Zugunglück hätte verhindert werden können

Nachdem es gestern vor dem Traunsteiner Landgericht vor allem um die Frage ging, ob die Bahn eine Mitschuld an dem Zugunglück von Bad Aibling trägt, überraschte heute vor allem die Aussage eines Gutachters.

Hätte Michael P. das richtige Notrufsignal, welches auch in den Zügen ankommt zwei Minuten früher geschaltet, hätte der Zusammenstoß verhindert werden können. /Bild: Thomas Gaulke, rechts: dpa
Hätte Michael P. das richtige Notrufsignal, welches auch in den Zügen ankommt, zwei Minuten früher geschaltet, hätte der Zusammenstoß verhindert werden können. /Bild: Thomas Gaulke, rechts: dpa

In der gestrigen, neunstündigen Verhandlung hatten in erster Linie Sachverständige das Wort. Der Bericht der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes (EUB) ergab, dass die Bahnstrecke zwischen Rosenheim und Holzkirchen signaltechnisch zuletzt im Jahre 1977 modernisiert wurde. Diese hätte “längst nachgerüstet werden müssen”, so der Sachverständige.

Allerdings bestehe die Einschränkung, dass die Bahn dies nur im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten tun müsse. Der Gutachter sprach von einer seit 1984 bestehenden “weichen Nachrüstungspflicht” der Bahn. Tatsächlich nachgerüstet haben sie aber weder die damalige Deutsche Bundesbahn, noch später die privatisierte DB Netz AG, an welche die Verantwortung für Gleise und Signaltechnik im Jahr 1994 übergegangen ist. Der Gutachter ratlos:

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Ich kann nicht beurteilen, warum sie es nicht nachgerüstet haben.

Außerdem übte der Gutachter Kritik an dem Regelwerk für Mitarbeiter der Bahn, bestätigte jedoch auch Fehler des Fahrdienstleiters und menschliches Versagen. Besonders interessant, ob die Bahn eine Mitschuld trägt, dürfte die Frage für die Verteidiger und Nebenkläger sein. Sie wollen eine mögliche Mitverantwortung der Bahn bewertet sehen. Zum einen, um ein geringeres Strafmaß für ihren Mandanten zu erreichen, zum anderen um von der Bahn mehr Schadenersatz und Schmerzensgeld erstreiten zu können als von dem Fahrdienstleiter zu erwarten sind.

Eine Rolle spielt dabei, ob die Anlagen in einwandfreiem technischen Zustand waren und ob das Stellwerk mit seiner Ausrüstung aus dem Jahr 1977 überhaupt mit zeitgemäßer Technik ausgestattet ist. Das Stellwerk habe so reagiert, wie es funktionieren sollte, so der Sachverständige der EUB.

Technik funktionierte

Der zweite Gutachter, Diplom-Ingenieur Martin Will ist ein Sachverständiger für Schienenersatzfahrzeuge. Er war bei bisher allen Verhandlungstagen anwesend. Der 61-jährige Gutachter wurde von Oberstaatsanwalt Jürgen Branz persönlich beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. Er bediente sich an diversen Datensätzen aus Zügen und Stellwerken. Ein neues System sei die sogenannte „Redbox“, die der Sachverständige selbst auch zum ersten Mal auswertete. Sie sei für Fahrzeugentwickler als Hilfe bei der Störungssuche gedacht.

Insgesamt 180 analoge und digitale Signale werden dort extrem genau aufgezeichnet und manipulationssicher gespeichert. Die Aussagewahrheit sei sehr hoch. Zwei “Redboxen” konnten vollständig ausgelesen werden. Die Auswertung der Daten ergab eine widerspruchsfreie Datenlage für Ort, Zeit und Geschwindigkeit der Züge. Ort, Zeit und Geschwindigkeit passen also zusammen.

Auch auf den Ablauf des Zusammenstoßes ging der Zeuge gestern vor Gericht ein. Die Seitenwand eines Zuges sei regelrecht abgeschält worden, so der Gutachter. Die Züge seien aneinander vorbei geglitten. Der Zeuge ergänzt:

Die Fahrgäste die hinten saßen, haben von dieser Konstellation – wenn man so will – profitiert.

Die Fahrzeuge seien bei der Fahrt in “einwandfreiem Zustand” gewesen. Auch die Triebfahrzeugführer hätten alle benötigten Nachweise gehabt und alle Tests bestanden. “Das ist eine vernünftige Fahrweise, wie ich sie von einem Triebfahrzeugführer verlange”, so der Diplom-Ingenieur.

Auch dieser Zeuge bestätigte Fehler des Fahrdienstleiters. Die Technik als solches habe funktioniert. Wäre der erste Notruf beim Lokführer angekommen, wäre der Zug unter Berücksichtigung von Reaktions- und Rufaufbauzeit aus Bad Aibling 205 Meter vor dem Kollisionsort zum Stehen gekommen. Beim Gegenzug hätte es sich ähnlich verhalten.

Die Kollision hätte also verhindert werden können, wenn der Notruf angekommen wäre.

Der späteste Zeitpunkt zu dem das Sondersignal hätte gegeben werden können sei 06.43 Uhr und 29 Sekunden gewesen. Das Zs1-Signal wurde laut seinem Gutachten um etwa 6.45 Uhr und 34 Sekunden gegeben – somit rund zwei Minuten zu spät.

Der Prozess wird am 28. November fortgeführt. Das Urteil ist für den 05. Dezember angesetzt.

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