Totgesagte leben länger

Einkaufspassagen sind als Shopping-Meilen mit Cafés und glitzernden Auslagen in den Geschäften bekannt. Das war wohl auch die Vision der Stadtväter, als sie 1995 den Startschuss für die Marienpassage gaben. Doch die Realität sieht anders aus: Gähnende Leere herrscht in engen Gängen, Laufkundschaft verirrt sich selten dorthin. Trotzdem wagen es immer wieder neue Geschäftsinhaber und eröffnen ihren Laden.

Leere, normalerweise dunkle Gänge in der Marienpassage wirken nicht als Publikumsmagnet.
Leere, normalerweise dunkle Gänge in der Marienpassage wirken nicht als Publikumsmagnet.

“Für meine Fahrschule ist dieser Platz ideal“, erklärt Ludwig Christof, der in diesem Monat sein einjähriges Jubiläum in den Räumen der früheren Videothek in der Marienpassage feiert. Er hat eine Weile suchen müssen, um eine Lage zu finden, die einerseits zentral liegt und andererseits nicht zu teuer ist. Mit dem Ladenlokal hat Christof zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen:

Das Jugendzentrum liegt direkt hinter dem Gebäude, so dass die die jungen Fahrschüler kurze Wege haben. Aber dadurch dass wir in der zweiten Reihe liegen, ist die Miete günstiger.

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Nicht so glücklich war Max Schweiger, der sein Uhren- und Schmuckgeschäft seit der ersten Stunde im düsteren Mittelgang der Passage gemietet hat, in den Anfangsjahren. „Ich wäre gerne sofort wieder rausgegangen“, berichtet der Uhrmachermeister, „aber ich hatte einen Zehn-Jahres-Vertra. Außerdem ist das Einrichten eines neuen Geschäfts zu teuer, weil ich wegen der Wertsachen Panzerglas benötige.”

Für Reparaturen kämen die Kunden gezielt zu ihm, aber ihm fehle die Laufkundschaft für den Schmuckverkauf. „Das ist keine Passage, das ist nur ein Durchgang“, kommentiert er frustriert. Immer wieder habe er überlegt, alles hinzuschmeißen, weil der Verkauf so schleppend gehe – bei einer Eck- oder Außenlage würden Neukunden eher vorbeischauen.

Von Anfang an eine Totgeburt

„Irgendwie war das alles von Anfang an eine Totgeburt“, erinnert sich Schweiger. Anfangs allerdings seien sogar alle Läden belegt gewesen. Aber jeder habe seine eigenen Vorstellungen gehabt: Es sei weder die Bereitschaft für gemeinsame Öffnungszeiten noch für eine gemeinsame Werbestrategie dagewesen. Bereits nach drei Monaten habe der erste Laden dicht gemacht.

An die lebhaften Ursprünge in den ersten Monaten erinnert sich auch die Optikerin Eva-Maria Krause-Weinhart, die von Anfang an ein Geschäft in Außenlage führt und zu 95 Prozent gezielt von Stammkunden aufgesucht wird. Aber Geschäfte mit frischen Produkten wie Fisch oder Obst hätten sich nicht halten können. „Vieles war vom Ursprung her eine Fehlplanung“, bestätigt Schuster Florian Herbst. Damals habe eine Sekretärin einen Obstladen eröffnet, obwohl es schon drei Läden in Holzkirchen gab. Zu allem Übel hatte auch sie einen Zehnjahresvertrag abgeschlossen.

Stammkundschaft kommt zuverlässig zu Schuster Herbst.
Stammkundschaft kommt zuverlässig zu Schuster Herbst.

Ein Rückblick in die Historie der Ortsentwicklung zeigt, dass die Passage an der Stelle des ehemaligen Gefängnisses errichtet wurde. Später war dort das Autohaus Wohlschläger mit seiner Werkstätte. Als der Sohn verunglückte, sei das Gelände an einen Bauträger verkauft worden, der schon größere Projekte in Holzkirchen realisiert hatte. So berichtet der frühere Geschäftsleiter der Gemeinde Werner Jennerwein, der sich in seiner Freizeit jetzt als Archivar engagiert.

