Wie das Leben so spielt

Dieses Jahr feiert das Tegernseer Volkstheater 115-jähriges Jubiläum, und kann dabei auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Das Besondere dabei: Die Familie von Gründer Hans Lindner war die ganze Zeit dabei.

Heute ist Urenkel Andreas Kern auf der Bühne am Werk. Und noch immer macht die Familie das meiste selber. Der Theatermensch verfolgt bei seiner Arbeit ein ganz konkretes Ziel: Er will das Theater wieder an alte Erfolge anknüpfen lassen.

Die “Lindner-Truppe”, circa 1920. Hans Lindner (mit Charivari), links daneben Frau Adele
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Spielleiter Kern lebt im Chiemgau. Aufgewachsen in Tegernsee, verschlug es ihn nach der Trennung seiner Eltern in den bayerischen Südosten. Dort lernte er die Bühne kennen und lieben. „Ich spiele, seit ich 17 bin“, sagt der Mittvierziger. Zuerst im Chiemgauer Volkstheater, das seine Mutter führte, dann auch auf anderen Bühnen.

Zum Spielleiter des Tegernseer Theaters kam er „wie die Jungfrau zum Kinde“. Nachdem sein Bruder Florian sein Wirken im Tal beendete, nahm er sich dieser Herausforderung an.

Theater mit Tradition

Damit führt Kern eine lange Familientradition fort. Das Traditionstheater feiert heuer 115-jähriges Jubiläum. „Die Lindners waren alle beim Theater“, erzählt Kern, selbst Urenkel Hans Lindners, der damals das Theater gegründet hatte. Von Gmund aus spielte die Lindner-Truppe überwiegend im Raum Heilbronn und im Schwarzwald.

Auch Gustav Fröhlich, der spätere Filmschauspieler, wirkte mit. Schon damals machte die Schauspieltruppe alles selbst: Vom Kleisterkochen über Kostüme, Requisiten bis hin zur Plakatierung und dem Kartenabriss.

1922 übergab schließlich Hans das Theater an seinen ältesten Sohn Otto-Hans – genannt O.H. Unter dessen Leitung wurden neben den üblichen Possen und Schwänken auch Komödien und ernstere Stücke aufgeführt. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde die Lindner-Truppe zu Tourneen in Österreich, der Schweiz, Italien, Tschechien, Holland und Belgien eingeladen. Schließlich ließ man den Titel „Tegernseer Volkstheater“ ins Handelsregister eingetragen.

Vom Fronttheater ins Fernsehen

Wie viele andere Truppen verpflichtete sich auch die Tegernseer Truppe im Krieg als Fronttheater in Frankreich. Nach dem Tod von O.H. leitete dessen Neffe Lothar Kern die Geschicke des Theaters. Das Bayerische Fernsehen wurde auf die Tegernseer aufmerksam. Das läutete die Glanzzeit der Truppe ein, die bis zur Bäderreform Mitte der Siebziger andauerte.

Lothar Kern (Mitte), Andreas Kerns Vater, bei einem Auftritt

Bilder zeugen von der bewegenden Vergangenheit und waren lange verschwunden. Erst nach dem Tod der Mutter – die lange das Chiemgauer Volkstheater leitete – fand sie Andreas Kern in einem Koffer unter ihrem Bett. Von 1991 bis 2008 kümmerte sich sein älterer Bruder Florian um das Theater. „Ich habe das Theater damals an einem Tiefpunkt übernommen“, sagt Andreas heute.

Theaterfamilie Kern

Er und seine Frau Christina sind die Seele des Hauses. Auch die Kinder – die Kleinste ist sechs Jahre – sind häufig im Theater dabei. Die Familie macht fast alles selbst. Nur für Maske und Kostüme sind die Schauspieler selbst verantwortlich. Kern legt die Stücke fest, schreibt die Texte, entwirft das Bühnenbild, kümmert sich um Requisiten, steht selbst auf der Bühne. Ab und zu gibt er jedoch Dramaturgie oder Regie auch aus der Hand: Jakob Rauch, Rudi Gall oder Max Henninger übernehmen diese Posten dan in der Regel.

„Wir sind ein eingespieltes Team“, sagt Kern über sein siebenköpfiges Ensemble. „Jeder sagt, was er denkt. Kritik ist absolut erwünscht.“ So kann sich jedes einzelne Mitglied persönlich einbringen.

Alltag auf der Bühne

Gute Laune herrscht an diesem Donnerstagvormittag. Oben auf der Bühne liefern sich die beiden Hauptdarsteller einen spielerischen Kampf. Angeheizt vom erfahrenen Regisseur, lassen sie die Fetzen fliegen und schießen Pointen ins Publikum. Wer den Ludwig-Thoma-Saal füllen will, der muss sich etwas einfallen lassen, sowohl von der Zeit her als auch vom Vertrieb.

Drei bis vier Stunden dauert meist eine Probe. An die zwei Monate kann es dauern, bis so ein Drei-Akter sitzt. „Das Entscheidende ist, sich in die Figur hineinzufinden“, behauptet Claudia Mabell aus dem aktuellen Ensemble. Das Einfügen in die Handlung, dafür brauche es Zeit. Der Text komme dann wie von selbst dazu.

