Warngau: Chronik eines Protestes

Der Bau einer Unterkunft für Geflüchtete auf dem VIVO-Gelände in Warngau, erzürnt viele Bürgerinnen und Bürgern. Auf einem Info-Abend zum Vorhaben des Landratsamtes wurde der Landrat massiv angegangen. Die AfD freut’s.

Warngau will keine Flüchtlingsunterkunft / Quelle: Martin Calsow

Noch zu Beginn des Jahres hielt sich das Landratsamt mit den Planungen sehr bedeckt. Man wolle eine Flüchtlingsunterkunft in Warngau errichten. Weniger als 600 Personen sollen in direkter Nachbarschaft zum dortigen Recyclinghof leben. Über die nächsten Wochen wuchs der Protest. Aus Petitionen wurden wütende Demonstrationen. Bisheriger Höhepunkt: Der Landrat, Olaf von Löwis, wurde bei einer Bürgerversammlung in Warngau am Montag massiv bedroht.

Die Lage:

Die Bundespolizei hat für Bayern mehr unerlaubte Einreisen gemeldet als im Jahr zuvor. Insgesamt 34.000 Fälle wurden registriert. Eine Zunahme von fast 5.000 im Vergleich zum Jahr 2022. Gleichzeitig sei die Zahl der Fälle gesunken, in denen Migranten zurückgewiesen oder umgehend wieder abgeschoben wurden – von rund 17.500 auf etwa 13.600. Erst im Dezember gab es rückläufige Zahlen.

Anzeige

Und bei uns?

Auch hier müssen Menschen untergebracht werden. Zuständig dafür: das Landratsamt. Die Behörde sucht seit Jahren händeringend nach Möglichkeiten. Jede Gemeinde winkt erst einmal ab. Tegernsee hatte 2022 die Turnhalle freiräumen müssen. Es sei nur ein Übergang, so hatte man den Eltern und Schülerinnen und Schülern versprochen. Die Turnhalle ist immer noch belegt. Der Rest der Geflüchteten ist im ehemaligen Hotel Bastenhaus untergebracht. 250 sind es insgesamt. Das sind etwa sieben Prozent der Gesamtbevölkerung von Tegernsee.

Der Unmut in Teilen der Bevölkerung wuchs. Auch, weil das Landratsamt keine Perspektive für eine Entlastung gab. Überall dort, wo man Unterkünfte theoretisch hatte, brannte sofort Widerstand auf. Etwa Marienstein. Sofortiger Widerstand aus der Anwohnerschaft. In Hausham sollte das ehemalige Impfzentrum für eine Erstaufnahmeeinrichtung umgewandelt werden. Der Bürgermeister Jens Zangenfeind (Freie Wähler) winkte ab, sehr zum Unwillen seiner Bürgermeister-Kollegen, die den Haushamer daran erinnerten, dass er ja auch Stellvertreter des Landrats sei, und man da eine gewisse Solidarität erwarten könne. Die Erstaufnahme ist wichtig für den Landkreis. Jede Woche kommen Busse mit neuen Asylbewerbern, das waren im Schnitt etwa bis zu 50 Personen im vergangenen Jahr.

Erstaufnahmeeinrichtung:

Eine Erstaufnahmeeinrichtung ist dann die erste Station eines nach Deutschland kommenden Asylbewerbers. Nach der Registrierung, der Gesundheitsuntersuchung und der Aufnahme des Asylantrages werden sie dann auf Asylbewerberunterkünfte im Landkreis oder bayernweit verteilt. Dort bleiben sie in der Regel bis zum Abschluss des Asylverfahrens. Immer wieder warb der Landrat mit seinem Team vor Ort, erklärte, versuchte, die Sorgen und Ängste zu nehmen. Ein undankbarer Job. Wer hat so eine Einrichtung schon gern im Vorgarten, sagen die Menschen.

Der Plan:

Dann kam die Idee mit Warngau. 3.800 Einwohner hat die Gemeinde, die sich nicht nur auf einen großen Ortskern beschränken, sondern auch auf Weiler drumherum erweitern. Hier sollen also 500 Asylbewerber auf 10.000 Quadratmetern untergebracht werden. Das sind dann shon dreizehn Prozent der Bevölkerung, doppelt so viele wie in Tegernsee. Für die Unterbringung sind vier Containerwürfel für je 126 Personen vorgesehen. Es soll einen Versorgungsbereich mit Spielplatz sowie Container für Sozialarbeiter geben, sodass die Infrastruktur in Warngau selbst wenig belastet wird. So geht die Theorie.

„Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ – Marterl in Reitham/Warngau

Auch ein kleiner Supermarkt soll in dem „Dorf im Dorf” entstehen. Den reibungslosen Betrieb der umzäunten Anlage soll ein Sicherheitsdienst übernehmen. Je nach Witterung könnte mit dem Bau bereits dieses Frühjahr begonnen werden. Direkte Nachbarn wären Bauernhöfe. Die sorgen sich. So sagen sie es der Presse, den Politikern. Die Anlage würde, so hört man, den Landkreis mehrere Millionen Euro kosten, die die Behörde aber wohl weiter an den Bund belasten könne. Zudem sei die Einrichtung auf 24 Monate geplant. Dann käme sie wieder weg. Löwis verspricht es.

Der Protest:

So plante man das vor Weihnachten im letzten Jahr in Miesbach. Dann protestierten die Bauern. Aus einem Agrar-Widerstand wuchs eine breite Protestbewegung aus Handwerkern, Unternehmern und Landwirten. Über WhatsApp-Gruppen wurden diverse Protestformen ausprobiert, Themen wie Steuersenkung für alle, bezahlbarer Wohnraum oder ganze Systemveränderungen eingefügt. Das Ziel einiger Initiatoren war klar: Je breiter die Themen, desto mehr Menschen treten in die Öffentlichkeit, verleihen den Forderungen mehr Nachdruck. Mit einem traditionellen Schönheitsfehler: Wie bei jeder neuen Protestbewegung haken sich auch extrem denkenden und agierenden Personen unter. Freuen sich Initiatoren anfangs über den Zuspruch, können sie die Unterwanderung kaum mehr beherrschen.

So ging es dem örtlichen Bauernverband, der anfangs noch mit Lenkung die extremen Spitzen abmildern wollte. So geht es den etablierten Parteien. Und auch die Freien Wähler, einst mit beim Protest vorn dabei, mekren: Da löst sich ein Geist aus der Flasche, der womöglich nicht “beherrschbar” ist.

In den digitalen Info-Gruppen auf WhatsApp und Telegram konnte man quasi in Echtzeit die Radikalisierung, die Frustration und auch die Verbreiterung des Protestes mitlesen. Vom Bauernfrust zum Systemwechsel-Traum dauerte es nur wenige Wochen. Lieblingsfeindbild wurde schnell, auch das ist nicht neu, die Presse. Selbst wir von der kleinen Tegernseer Stimme bekamen Beleidigungsmails und Morddrohungen zugeschickt. In München wurden Zugänge zu Fernsehsendern blockiert. Die Protestler forderten mehr Sendezeit und eine andere Berichterstattung.

Wut in Warngau:

Weil nach Wochen der Mahnfeuer und Traktorsperren bald aber die Luft aus der Bewegung zu gehen schien, musste ein emotionales, ein scheinbar einfach zu vermittelndes Thema her: Da kam die Flüchtlingsunterkunft in Warngau gerade recht. Wie in Deutschland üblich, wurde erst einmal ein Verein gegründet, mit digitalem Auftritt und schönem Namen “Hand in Hand für unser Land”. ‘Jetzt sei die Zeit zu rebellieren’ schreiben die Initiatoren. Fährt man von der Autobahn ab ins Tal wird man mit Plakaten und Aufstellern konfrontiert. “Nein zur Asyl-Massenunterkunft in Warngau/Holzkirchen” ist da zu lesen. Daneben ein überfülltes Schiff, das durch ein zerbrochenes Warngauer Ortsschild pflügt. Im benachbarten Sachsenkam setzen sich Protestler mit schwarz angemalten Gesichtern und Schwimmflügeln auf Traktoren und behindern mit einer “Rallye” den Verkehr. Das Motto: Je krasser der Protest, desto mehr Aufmerksamkeit.