Aus dem Rathaus wird bestätigt, dass 1995/1996 eine Baugenehmigung erteilt wurde. Ziel sei eine maximale Bebauung im Ortskernbereich gewesen, so Karl Herbst vom Holzkirchner Bauamt. Deshalb das Konzept mit der Einkaufspassage, den Büros und den Wohnungen darüber. Dass die Marienpassage die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfülle, sieht Herbst durchaus:

Die Lage in der zweiten Reihe ist ein Problem, außerdem sind die Gänge zu eng, zu verwinkelt und zu dunkel, die Läden sind zu klein.

Aber da mittlerweile sowohl Geschäfte als auch Wohnungen in privater Hand sind, sei es für die Gemeinde äußerst schwierig, Einfluss zu nehmen.

Außenlagen haben weniger Grund zur Klage

Wie Schuhmachermeister Herbst – seit 2001 Eigentümer seines Ladengeschäfts – berichtet, gab es vor einiger Zeit Einladungen von Seiten der Gemeinde zu Treffen von selbstständigen Unternehmern. „Ich fand das gut, aber die Veranstaltungen waren um 17.30 oder 18 Uhr angesetzt. Da müssen die meisten Gewerbetreibenden noch in ihren Läden stehen!“, bedauert er. Zwar geben sich die Kunden selten die Klinke in die Hand, aber insgesamt braucht er über fehlende Kunden nicht zu klagen, denn die Konkurrenz in der Region ist nicht so groß.

„Die einzige Chance, die ich sehe“, schlägt Gemeinderatsmitglied Albert Kraml (CSU) vor, „wäre, dass Eigentümer und Mieter die Initiative ergreifen und mit konkreten Vorschlägen und Aktionen auf uns zukommen.“ Kraml, der selbst mit einer Konditorei ein Gewerbe betreibt, versteht die Schwierigkeiten der Kollegen durchaus und verspricht, dass die Gemeinde stets ein offenes Ohr für die Gewerbetreibenden habe.

Heilpraktiker Schröder schätzt die Lage, geht aber bald in Ruhestand.
Heilpraktiker Schröder schätzt die Lage, geht aber bald in Ruhestand.

Höchstzufrieden ist Michael Schröder, der seine Heilpraktikerschule seit zehn Jahren in der Passage führt, nicht nur mit seiner Lage im Innenbereich, sondern auch der vergleichsweise neuen Nachbarschaft, nämlich Schuster Herbst. „Das ist ein lebendiger Betrieb, richtig positiv – das Herzstück des Zentrums!“, schwärmt er. Ob diese positive Energie allerdings ausreicht, die Ladeneigentümer und Mieter zu einer gemeinsamen Marketingaktion zu bewegen, muss abgewartet werden.

Zwischen vier Tischen, einem Keyboard und einem grinsenden Skelett stehend erzählt der Dozent, dass seine Schüler die zentrale und ruhige Lage ebenso schätzen wie die zahlreichen Parkplätze am Herdergarten und das nahegelegene Café. Allerdings wird er der Ladengemeinschaft nicht mehr lange erhalten bleiben: Denn Schröder ist im Rentenalter und möchte in zwei Jahren mit dem Arbeiten aufhören. Gekündigt hat er seinen Mietvertrag bereits.

Zukunft der Marienpassage offen

Auch Franco Orlando und seiner Frau Sabine sind mit ihrer Platzierung in der Marienstraße 3 von Anfang an zufrieden. Sie bedauern ein wenig, dass ihr italienisches Restaurant mehr Geschäftsleute als einheimische Bürger anzieht. Und sie finden es schade, dass viele Holzkirchner gar nicht wissen, dass es einen Restaurantgarten gibt. Trotzdem sieht Orlando die Zukunft der Passage nicht rosig: „Ich befürchte, dass die Passage sterben wird, wenn ich weggehe“, sagt der Italiener, der sich demnächst zur Ruhe setzen möchte, selbstbewusst.

Viele haben sich arrangiert, trotzdem bleibt die Zukunft der Marienpassage spannend. Werden die Geschäftseigentümer und -mieter die Initiative für gemeinsame Aktionen aufbringen, um eine Wiedergeburt zu fördern? Schuster Herbst zumindest hat einen ersten Publikumsmagneten als Assistenten eingesetzt: Butler James klopft Tag für Tag das Leder – und Kinder zerren ihre Omas immer wieder vor das Schaufenster, auch wenn es im hinteren, versteckten Bereich der Marienpassage liegt.

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