designer. Bis heute trägt er die Sehnsucht in sich nach einer Zeit, in der Inspiration, Magie und Freiheitsliebe den Zeitgeist prägten.
„1971 waren Menschen noch nicht angepasst, noch nicht von Konsum und Gier gerprägt,“ schreibt der Autor selbst. „Alle erlebten jede Sekunde ihren eigenen Typ, kein MTV oder global internet machte sie gleich. Menschen kamen zusammen durch Intuition und Telepathie anstatt durchs Handy.“
Und so entwirft der Autor auch in seinem zweiten Buch „Spionin Escora“ wieder ein lebensnahes Zeitbild der Siebziger Jahre. Alle Mittel der Versinnbildlichung sind ihm dabei recht, um seine Geschichte darzustellen. Die Typen wirken echt. Die Gegenden sind bildgewaltig. Die Dialoge atmosphärisch dicht. Die Sprache sitzt. Der Witz ist unberechenbar.
Dabei reichen dem Autor Bankraub und Spionage an “Greuel“ aus. Mord, Gewalt und Geschmacklosigkeiten kommen für Frühmorgen nicht in Frage. Damit „packt“ der Wiesseer seine Leser trotzdem. Auch wenn „Spionin Escora“ anfangs perplex verwirrend ist, entwickelt er sich insgesamt für den Leser zu einer willkommenen – wenn auch fordernden – Lektüre. Bei fortschreitendem Lesekonsum kommt man der Geschichte aber durchaus auf die Spur.
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