Wer hat Schuld am Absturz?

Wir alle erinnern uns an die Bilder vom September 2010 in Warngau: Bei einer Flugshow krachen vor den Augen der Zuschauer zwei Flugzeuge ineinander. Eine Maschine stürzt ab – der Pilot stirbt. Vor einem Jahr veröffentlichten die Ermittler den Abschlussbericht. Eine Verkettung von Fehleinschätzungen scheint schuld zu sein.

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Der Sonderlandeplatz in Warngau liegt im Herzen von Oberbayern im idyllischen Alpenvorland. Flüge zu allen oberbayrischen Seen sind in wenigen Minuten problemlos möglich. Der private Motorfliegerclub hat auf seinem Platz zwei Vereinsmaschinen stationiert, mit denen auch Rundflüge über die Alpen angeboten werden. Seit nunmehr 50 Jahren ohne Unterbrechung, betreibt der Club den Sport Motorflug.

Doch im September vor sieben Jahren dann ein schwarzer Tag in der Geschichte des Clubs. Im Rahmen der “Oldtimer Flugtage 2010” stoßen zwei Flugzeuge während eines Formationsfluges, vor den Augen von 6.000 Zuschauern, mit den Tragflächen zusammen. Beide Maschinen fangen Feuer – ein Flugzeug stürzt senkrecht vom Himmel ab – das andere kann notlanden. Bei dem Unfall stirbt einer der beiden Piloten.

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Erst sechs Jahre später, im vergangenen Jahr um diese Zeit, hat die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) ihren Untersuchungsbericht veröffentlicht. Pressesprecher Germout Freitag von der BFU erklärte die lange Laufzeit auf Nachfrage:

Dieser Fall war auch für uns nicht alltäglich und sehr aufwändig. Alle Informationen die unsere Flugunfalluntersucher gesammelt und ausgewertet haben, wurden zusätzlich vom Landeskriminalamt in einem 3D-Scanner vermessen. So konnte der dynamische Prozess rekonstruiert und festgestellt werden, welche Bereiche aus dem Cockpit heraus einsehbar waren beziehungsweise welche „toten Winkel“ sich ergaben.

Erst 2015 gründeten Vertreter der Landesluftfahrtbehörden eine Arbeitsgruppe mit dem Ziel, Anforderungen an Kunstflugpiloten auf Luftfahrtveranstaltungen zu erarbeiten. Die BFU stellte auch dieser Arbeitsgruppe die Ergebnisse ihrer Untersuchungen des Falls in Warngau vor.

Formationsführer (links im Bild) im „toten Winkel“, wenige Sekunden vor der Kollision. /Quelle: LKA München, BFU
3D-Rekonstruktion: Formationsführer (links im Bild) im „toten Winkel“, wenige Sekunden vor der Kollision / Quelle: LKA München, BFU

Für die umfangreichen Sicherheitsempfehlungen können verschiedene Behörden, Vereine und Organisationen Stellungnahmen einreichen. Der damit verbundene Umlauf und die Tatsache, dass es bei der BFU insgesamt nur 18 Flugunfalluntersucher gebe, die für eine Vielzahl von Unfällen zuständig seien, hat laut Freitag, dazu beigetragen, dass die Unfalluntersuchung derart lange gedauert hat.

Verfügbarer Luftraum zu klein

Doch nicht nur der späte Bericht wirft Fragen auf, sondern auch einige darin enthaltene Details. So sei laut BFU der freigegebene Luftraum bei der Flugshow in Warngau zu klein gewesen. Im Rahmen eines Briefings für die Piloten, ergab sich für die Veranstaltung eine verfügbare Länge von rund 800 Meter parallel zur Start- und Landebahn.

Unter Berücksichtigung eines gesetzlich vorgeschriebenen Abstands von 350 Metern zur Zuschauerlinie, war die westliche Grenze definiert. Dieser 350-Meter-Abstand war im Briefing aber gar nicht benannt worden, sondern lediglich die Eisenbahntrasse der BOB im Abstand von etwa 140 Metern.

