Transparenz? Na wenn`s denn sein muss…

Wie viel darf der Bürger wissen? Und was muss ihm vorenthalten bleiben? Die Politik im Tegernseer Tal zeigt sich traditionell eher vorsichtig damit, Informationen aus eigenem Antrieb freizugeben. Die Transparenz beschränkt sich auf ein Mindestmaß. Doch davon profitiert am Ende fast niemand. Denn auf beiden Seiten wächst nur eins: Misstrauen.

Werden nur preisgegeben, wenn es sein muss: Gemeinderatsunterlagen.
Werden nur preisgegeben, wenn es sein muss: Gemeinderatsunterlagen.

Ein Kommentar von Minh Schredle:
Bei der Transparenz hinkt das Tal gefühlt ein paar Jahrzehnte hinterher: Gerade entdecken Gmund, Bad Wiessee und Rottach-Egern Bürgerinformationssysteme für sich. Also Online-Plattformen, auf denen ein paar Unterlagen zu Gemeinderatsitzungen bereitgestellt werden. Vergleichbare Angebote gibt es in fortschrittlicheren Regionen schon eine Ewigkeit. Doch dort ist man oft schon wieder ein paar Schritte weiter: Bei dem Konzept “Open Data”.

Der Grundgedanke hinter der Transparenz-Offensive: Politik und Verwaltung erheben eine Unmenge an Daten. Zum Beispiel werden Verkehrszählungen durchgeführt, Sozialstatistiken angefertigt oder Lärmschutzgutachten erstellt, um Entscheidungen zu ermöglichen. Danach wandern die Daten meist in Archive, unzugänglich für die Öffentlichkeit, und werden auch nie wieder genutzt. Was für eine Verschwendung.

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Die Erhebung der Daten ist oft enorm kostspielig – und wird vom Steuerzahler finanziert. Warum sollten die Informationen, die durch das Geld von Bürgern zusammengetragen werden, diese Bürgern vorenthalten bleiben? In anderen Staaten, etwa England oder den USA, werden Verwaltungsdaten automatisch und kostenlos zur Verfügung gestellt. Jeder kann sie nutzen, um einen Mehrwert zu schaffen.

Eine Frage der Haltung

Deutschland ist da noch nicht ganz so weit. Abhängig von der Region, sind die Unterschiede enorm. Stadtstaat Hamburg ist Spitzenreiter und veröffentlicht auf einem Transparenzportal Informationen über Ratsbeschlüsse, Subventionen und Zuwendungen, Geodaten, Gutachten, Protokolle, amtliche Statistiken, Tätigkeitsberichte, Gesundheitsdaten und vieles mehr. Alles ist frei für jedermann verwertbar. Seit Inbetriebnahme im September 2014 wurde die Seite mehr als 20 Millionen mal abgerufen. Großes Interesse ist also offenbar vorhanden.

Hier informiert die Politik ihre Bürger tatsächlich aktiv und freiwillig. Das bringt auch volkswirtschaftlich betrachtet einen Nutzen, zeigen Untersuchungen aus dem Ausland: Die freien Daten liefern Impulse und werden zur Grundlage für Innovationen. Dadurch rechnet sich in aller Regel auch der Aufwand, Transparenzportale zu betreiben.

Natürlich hat Hamburg als Stadtstaat mit einem Milliardenhaushalt ganz andere Möglichkeiten als die Gemeinden im Tegernseer Tal. Doch es ist auch eine Frage der Haltung: Wie hoch ist die Bereitschaft, die Bevölkerung offen und ehrlich über politische Entscheidungsgrundlagen zu informieren? Rund um den Tegernsee anscheinend sehr gering.

Bürgermeister darf abwägen

In Bad Wiessee wurden vorm Jahresende 19 von 23 Tagesordnungspunkten nicht-öffentlich behandelt. Das ist mindestens denkwürdig. Denn in der bayerischen Gemeindeordnung heißt es dazu:

Nichtöffentlich darf nur verhandelt werden, wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen einzelner erfordern.

Nun ist diese Formulierung sehr vage und lässt den Bürgermeistern einen breiten Ermessensspielraum offen, was denn alles das öffentliche Wohl gefährden könnte oder ab wann die Interessen einzelner so berechtigt sind, dass sie geschützt werden müssen.

Im Zweifelsfall wird nie debattiert, sondern einfach entschieden. Möglichkeiten, das zu überprüfen, gibt es kaum, denn anschließend wird ja nicht-öffentlich beraten. Die Unterlagen sind meist nur für einen erlesenen Kreis einsehbar.

Prozess nicht nachvollziehbar

In fast allen Szenarien kann an irgendeiner Stelle irgendwie die Möglichkeit ausgemacht werden, die Interessen irgendeines einzelnen irgendwie als berechtigt einzustufen. Aber deswegen muss ja nicht gleich die gesamte Debatte unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.

Das passiert aber offenbar in Bad Wiessee regelmäßig: Anstatt nur die sensiblen Teile vertraulich zu behandeln, bleibt die Bürgerschaft gleich bei der gesamten Diskussion außen vor. Transparenz sieht anders aus.

Nicht-öffentliche Gemeinderatssitzungen: Anstatt nur die sensiblen Teile vertraulich zu behandeln, bleiben die Bürger im Tal allzu oft bei der gesamten Diskussion außen vor / Quelle: dpa
Nicht-öffentliche Gemeinderatssitzungen: Anstatt nur die sensiblen Teile vertraulich zu behandeln, bleiben die Bürger im Tal allzu oft bei der gesamten Diskussion außen vor / Quelle: dpa

Eine Anfrage der TS bei der Kommunalaufsichtsbehörde offenbart darüber hinaus regelrecht groteske Zustände: Ein Pressesprecher erklärt, man prüfe nur dann, ob ein Tagesordnungspunkt rechtmäßig nicht-öffentlich verhandelt wird, wenn sich jemand darüber beschwert.

Wie absurd soll es noch werden? Dieses Vorgehen gleicht einem Freifahrtschein zur Verschleierung. Denn wie sollen sich Bürger beschweren, dass etwas zu unrecht nicht-öffentlich behandelt wird, wenn sie gar keine Möglichkeit haben, zu wissen, was denn überhaupt behandelt wurde?

Transparenz auf Sparflamme

Auch nicht-öffentliche Beschlüsse müssen nach der Beratung bekannt gegeben werden. Dann wird die Bevölkerung aber vor vollendete Tatsachen gestellt und hat keine Möglichkeit, sich eine Meinung über die Arbeit des Gemeinderates zu machen: Man erfährt nur vom Beschluss, aber nicht, welche Gemeinderäte wie abgestimmt haben und wie sie das begründeten.

Die Demokratie frohlockt. “Transparenz? Ja, wenn es denn unbedingt sein muss…” – das scheint das Motto zu sein, unter dem Politik im Tegernseer Tal allzu oft betrieben wird. Und dem Bürger dämmert: einerseits ist man es den Aufwand einfach nicht wert, angemessen informiert zu werden. Andererseits werden Diskussionen auch mal gerne im Geheimen abgehalten, um bestimmte Interessen zu schützen.

Mit Bürgerinformationssystemen in immerhin drei Gemeinden können Interessierte sich jetzt zumindest schon einmal online anschauen, was denn im Gemeinderat öffentlich beraten werden soll. Das ist ein zaghafter, erster Schritt in die richtige Richtung. Wenn Demokratie und Bürgerbeteiligung im Tegernseer Tal aber mehr als eine Farce sein soll, muss noch deutlich mehr kommen.

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