Und den lernt die ausgebildete Schauspielerin und Sängerin am besten auf längeren Autofahrten. Da stört es die Münchnerin überhaupt nicht, dass sie zurzeit täglich die rund 60 Kilometer nach Tegernsee auf sich nehmen muss.

Ein eingespieltes Team – wenn Andreas Kern nicht selbst auf der Bühne steht, gibt er Regie-Anweisungen

Fünf Stücke müssen geprobt, 268 Karten verkauft werden. Und das rund 40 Mal im Jahr. Die restlichen 45 Vorstellungen finden in ganz Bayern statt. Das Ensemble ist wieder gefragt und viel unterwegs. Dem Familienleben schade es jedoch nicht, so Kern. „Vormittags machen wir normalerweise Büro, da kann ich viel Zeit mit meiner Familie verbringen.“

Seine Frau Tina kümmere sich um die Verwaltung, die Öffentlichkeitsarbeit und die Kartenreservierung, aber auch um künstlerische Aufgaben wie das Erstellen der Bühnendeko.

Wir machen ehrliches Theater

Bisher geht Kerns Vorhaben auf. Komödien, Lustspiele, Schwänke, Volksstücke, meist in Dialekt, ziehen viele Zuschauer an. Einige Stücke waren Kassenschlager. Nur „Boxhandschuh und Lippenstift“ sei nicht so gut gelaufen. Warum? Schwer zu sagen! Komödie sei ein schwieriges Geschäft, sagt Kern. „Die Leute niveauvoll zu unterhalten, ist eine Herausforderung.“ Da zähle jeder Unterton, jede Geste. Tragödien auf die Bühne zu bringen, sei viel leichter. Dafür, dass er das Theater erst seit 2008 führt, ist Kern mit dem Erfolg aber zufrieden.

Der Wunsch nach Weiterentwicklung spornt den Spielleiter zu immer neuen Ideen an. „Frisches Theater“ will er machen. Der entscheidende Schritt dorthin: Die Tegernseer Studiobühne – Theater für Junge und Junggebliebene – mit neuartigen, manchmal schrägen Inszenierungen. Sie hat sich mit ihren jährlich fünf Stücken im Tegernseer Schalthaus, dem ehemaligen Tegernseer E-Werk, etabliert. Einem kultigen Umfeld, mit der Möglichkeit der Bewirtung. „Das wird ein neues Publikum ansprechen“, ist sich der Theatermann sicher.

Das Tegernseer Schalthaus – hier spielt das Ensemble für Kinder, Jugendliche und Junggebliebene

Auch Kindertheater findet im Schalthaus statt. Zurzeit hauptsächlich Kasperletheater. Dort, wo er hinmöchte, ist Andreas Kern noch lange nicht. Auch ein Generationswechsel steht an. Das sei noch ein harter Weg. Aber er ist guter Hoffnung, schließlich habe die Truppe einen großen Vorteil: „Wir machen ehrliches Theater.“

Weitere Informationen und Kartenreservierung

Premiere für das aktuelle Stück „Gsehng und mögn“ ist am Ostersonntag, den 31. März, um 20 Uhr im Tegernseer Ludwig-Thoma-Saal. Wie immer gibt es von der Bühne herab Freibier und Leberkassemmeln gereicht – auch fürs Publikum. Das hat sich laut Andreas Kern so eingebürgert. Weitere Informationen unter www.tegernseer-volkstheater.info

Wer sich schon mal ein Bild vom aktuellen Stück machen will, dem haben wir hier einen Teil der Proben geschildert:

“Gsehng und mögn” bei der Probe (v.li.): Barbara Kuzer, Christian Preuß, Andreas Kern, Hanno Sollacher, Angelo Tomasi, Claudia Mabell

„Constanze, kimm i’ glaub, de Kua de kriegt a Kind.“ – „Des kennst du doch vom Hof – so hoaßt des ned.“ – Oiso: „I’ glaub, de kälbert grad.“

Eine Stube aus dem Jahre 1910 steht auf der Bühne des Tegernseer Volkstheaters. Die Frauenstimme klingt aufgeregt. Andreas Kern steht im Zuschauerraum und hält Regie. Ganz schnell wandelt sich der Regisseur dann jedoch zum Schauspieler.

Über die Treppe gelangt Kern auf die alten, etwas knarzenden Bretter. „I bin de Walburga Fux und des is mei Tochter Constanze“, tönt es von rechts. „Ihr kemmts jetz praktisch von da ‚rei“, so seine Anweisungen an die anderen Schauspieler. Barbara Kuzer und Claudia Mabell kommen herein, um sich der Dreiergruppe von Männern zu nähern.

Der Federmo-Bauer Anderl (Hanno Sollacher) sitzt am Küchentisch mit seinen ungleichen Zwillingsbrüdern Anderl (Andreas Kern) und Theo (Christian Kreß). Niemand weiß so recht, welcher der beiden der ältere ist, also wer den Hof einmal erben soll. Also beschließt man, dass es derjenige wird, der als Erster heiratet. Doch ganz so einfach ist das nicht, besonders weil der Knecht (Angelo Tomasi) kräftig für Verwirrung sorgt…..

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