Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Das Thema Asyl polarisiert. Politisch korrekt heißt man die Flüchtlinge unvoreingenommen willkommen. Doch Vorbehalte gibt es. Ängste sind da. Die Frage ist: Kann man überhaupt unbefangen darüber sprechen? Vielleicht darüber schreiben. Wir haben es versucht. Ein streitlustiger Skype-Chat unter Kollegen.

Mit den Mitfahrgelegenheiten sind die Asylbewerber nun viel flexibler geworden
Wie soll am besten mit Asylbewerbern umgegangen werden?

Asyl ist ein Brennpunktthema, das die Marktgemeinde bewegt. Und auch uns als Redaktion. Nach langem Warten sind die Asylbewerber nun da. Wir haben die Debatten, Standortdiskussionen und Probleme von Anfang an mitverfolgt und sind der Meinung, dass man zu diesem Thema durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann.

Wir finden, dass man Asylbewerber willkommen heißen und den Dialog mit ihnen fördern sollte. Wir finden aber auch, dass Vorbehalte und Ängste nicht totgeschwiegen werden dürfen. Es ist ein emotionales Thema. Und über Gefühle sollte man sprechen.

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[19.09.14 09:37:47] Robin Schenkewitz: Hi!

[19.09.14 09:38:03] Daniela Otto: Guten Morgen Kollege. Was steht an?

[19.09.14 09:38:28] Robin Schenkewitz: Kirche, Polizeiwache … Und wie wir letztens in der Konferenz besprochen hatten: Das Thema Asyl brennt uns immer noch auf den Nägeln. Wir sollten das nochmal einordnen. Unsere Erfahrungen darstellen.

[19.09.14 09:39:23] Daniela Otto: Geb’ ich dir recht. Wir hatten ja lange und kontrovers darüber gesprochen. Bin auch erst heute Morgen wieder an der Containersiedlung vorbeigefahren. Und letzte Woche war ich ja da, als die ersten beiden Flüchtlinge eingezogen sind. Keine Frage: ein diffiziles Thema.

“Meine Furcht wurde durch Freundlichkeit genommen”

[19.09.14 09:41:06] Robin Schenkewitz: Das stimmt, das Thema ist emotional derart aufgeladen, dass man eigentlich gar nicht unvoreingenommen rangehen kann. Ganz ehrlich, als ich das erste Mal bei Asylbewerbern war, hatte ich ein mulmiges Gefühl. Und das geht mir bis heute noch so. Aber bis jetzt bin ich jedes Mal von den Leuten positiv überrascht worden. Die meisten sind nett. Ich kann sagen, dass mir meine Furcht durch Freundlichkeit genommen wurde. Ich habe Respekt vor ihnen. Man darf nicht vergessen, was die Menschen hinter sich haben – die Flucht aus einem Krisengebiet.

[19.09.14 09:46:26] Daniela Otto: Es ist wirklich nicht einfach. Es ist so, hmm … darüber zu schreiben darf man fast nur unter der Prämisse der politischen Korrektheit. Aber das kann es auch nicht sein. Wir wollen hier ja keinen Gemeinderatssitzungsstil zitieren. Blenden wir die Untertöne nicht aus: Es schwingt noch so viel subtil mit. Gerade das sollte man nicht ausblenden. Natürlich heißt es von offiziell-politischer Seite immer: “Alle freuen sich auf die Asylbewerber”, “Jede Gemeinde muss ihren Beitrag dazu leisten”. Das ist ein einziges zitathaftes Floskelgedresche. Kann man auch nicht ganz ernst nehmen. Mir geht es hier um Gefühle. Für die kann man nichts.

[19.09.14 09:50:33] Robin Schenkewitz: Das mit der politischen Korrektheit – oder Verlogenheit – sieht man ja schon an der Ungleichverteilung im Landkreis, dass eigentlich keiner Asylbewerber bei sich haben will, das aber so nicht offen sagen kann. Und am Tegernsee hat man mit dem Tourismus jetzt eine gute Ausrede gefunden. Aber so werden die Ängste meiner Meinung nach erst geschürt. Die Asylbewerber werden abgeschottet, kommen aus fremden Ländern – nochmal, sie haben wirklich viel durchgemacht – und “eigentlich” will man sie ja gar nicht haben. Da ist doch klar, dass die Leute sich ihre eigene Meinung bilden, ohne jemals mit den Asylbewerbern in Kontakt zu kommen. Solange sie etwas Fremdes bleiben, wird auch die Angst fortbestehen.