Der überlebende Pilot sagte aus, dass erst nach dem Briefing das Programm des Formationsfluges festgelegt wurde, welches sich an dem verfügbaren Vorführluftraum orientieren musste. Daraufhin seien der Ablauf und die Kunstflugfiguren geplant worden. In den Augen der BFU zu kurzfristig:

Den Piloten war spätestens nach dem Veranstaltungsbriefing bewusst, dass der verfügbare Vorführluftraum zu klein bemessen worden war. Die Änderung beziehungsweise Anpassung des Programms erfolgte somit erst kurze Zeit vor der geplanten Vorführung. Das erscheint letztendlich zu kurzfristig, um sich darauf einstellen zu können und hätte konsequenterweise komplett abgesagt werden müssen.

Die Zweierformation, bei der es zu dem Unfall kam, setzt sich aus einem Formationsführer und einem Flügelmann zusammen. Wie aus dem Bericht hervorgeht, sei der Formationsführer während des Fluges für die Luftraumeinteilung zuständig gewesen und hätte das Ende des Vorführluftraumes erkennen und rechtzeitig das Kommando zum Beenden beziehungsweise Abbrechen der Formation geben müssen.

Formationsführer (oben) in Rückenlage, linker Flügelmann unten, Bildmitte: Bruchstücke der rechten Tragfläche des Formationsführers Foto: BFU, privat
Formationsführer (oben) in Rückenlage, linker Flügelmann unten, Bildmitte: Bruchstücke der rechten Tragfläche des Formationsführers / Foto: BFU, privat

Wie sich während der Untersuchungen herausstellte, verlor der linke Flügelmann während der Formation plötzlich den Sichtkontakt zu dem Formationsführer. Anstatt die Formation zu verlassen, verharrte er in seiner Position. Laut der BFU “mangelte es dem linken Flügelmann an regelkonformen Verhalten in einer besonderen Situation”.

Überlebender Pilot schuld?

Der unerwartete Verlust des Sichtkontaktes hätte nach den Regeln des Formationskunstfluges zur Meldung „Out, no joy“ und zum Verlassen der Formation durch den Flügelmann führen müssen. Aus welchem Grund dieser aber in seiner Position verharrte, bleibt laut Unfallbericht unverständlich: “Warum der Flügelmann (…) den Flug wie geplant fortsetzte, erschließt sich der BFU nicht”.

Demnach kommen die Experten zu folgender Schlussfolgerung:

Der Flugunfall ist darauf zurückzuführen, dass der linke Flügelmann nach Verlust des Sichtkontaktes zum Formationsführer versuchte, sich in der Formation neu zu positionieren und dabei mit dem Formationsführer kollidierte.

Vorführluftraum gemäß Briefing. /Quelle: Google Earth: KartenserviceTM, Bearbeitung BFU
Vorführluftraum gemäß Briefing / Quelle: Google Earth: KartenserviceTM, Bearbeitung BFU

Als “zu dem Unfall beitragend” wertet die BFU auch, dass “die beiden Piloten trotz eigener Feststellung des zu klein bemessenen Vorführluftraumes keine Konsequenzen für den Umfang und die Durchführbarkeit des Flugprogramms” gezogen hatten.

Dazu kommt, dass der Veranstalter sich das Flugprogramm nicht vorfliegen ließ: “Um Risiken zu erkennen, gibt die NfL I-68/96 dem Veranstalter die Möglichkeit, sich vom Inhalt des Flugprogramms zu überzeugen, indem man sich das Programm vorfliegen lässt. Der BFU erschließt sich nicht, warum der Veranstalter von diesem Recht kein Gebrauch gemacht hat.”

Die Begründung, dass man die Piloten und deren Programm gekannt habe, reicht der BFU laut Bericht nicht aus. Zusätzlich fehlte auch die Festlegung eines Verfahrens von Seiten des Veranstalters, das den Piloten gestattete, in besonderen Fällen – wie dem unvorhergesehenen Auflösen der Formation – auch außerhalb des sehr eng begrenzten Luftraums operieren zu können. Und das, so die klare Erkenntnis, ohne dass die Piloten dafür Strafen hätten befürchten müssen.

So kommt die BFU zu dem Fazit, dass eine Verkettung von Fehlern und Fehleinschätzungen der Sicherheitslage vor Ort zu dem tragischen Unfall in Warngau mit einem toten Piloten geführt hat.

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