Rollator statt Skateboard

Gottes Wartesaal – so nennt man das Tal spöttisch. Die Gemeinheit wurde jetzt mit kalten Zahlen belegt. Der Trend ist klar: Zwischen Gmund und Kreuth kommt statt des Storchs immer häufiger der Boandlkramer. Im Tal betrifft das besonders Rottach-Egern und Tegernsee.

Vor allem ältere Menschen werden künftig im Tal leben. Rottach-Egern vergreist besonders schnell. Foto/Archivbild
Vor allem ältere Menschen werden künftig im Tal leben. Rottach-Egern vergreist besonders schnell / Archivbild

Der demografische Wandel, also die prognostizierte Überalterung der Gesellschaft, ist nicht aufzuhalten. Ist eine Binse, hat aber weitreichende Konsequenzen. Die Studie „Wegweiser Kommune“ der Bertelsmann-Stiftung zeigt mit deutlichen Zahlen den Trend zum Rollator. Die Studie hat unter anderem aus den Daten der statistischen Landesämter eine Prognose bis 2030 erstellt, wie sich die Bevölkerung in den Kommunen mit mehr als 5.000 Einwohnern entwickeln wird.

Aus dem Tegernseer Tal sind Rottach-Egern, Gmund und Waakirchen dabei. Tegernsee, Bad Wiessee und Kreuth haben weniger als 5.000 Einwohner und wurden bei der Berechnung nicht berücksichtigt. Trotzdem lässt sich anhand der Daten eine fortschreitende Alterung im Tegernseer Tal erkennen. Rottach-Egern und Waakirchen werden in den kommenden Jahren Einwohner hinzugewinnen. Gmund wird Einwohner verlieren – so zumindest die Prognose.

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Alt und reich statt jung und schön?

Am stärksten soll die Alterung Rottach-Egern treffen. 54,7 Jahre ist derzeit das Medianalter. Das bedeutet, die Hälfte aller Rottacher Einwohner ist älter. Die andere Hälfte ist jünger. In 15 Jahren soll der Median bei 60,6 Jahren liegen. Die Hälfte der Einwohner wird dann über 60 Jahre alt sein.

Diese Entwicklung ist Bürgermeister Christian Köck seit Langem bekannt. Zum einen, so Köck gegenüber der TS, liege dies am medizinischen Fortschritt. Einst kam der Tod früher, heute wird der Lebensabend dank des medizinischen Fortschritts immer weiter ausgedehnt, vor allem, wenn das Geld für Vorsorge und Versorgung da ist. Arme sterben früher, Reiche später.

Vor allem wohlhabende, ältere Menschen ziehen nach Rottach-Egern, um dort ihren Lebensabend zu genießen: „Grundstückspreise wie hier können sich ohnehin nur Wohlhabende leisten, und die sind meistens älter“, so der Rottacher Rathauschef.

Eine ähnliche Entwicklung erwartet auch Johannes Hagn, Bürgermeister in Tegernsee. Es würden nur wenige Kinder geboren und junge Familien könnten sich Quadratmeterpreise von bis zu 12.000 Euro selten leisten:

Wir haben bei uns auch keine Entwicklungsmöglichkeiten für bezahlbaren Wohnraum.

Gute Nachricht für Gmund und Waakirchen: Dort wird langsamer “gealtert”. Derzeit liegt das Medianalter in Gmund bei 48,3 Jahren, in Waakirchen sogar nur bei 45,9 Jahren. Bis 2030 soll es in Gmund auf 50,6 Jahre und in Waakirchen auf 48 Jahre steigen. Beide Gemeinden werden dann deutlich jünger sein als Rottach-Egern. Für viele Leser vermutlich überraschend: Bad Wiessees Bürgermeister Peter Höß schätzt, dass seine Gemeinde weniger stark altern dürfte.

Jugendliche ziehen zum Studium aus

Zumindest die Gmunder tun auch etwas dafür. Die Gemeinde sei aktiv dabei, junge Familien an den Ort zu holen und zu halten, betont der Gmunder Geschäftsleiter Florian Ruml auf Anfrage. So wirkten die Einheimischenprogramme, bei denen Familien Grundstücke günstiger als auf dem freien Markt von der Gemeinde kaufen können: „Die Nachfrage ist groß. Beim Landbaderfeld hatten wir 30 Interessenten absagen müssen,“ so Ruml. Dazu kommen Investitionen in Kinderbetreuung und Schulen sowie in die Jugendarbeit der Vereine.

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Die wenigsten jungen Familien können sich die teuren Grundstücke im Tal leisten. Foto/Archivbild

Dabei stellt die alternde Gesellschaft Gemeinden wie Gmund, Tegernsee oder Rottach-Egern vor neue Herausforderungen: Die alten Menschen bräuchten jüngere Menschen, die sie pflegten, führt Hagn an. Junge Menschen aus dem Tal verschwinden aber leider zu schnell. Nach dem Schulabschluss, vor allem nach dem Abitur wird das Tal verlassen. Es werde für Handwerksbetriebe zusehends schwieriger, Auszubildende und Nachfolger zu finden, erklärt Christian Köck. Dieser Entwicklung, so der Rottacher Bürgermeister müsse man aktiv gegensteuern: „Das geht aber nicht innerhalb von einem oder zwei Jahren.“

Vor allem werde man sich in den kommenden Jahren Gedanken machen müssen, wie man die Entwicklung aufhalten könne. Möglicherweise werde die Überalterung auch zu gemeindeübergreifenden Lösungen führen, so Ruml. Peter Höß sieht eine der möglichen Lösungen in der Wohnungspolitik: „Die Leute, die hier arbeiten, sollen auch hier wohnen können.“

Prognose nicht ganz zuverlässig

Allerdings bleibt auch die Frage, ob es überhaupt so weit kommt, wie die Prognosen es vorhersagen. Vor allem Ruml ist skeptisch, was die Zahlen für Gmund angeht. Die eigenen Zahlen widersprechen der Prognose der Bertelsmann-Stiftung, die einen Rückgang um 50 Einwohner in den nächsten 15 Jahren vorhersagt. In Gmund gehen die Berechnungen des Statistischen Landesamts von einem Zuwachs um 110 Einwohner aus. Zudem unterscheiden sich beide Prognosen bei der Einwohnerzahl in diesem Jahr deutlich.

Es bleibt also alles nur eine Schätzung, die beispielsweise durch die Flüchtlinge weiter an Aussagekraft verlieren könnte, meint man in den Gemeindeverwaltungen. „Es werden sicher einige der Asylbewerber bleiben“, erklärt Hagn.

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