Ein Leserbrief von Petra Lankes
Zwei gebürtige Münchner, die wir sind, leben nun seit über 15 Jahren im Landkreis Miesbach und seit 12 Jahren in einer kleinen Gemeinde am Anfang des Tegernseer Tals.
Auch wenn wir für viele der „Aborigines“ hier vielleicht nie „dazu gehören“ werden; unsere Kinder sind hier geboren, aufgewachsen, in den Kindergarten, die Schule gegangen. Besuchen den Trachten- und den Sportverein. Es haben sich lose Bekanntschaften, aber auch tiefe Herzenzfreundschaften gebildet, wir möchten hier nicht mehr weg.
Seit zwei Jahren haben wir zu unserem MB-Auto nun auch einen Geschäftswagen mit M-Nummernschild. Bewege ich mich hier mit diesem Auto, auch mal auf kleineren Wegen, kommt es nicht selten vor, dass mir der Stinkefinger gezeigt wird, man brüllt mir Schimpfwörter hinterher oder abends stellen sich betrunkene Jugendliche in den Weg und schreien “Stoderer”…
Steige ich aus, erkennt man mich, rudert das Gegenüber zurück: „Mei du bist des; ja aber mit dem Auto…!“ Warum? Da schlägt nun das zweite Herz.
Auch vor Corona war die Beziehung zwischen dem Münchner (oder wie einige sagen, dem Isarpreißn) und dem Tegernseer oder dem MB-Nummernschild-Besitzer nicht gerade freundschaftlich. Sommers- wie winters stellen sie sich zur immer gleichen Uhrzeit von der Holzkirchner Autobahnausfahrt bis nach Gmund auf der B318 in den Stau.
Man fragt sich, händeringend jedes Wochenende: „Warum steht‘s denn nicht einfach mal früher auf?“ Hat der Staugeplagte gerade mal freie Fahrt, lässt er den Motor aufheulen und die Bremsen quietschen. Dann wird wild geparkt, überall und ohne Rücksicht auf Behindertenparkplätze oder Wiesen. Das sieht und hört man jedes Wochenende live rund um den See und in den Bergen.
Woher kommt eigentlich der gönnerhafte Ton? Man bringe ja das Geld. Erkauft man sich damit die Rechtfertigung zu großkotzigem Benehmen? Das Gros der M-Nummerschilder stellt sich lange vor der Abendessenszeit in umliegenden Restaurants wieder mit allen anderen in den Stau auf die B318; nur in die andere Richtung halt!
„Kuck mal, wie schön!“
Am Karsamstag um 21:30 Uhr am Wallberg. Einige Autos stehen mit gebührendem Abstand am Straßenrand; man steigt uns, nickt sich zu, bestaunt das blaue Laserkreuz! Ein Porsche mit M-Nummernschild rast heran, Fernlicht gleißend hell, quetscht sich in die Mitte. Eine Mutter mit zwei Kindern steigt aus und teilt der ganzen Nachbarschaft in brüllendem Organ mit: „Kuck’ mal, wie schön!“
Ein gern getätigter Ausspruch auch in den Biergärten rund um den See, im Glitzerdirndl mit 10 cm hohen Stilettos und dem Proseccoglasl in der Hand: „Kuck mal, wie schön; diese Aussicht!“ Immer alles dezibelmäßig so, dass es auch der letzte Schwerhörige mitbekommt.
Warum?
Zur Corona-Krise wurde diese Misere nochmal verstärkt; der Landkreis Miesbach ist zahlenmäßig mit Corona positiv Getesteten leider an der Spitze der Statistiken. Und nicht nur das, warum belastet man mit unnötigem Freizeitaktionismus die Ressourcen der Bergwacht? Warum muss man jetzt auf Teufel komm’ raus auf Wanderparkplätzen im VW-Bus übernachten? Nur weil man es kann?
Oder ist es gar nicht der Münchner alleine, ist es der Teil der Gesellschaft, der sich Nichts sagen lassen möchte, sich nicht an Weisungen halten möchte, sich für schlauer als alle anderen, vermeintlich Dummen, hält?
Geil! Kurzarbeit, Homeoffice! Geh’ ich halt auf’n Berg! Zwei Nummernschilder, zwei Herzen.
Ein gemeinsames Miteinander scheint momentan nur schwer möglich. Warum? So lange jeder auf „seinem“ Stückerl München, seinem Stückerl Tegernsee beharrt, solange die klischeebehafteten Vorurteile und die Verallgemeinerungen im täglichen Gebrauch weiterbestehen – „der Tegernseer und der Münchner“ – ist keine Lösung in Sicht.
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