“Ich würde es keinen Tag in den Containern aushalten”

[19.09.14 09:51:16] Daniela Otto: Das Gesamtkonzept scheint mir nicht konsequent zu Ende gedacht zu sein. Die Flüchtlinge sind da, und jetzt? Wie geht’s weiter? Oder mal konkret zu den Unterkünften: Wie oft hab’ ich gehört: Die Container sind sauber und gut. Dann steh ich davor und denk mir: Puh. Ich würd’ es da keinen Tag aushalten. Ich würde Beklemmungszustände kriegen. Ein Bett, ein Tisch, ein Kühlschrank. Das ist fast wie eine Gefängniszelle.

[19.09.14 09:51:19] Robin Schenkewitz: Also ich fand die Räume eigentlich angenehm. Sie hatten halt jetzt was Steriles wie ein Krankenhaus, aber mit einem Bild an der Wand kann ich mir das schon gut vorstellen.

[19.09.14 09:52:51] Daniela Otto: Ich will jetzt nicht wie Prinzesschen auf der Erbse wirken, aber auf mich hat es einen sehr beklemmenden Eindruck gemacht. Ist halt jetzt auch als eigene kleine Siedlung regelrecht outgesourct und ich weiß nicht, wie das integrativ funktionieren soll.

[19.09.14 09:55:59] Robin Schenkewitz: Das ist ja eben das Problem. Was wird denn normalerweise outgesourct? Dinge, die man selber nicht machen oder in dem Fall haben will. Doch gerade bei den Asylbewerbern stellt sich mir die Frage: Warum eigentlich nicht? Jeder von uns fährt in den Urlaub, um etwas Neues zu erleben, um in andere Welten zu tauchen, um fremdes Essen auszuprobieren. Jetzt haben wir das Fremde vor der Haustür. Aber den Vorteil sehen wir dadurch nicht, sondern nur die Nachteile. Schließlich wird uns Ali bestimmt bald den Arbeitsplatz wegnehmen und unsere kleinen Kinder essen.

“Das Exotische zieht an – und ist zugleich befremdlich”

[19.09.14 09:59:37] Daniela Otto: Haha. So isses! Nein im Ernst. Das ist eben auch das Problem, dass es ein Thema ist, das populistisch vereinnahmt werden kann. Ganz gefährlich. Und klar, das ist völlig doppelmoralisch, im Urlaub möglichst authentisch mit der exotischen Kultur in Kontakt kommen zu wollen und dann zuhause das Fremde zu fürchten. Ist allerdings ein alter Topos. Das Exotische zieht an – und ist gleichermaßen befremdlich. Und ich schließe mich da nicht aus. Es beschleicht mich ein unheimliches Gefühl, wenn ich mir vorstelle, ich würde als Frau alleine fremden Männern begegnen. Klingt jetzt vielleicht doof, aber ist so.

[19.09.14 10:07:49] Robin Schenkewitz: Aber wo ist der Unterschied, wenn du in München einer Gruppe fremden Männern begegnest? Außer dass es keine Asylbewerber sind? Hast du dort dann auch Angst? Ich erinnere mich an unser Gespräch letzte Woche. Du hast erzählt, dass die neuen Asylbewerber betont cool aufgetreten seien und du ihnen lieber nicht im Dunkeln begegnen möchtest. Als ich sie zwei Tage später getroffen habe, fand ich sie schüchtern, unsicher und total harmlos. Ich finde es krass, wie man dieselben Menschen so unterschiedlich betrachten kann. Ich meine, das können doch nur unsere eigenen Emotionen sein, die unser Bild dabei verklären.

[19.09.14 10:11:45] Daniela Otto: Die Stimmung war einfach komisch. Klar, die kamen grade erst an. Alle waren “busy”, also die ganzen Helfer waren auch etwas überfordert, der Umzug erschien mir etwas planlos organisiert. Und ja, es war mir wirklich nicht ganz wohl. Sagen wir mal so: Wenn mir in München fremde Männer begegnen, finde ich das auch nicht geil. Nur kann man die eigene Kultur vielleicht doch besser einschätzen, man versteht die Sprache, die Gesten. Es war einfach – buchstäblich – befremdlich.

“Wie soll man sich kennenlernen?”

[19.09.14 10:29:47] Robin Schenkewitz: Ach komm, das ist doch dieses typische Oberschichten-Gelaber. Blond, reich, jung. Das Leben ist schon geplant und es soll sich ja nix verändern. Lieber über Menschen reden als mit ihnen, hab ich das richtig verstanden?

[19.09.14 10:32:26] Daniela Otto: Kollege, jetzt werden wir mal nicht frech. Du bist ja keine Frau. Du weißt nicht, wie das ist, wenn man Angst davor haben muss, körperlich angegangen zu werden. Das ist fast so etwas wie eine weibliche Urangst. Und ganz im Ernst, weil wir das vorhin mit Urlaub etc. hatten: Da hätte ich auch im Urlaub Angst, wenn mir alleine ein Pulk Männer begegnet. Authentische Kulturbegegnungen sind mir dann so was von egal.

