Und ewig kriecht der Sellerie

„Wir haben uns gefreut wie die kleinen Kinder, als es funktioniert hat.“ Wenn Christine Weindl von der Verpflanzungsaktion erzählt, klingt ihre Stimme so schwärmerisch, als würde sie von einem ihrer Kinder berichten.

Christine und ihr Mann Hans sind Landwirte in Krottenthal und haben es geschafft, den geschützten „Kriechenden Sellerie“ zu verpflanzen. Dort, wo er ursprünglich wuchs, ist seit Jahren ein Gewerbegebiet geplant.

Eigentlich sollte es bereits 2007 losgehen mit dem Gewerbegebiet in Krottenthal, nördlich der Gmunder Kreuzstraße.

Eigentlich sollte es bereits 2007 losgehen mit dem Gewerberaum. Doch dann entdeckten Biologen bei einer Kartierung von Molchen und Lurchen – sozusagen fast zufällig – das Vorkommen der vom Aussterben bedrohten Pflanze. Wie gut, dass es Leute gibt wie die Weindls, die – gemeinsam mit Biologen, Gutachtern und einem ganzen Team an Leuten, alles dafür tun, den Lebensraum zu sichern.

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Die Wissenschaftler haben immer gesagt, das geht nicht!

Das berichtet die Landwirtin unserer Redaktion auf Rückfrage. Die Rede ist davon, den seltenen „Kriechenden Sellerie“, der bei den ökologisch wirtschaftenden Landwirten auf einer feuchten Wiese wächst, zu verpflanzen. Zu diesem Zweck waren Biologen und Gutachter mit Spaten angerückt.

Doch Christines Mann Hans hatte eine bessere Idee. Er befuhr die Wiese, auf der die seltene Pflanze vorkommt, mit seinem Rückewagen – mit dem er sonst im Wald das Holz erntet. Und hob die Seltenheiten jeweils mit dem darunterliegenden Erdreich heraus. Auf diese Weise verpflanzte er die einzelnen Pflänzchen auf die Wiese nebenan. Um Platz zu schaffen für ein Gewerbegebiet – und gleichzeitig das Flora-Vorkommen zu sichern.

Die Pflanze, die weltweit vom Aussterben bedroht ist, kommt vor allem noch im Donau- und Voralpenraum vor, kann man beim Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) erfahren. Die größte Gefahr für „Apium repens“ – den Kriechenden Sellerie – stelle laut LfU der Verlust von geeigneten Lebensräumen dar.

Warum Artenschutz so wichig ist

Umweltschützer wissen, dass der Erhalt möglichst vieler Arten wichtig für das Zusammenleben auf der Erde ist. Doch immer mehr Arten fehlen inzwischen die Lebensräume, weil der Mensch zu viel Platz für sich selbst beansprucht. Wie Umweltverbände wie Greenpeace warnen, könne man sich dadurch „seinen eigenen Ast absägen.“ Denn die Arten, die Lebensräume und die Abläufe sind sowohl mit dem Wasser als auch mit der Luft und dem Land verbunden. Man bietet einander die notwendigen Nahrungsketten.

Fehle eine Art, so sterben mit ihr automatisch etliche andere aus. Das macht auch die Wichtigkeit eines vermeintlich unwichtigen Pflänzchens wie dem „Kriechenden Sellerie“ deutlich. Christine Weindl erzählt, der Ursprung ihrer Pflanzen sei eigentlich an der Weißach. Von dort habe man einst Auffüllmassen in den Boden in Krottenthal eingebracht.

45 Quadratmeter „Kriechender Sellerie“ konnten gesichert werden.

45 Quadratmeter des Grüns sind inzwischen verpflanzt. „Bisher stellten wir das zweitgrößte Vorkommen in Bayern“, so die Bäuerin stolz. Vor Kurzem seien zwei weitere Standorte – unter anderem auch in Bad Wiessee – entdeckt worden. Jetzt liege man auf Rang vier.

Die Fläche der Weindls, auf der der „Kriechende Sellerie“ sich jetzt ausbreiten darf, nennt man eine „Ökologische Ausgleichsfläche“. Um Bauprojekte auszuweisen, müssen solche Flächen nachgewiesen werden, damit der ökologische „Raub“ ausgeglichen wird. Jetzt pflegt das Landwirtspaar mindestens 25 Jahre lang die Fläche mit den seltenen Pflänzchen. Derweil wird sich gleich daneben, in der ursprünglichen Heimat der Seltenheit, ein Gewerbegebiet ausbreiten.

Die Murnau-Werdenfels-Rinder werden die „Apium repens“-Wiese im Auftrag der Weindls bewusst beweiden. Auch mähen darf man derartige Wiesen. Denn das tue der Pflanze sogar gut, erklärt die Bäuerin:

Sie vermehrt sich über eine Art Arme. Fallen welche weg, so kommen dort mehrere nach.

Weil Bayern zum Teil die Verantwortung trägt, dass das Pflänzchen nicht ausstirbt, dürften auch die Miesbacher Kreistagsmitglieder in den vergangenen Jahren einiges über die Flora im Landkreis dazugelernt haben. Bereits am 3. Dezember 2007 befasste sich das Gremium mit der seltenen Pflanze und leitete die 14. Änderung der Landschaftsschutzgebietsverordnung „Egartenlandschaft um Miesbach“ ein.

Ausgangspunkt war der Antrag der Gemeinde Waakirchen auf Ausweisung des Gewerbegebiets „Krottenthal“. Während für den ersten Bauabschnitt einer Änderung gleich zugestimmt wurde, wurde die Herausnahme des zweiten Bauabschnitts aus dem Geltungsbereich der Landschaftsschutzgebietsverordnung nur mit der Maßgabe beschlossen, dass erst für den dort vorkommendem „Kriechenden Sellerie“ eine Lösung gefunden werden müsse.

Weiterer Schritt Richtung Gewerbegebiet getan

In Abstimmung mit der Regierung von Oberbayern – also der höheren Naturschutzbehörde – wurden dann die oben beschriebenen Verpflanzungsmaßnahmen durchgeführt, um den geschützten Pflanzen ein gesichertes Fortbestehen zu ermöglichen. Nachdem die Maßnahmen nun entsprechend erfolgreich abgeschlossen sind, kann und muss der Kreistagsbeschluss aus dem Jahr 2007 nun durch Landrat Wolfgang Rzehak vollzogen werden.

Auch die Waakirchner Gemeinderäte haben von der geglückten Verpflanzungsaktion erfahren und sind freudig gestimmt, dass es nach all den Jahren nun doch noch etwas wird mit dem geplanten Gewerbegebiet. „Alles ist sauber abgearbeitet“, berichtete Geschäftsleiter Franz Schweiger in der Sitzung.

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