Ich stehe an einem Gartenzaun vor einem in die Jahre gekommenen Gebäude. Eine große Eisentreppe an der Vorderseite sticht ins Auge. Ein Fluchtweg führt aus dem Fenster. Zwei Gebäude sind mit einem kleinen Holzdach provisorisch verbunden. Immer wieder gehen junge Männer hin und her. Sie telefonieren, sprechen miteinander. Einer trägt einen Putzeimer, ein zweiter eine Pfanne.
Andere spielen Fußball im weitläufigen Garten oder fahren mit dem Rad umher. Es ist ein Kommen und Gehen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht ein villenartiges Haus mit gepflegtem Garten. Das Gefühl ist: hier treffen Gegensätze aufeinander.
In der alten Turnhalle am Gmunder Seeufer sind aktuell 35 Asylsuchende untergebracht. Eine Familie und junge Männer Anfang 20 aus insgesamt sechs verschiedenen Ländern. Die Meisten schlafen in einem großen Gemeinschaftsraum. Als ich die Halle betrete, strömt mir Parfümduft entgegen. Einer der Bewohner läuft mit Zahnbürste in Richtung Bad. Die Männer scheinen sich nicht durch die rund 15 versammelten Personen stören zu lassen, die am Freitag in ihre Unterkunft kommen, um sich „das Ganze mal anzusehen.“
Zu Besuch in der Halle
Anlass ist der Besuch von Dieter Lauinger, Thüringer Minister für Migration, Justiz und Verbraucherschutz. Mit dabei sind Landrat Wolfgang Rzehak, der Gmunder Bürgermeister Georg von Preysing und andere Verwaltungsmitarbeiter. Man wolle sich ein Bild von beispielhaften Unterkünften machen. Zuvor war Lauingers` Begleittrupp schon zu Besuch in der Rottacher Traglufthalle.
Rund eine Stunde wird im Kreis stehend über Asylverfahren, Abschiebung und bürokratische Hürden debattiert, während der Leiter des Helferkreises Hajo Fritz versucht, den Anwesenden sein Konzept zu vermitteln. Bürgermeister von Preysing scheint bereits einen engeren Bezug zu „seinen“ Asylbewerbern aufgebaut zu haben – einige kennt er beim Namen.
Brhane Tadese und Kibrom Welday sind schon rund ein Jahr in Gmund. Ihnen gefällt es gut hier. Sie verstehen sich mit den Leuten, egal ob Mitbewohner oder Helfer. Auch über die Unterkunft verlieren sie kein schlechtes Wort.
Doch das sehen nicht alle so. Christia Mwankwo kommt aus Nigeria. Er ist nicht glücklich. Er arbeitet bei Schober in Gmund. Wenn er von der Arbeit kommt, wünscht er sich ein bisschen Ruhe, die er in der Halle nicht findet. Oft könne er nicht schlafen, weil es so laut sei.
In der Halle gibt es Stockbetten, die mit Spinden und Vorhängen kleine „Zimmer“ abtrennen sollen. Doch viele Bewohner haben ihre Betten mit Laken abgehängt, um sich zusätzlich ein wenig Privatsphäre zu verschaffen. In der Mitte stehen Bierbänke. Hier kann gegessen werden. Die Küche befindet sich im gegenüberliegenden Anbau.
“Der Ärger hat sich gelegt”
Aus den ehemaligen Umkleiden wurde provisorisch ein Untersuchungszimmer für den pensionierten Gmunder Arzt Dr. Ottmar Strassmüller eingerichtet. Jeden Freitag gibt er eine Sprechstunde und erklärt: „Die Männer kommen mit Bauchschmerzen, Erkältungen oder anderen Kleinigkeiten zu mir“. Das Klima zwischen den Bewohnern findet Strassmüller mittlerweile gut. Anfangs habe es Ärger zwischen den Nigerianern und Senegalesen gegeben. Doch das habe sich mittlerweile gelegt.
Ephrem Mahar ist erst vor drei Monaten von Eritrea nach Deutschland gekommen. Er findet den Tegernsee und die Region toll. Ephrem ist froh hier zu sein. Trotzdem belastet auch ihn die Situation in der Turnhalle. „Wir haben alle andere Kulturen und Religionen. Das ist schwierig“, meint er und betont gleichzeitig, dass er die Situation nicht ändern kann. „I live“ – das scheint im Moment die Hauptsache. Für die Zukunft wünscht sich Ephrem ein sicheres Zuhause, und vielleicht eine Familie.
Die acht Senegalesen, die in der Halle wohnen, werden wohl kein Asyl in Deutschland bekommen, da ihr Land als sicher gilt. Zwei von ihnen haben bereits einen Abschiebebescheid erhalten. Sie müssen zurück in ihre Ankunftsländer Italien und Frankreich. Auch bei einem Teil der 16 Nigerianer rechnet Hajo Fritz mit der Abschiebung. Bisher sind vier Asylbewerber aus der Unterkunft anerkannt. Und auch für die 15 Eritreer und die fünfköpfige syrische Familie sieht es gut aus.
Ein kurzes Gefühl wie im Zoo
Alle haben mich an diesem Nachmittag nett begrüßt und mit mir gesprochen. Die Atmosphäre ist offen und freundlich. Keiner wirkt hier abweisend oder genervt. Ganz im Gegenteil: Die jungen Männern scheinen fast froh, mit neuen Menschen in Kontakt treten zu können. Und die Hemmschwelle, die auch ich am Anfang des Besuchs überwinden musste, ist gar nicht so groß, wie man zuerst denkt.
Mein Fazit des Besuchs: Kontaktaufnahme und Offenheit sind wichtig – das öffentliche Beschauen durch Politiker, bei denen selbst ich mich gefühlt habe wie im Zoo, ist dagegen eher unpassend.
Einige Eindrücke aus der Gmunder Unterkunft:
SOCIAL MEDIA SEITEN