Der Abend der Wut:

Dann der Höhepunkt am Montagabend in Warngau. 800 Menschen kommen zu einer Bürgerversammlung. Der Landrat Olaf von Löwis will mit seinem Team die Pläne für die Unterkunft an der VIVO vorstellen. Zuvor hatte der Warngauer Gemeinderat sich einstimmig gegen das Projekt ausgesprochen. Die Kommune könne das nicht verkraften. An diesem Abend aber droht eine Eskalation. Nicht nur Warngauer sitzen im Publikum. Es herrscht eine aggressive Stimmung von Beginn an. Häme und Gejohle erklingt, wenn von Löwis erklärt. Ein sichtlich überforderter Bürgermeister Klaus Thurnhuber kann die Wut im Publikum kaum bändigen, geschweige denn eine vernünftige Sachdiskussion herbei moderieren.

Derweil hupen, pfeifen und johlen draußen vor der Tür Menschen, die keinen Platz mehr im Saal fanden. “Wir sind das Volk”-Rufe sind zu hören. Mehrheitlich sprechen Warngauer, wollen ihre Sorgen vor möglicher Zunahme von Kriminalität mitteilen, viele fühlen sich fremdgesteuert. Aber auch Ortsfremde melden sich zu Wort, AfDler, zum Teil aus Gmund und Bad Aibling. Für sie ist der Protest Wasser auf ihren Populismus-Mühlen. Ein tapfer sachlich bleibender und werbender Olaf von Löwis sieht sich einer Wand von Widerstand gegenüber. Er dringt nicht durch. Austausch von Sachargumenten – das will man diesem Abend nicht.

Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich bevormundet von der Aktion, ihnen werde einfach etwas Riesengroßes, Fremdes in den Vorgarten gestellt, so sagen sie. Man habe nicht mitzureden, sei Opfer einer Politik, die im fernen Berlin gemacht werde. Und die Zunahme von Kriminalität von Migranten sei ja nicht von der Hand zu weisen. 

Angst schluckt Solidarität

Bundes– und bayernweit stimmt das; gleichzeitig muss man klarstellen, dass die Kriminalität auch bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund steigt. Generell ist bei Diskussionen zur Unterkunft das einstige Gefühl des Mitleids für die Menschen, einem grundsätzlichen Verdacht der Gefahr gewichen.

Aber das ist auch eine Frage der Region. Während in Warngau der Bürgermeister (FW) das Johlen und Kommentare in Gemeinderastsitzungen zulässt, und so gewählte Vertreter damit in ihrer Entscheidung massiv unter Druck gesetzt werden, verbietet eine Gemeinde weiter, in Holzkirchen, der dortige Bürgermeister (CSU) rigoros jede Kommentierung aus dem Publikum. Das Ergebnis ist eine sachliche Diskussion.

Negativbeispiel und Vorbild Tegernsee

In Tegernsee wird die Arbeit der dortigen Flüchtlingshilfe vom gesamten Stadtrat wohlwollend unterstützt wird. Ehrenamtliche werden immer wieder öffentlich gelobt. Die anderen Kommunen schweigen, auch zu fragwürdigen Plakaten oder Protesten. Vielfach wird von Kommunalpolitikern die nicht zu bändigende Macht dieser außerparlamentarischen Protestbewegung unterschätzt. Das läuft sich aus, hoffen Bürgermeister, wenn man mit ihnen spricht. Wer am vergangenen Montag in Warngau war, kann diese Aussage nur als angstvolles Pfeifen im dunklen Wald interpretieren.

Zeitgeist oder Rechtsruck?

Spiegelt die Auseinandersetzung mit einer Unterkunft von Geflüchteten den Zeitgeist? Die gesellschaftliche Mitte ist nach rechts gerückt. Entscheidungen des Staates werden nicht mehr mitgetragen – ein Relikt aus der Pandemie-Zeit? Olaf von Löwis hat sich gegen diese Wand gestellt. Wer aber stellt sich der Wut in den nächsten Wochen?

SOCIAL MEDIA SEITEN

Anzeige
Aktuelles Allgemein

Diskutieren Sie mit uns
Melden Sie sich an und teilen Sie
Ihre Meinung.
Wählen Sie dazu unten den Button
„Kommentare anzeigen“ aus

banner