[19.09.14 10:41:47] Robin Schenkewitz: Trotzdem versteh ich nicht, wieso das jetzt ein originäres Problem der Asylbewerber sein soll? Weil sie alle auf einem Haufen hocken? Wenn sich niemand mit ihnen unterhält, wie sollen sie dann Leute kennenlernen? Dann müssen sie ja unter sich bleiben. Das ist doch ein Teufelskreis. Ich versteh hier auch die Angst der Anwohner nicht. Nach deinem Prinzip müsste man ja auch vor einem Studentenwohnheim in der Nähe Angst haben, oder?

“Der Umgang mit dem Thema ist oft doppelmoralisch”

[19.09.14 10:42:09] Daniela Otto: Ja logo! Ich sag nur: Wilde Parties 😉

[19.09.14 10:42:14] Robin Schenkewitz: Und das sind immerhin gebildete, weiße Leute…

[19.09.14 10:42:31] Daniela Otto: Spaß beiseite. Ist doch in München auch so: Ich würde nicht überall hinziehen wollen.

[19.09.14 11:32:22] Robin Schenkewitz: Nun das stimmt. Wobei das Argument dafür ja eigentlich nur sein kann, dass in einem bestimmten Viertel besonders viele Straftaten begangen werden. Wer sagt denn, dass Asylbewerber automatisch kriminell sind?

[19.09.14 11:36:15] Daniela Otto: Um Gottes Willen, hoffentlich keiner. So meine ich das auch nicht. Die Rechnung geht ja auch nicht so einfach auf: Asylant = Krimineller. Nein, nein, bloß nicht. Es ist halt nur, wie soll ich sagen, ich finde den Umgang mit dem Thema einfach oft verlogen, ja doppelmoralisch.

“Asylbewerber haben halt ein schlechtes Image”

[19.09.14 11:50:37] Robin Schenkewitz: Ich finde es ist einfach ganz klar folgendes Prinzip vorhanden: Asylbewerber ja, ich bin gerne Gutmensch. Aber natürlich nicht vor meiner Haustür. Asylbewerber haben halt ein schlechtes Image, weil sich niemand wirklich mit ihnen beschäftigt, und weil man sie auch so isoliert hält, dass Barrieren kaum abgebaut werden können.

[19.09.14 11:52:06] Daniela Otto: Aber siehst du: Das ist wie mit – sorry für den Vergleich – der Energiewende. Will auch jeder haben, Windräder vor der Haustür aber nicht. Ist also ein gesamtgesellschaftliches Problem, das sich nicht nur auf dieses eine Thema bezieht. Ich frag mich einfach, wie das jetzt laufen soll: Die Asylbewerber sind da, ein paar Helfer helfen, und dann?

[19.09.14 12:20:37] Robin Schenkewitz: Wenn es so läuft wie bisher, wird sich nichts verändern. Aber auf Vorurteilen beharren ist eben einfacher als auf die vermeintlich unbequemen Asylbewerber zuzugehen. Ich kann bloß sagen, dass ich bisher positiv überrascht wurde. Eine Erfahrung, die ich anderen auch wünsche.

Unsere Standpunkte als Fazit:

Daniela Otto, 28: Es ist ein Akt der Nächstenliebe, Menschen in Not Schutz und Obdach zu gewähren. Hilfsbereitschaft sollte selbstverständlich sein. Doch beim Thema Asyl zeigt sich: Altruismus ist ein dehnbarer Begriff. Die Politik versteckt sich oft hinter politisch korrekten Floskeln, die genauso wenig hilfreich sind wie populistische Stammtischparolen. Ängste, Neugier, Unbehagen, Hilflosigkeit, Überforderung – die Flüchtlingsthematik löst die unterschiedlichsten Gefühle aus. Über diese Emotionen sollte man sprechen.


Robin Schenkewitz, 22:
Seit mehr als zwei Jahren habe ich mehr oder weniger regelmäßig mit Asylbewerbern im ganzen Landkreis zu tun. Am Anfang war ich auch skeptisch. Aber meine Erfahrungen waren bisher immer positiv. Wir können nicht wie Gutmenschen reden und dann niemanden aufnehmen wollen. Wenn schon, dann auch richtig. Schlecht ist die Asylbewerber so abzuschotten, wie es derzeit der Fall ist. So kann keine Seite Vertrauen aufbauen. Einen überzeugenden und durchdachten Plan gibt es aber ganz offensichtlich nicht. Flüchtlinge und Einheimische sind beide gleichermaßen Versuchskaninchen im großen ‘Projekt Asyl’.

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