Zur geplanten Flüchtlingsunterkunft
50 auf jede Gemeinde: Warngauer appellieren an die Landkreispolitik

Oberwarngau: Ein friedlicher Platz direkt vor dem Rathaus. Es ist so unglaublich idyllisch, dass es schwerfällt, hier Hass und Hetze unterzukriegen. Doch die Menschen sind tief gespalten …

Auch barrierefrei geht; das Rathaus der Gemeinde Warngau. Foto: Redaktion

Die B318 teilt die Gemeinde in zwei Hälften, wie ein Graben. Auf der einen Seite finden Sie alte Gasthäuser, urige Bauernhöfe, die spätgotische Pfarrkirche, eine schicke Eisdiele, die Grundschule. Auf der anderen Seite gibt es einen Bäcker, den Bahnhof und viele Einfamilienhäuser. Auch die Stimmung ist gespalten, seit der Bürgerinformationsveranstaltung im Februar: Hier lautstarke Gegner eines Containerdorfes für Geflüchtete, das im fünf Kilometer entfernten Gewerbegebiet Birkerfeld aufgestellt wird, dort eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern, die sich gegen den Hass ausspricht und die Menschen wieder ins Gespräch bringen will.

Container-Landschaft Moarhölzl ist startklar

Hier haben wir über das fertige Container-Dorf in Moarhölzl geschrieben.

Trügerische Idylle?

An einem Mittwochmorgen gegen halb zehn ist davon nichts zu spüren. Ein Brunnen plätschert auf dem Rathausplatz. Italienische Schlager tönen aus dem Eiscafé. Das Eismobil steht bereit für die Sommersaison. Nur wenige Menschen sind unterwegs. In der Eisdiele möchte man lieber nichts sagen, sagt dann aber: “Ich mische mich nicht in die Politik ein” und auf die Frage, wie die Stimmung im Ort sei, “alles gut, entspannt wie immer.”

Anzeige

Lena Prieger und Ellen Schattenhofer sehen das anders: Sie haben die Initiative “Warngau ist menschlich” gegründet. Kurz nach der wütenden Bürgerinformationsveranstaltung, in der unter anderem der Landrat Olaf von Löwis massiv bedroht wurde. Der Abend machte den kleinen Ort in der ganzen Bundesrepublik bekannt machte.

Offener Brief an Landkreis-Verantwortliche

Warngau ist menschlich” hat an die Bürgermeister, Gemeinden, Kirchen und Parteien im Landkreis geschrieben; auch an die Staatsregierung; zuvorderst an Ilse Aigner, Präsidentin des Bayerischen Landtags und Innenminister Joachim Herrmann. Darin? Ein Appell an alle Gemeinden: Statt Großunterkünfte sollen es kleinere Unterbringungen werden für bis zu 50 Geflüchtete.

Über die geplante Unterkunft schreiben sie, dass sie diese “problematisch” finden, zu groß, zu weit weg. So eine Unterkunft würde die Integration besonders schwer machen. Wie kann ein Helferkreis auf 500 Leute eingehen? Auch schreiben sie, dass “eine solche Unterbringung von Geflüchteten” die Dorfgemeinschaft überfordern würde. Von der Politik wünschen sie sich eine nachhaltige und solidarische Lösung. Wenn nicht jetzt, dann zumindest nach den zwei Jahren Container-Unterkunft am Wertstoffhof.

Kein Bus ins Nirgendwo

Direkt vom Wertstoffhof fährt kein Bus, zur Bushaltestelle Abzweigung Gewerbegebiet Birkerfeld läuft man zwölf Minuten: Der Bus fährt nur ein paar Mal am Tag, am Nachmittag ist Schluss. “In Warngau im Dorf wird sowieso keiner zu sehen sein, so viel werden wir da gar nicht mitbekommen,” davon ist Pfarrer Doll überzeugt, der den Brief unterzeichnet hat und sich für “Warngau ist menschlich” engagiert.

Er geht davon aus, dass die Probleme mit der Unterbringung und Integration von Geflüchteten auf Defizite in der Gesellschaft hinweisen. Er nennt Konflikte um bezahlbaren Wohnraum, aber auch Mobilität als Beispiele. Jetzt will er ein Kirchengrundstück für einen Bau zur Verfügung stellen. 2015 standen hier schon mal Container; 51 Flüchtlinge waren damals hier untergebracht.

Container sind durch

Doch Container will er nicht mehr: „Wir stellen unser Grundstück zur Verfügung, aber wollen kein Provisorium, sondern es soll was G’scheids hingebaut werden, das anständig anschaut, menschenwürdig und nachhaltig ist.” Container würden nach ein paar Jahren nicht mehr taugen, erklärt Doll, der es schon erlebt habe, dass es da auch mal reinregne und den es ärgert, dass man dauerhaft ins Freie heize, weil die so schlecht isolieren würden.

Aigner ist von der Initiative angetan, Container findet sie temporär aber zweckdienlich: “Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sie derzeit ein wichtiges Mittel sind, um schnelle und dringend benötigte Hilfe zu leisten. Das Schaffen dauerhafter Strukturen und Einrichtungen ist dann nachhaltig, wenn diese auch langfristig, zum Beispiel im Sinne des Sozialen Wohnungsbaus, betrieben werden können und Leerstand vermieden wird.”

Eigentlich genau der Plan: Warum nicht etwas bauen? Eine Art Wohn-Mix, in denen Geflüchtete leben können, aber auch andere unterkommen. “Ein Schreiner, eine Kinderpflegerin oder auch ein KfZ-Mechatroniker können sich die Miete nicht mehr leisten, da geht ja bis zu 50 Prozent des Nettoeinkommens drauf. Wir brauchen normale bezahlbare Wohnungen,” fordert Doll und bietet für den Bau sein Kirchengrundstück an.

Mieten geht, bauen weniger

Doch das Landratsamt (LRA) kann nicht einfach bauen, es kann anmieten oder eben auf ein Grundstück Container setzen. Die Suche nach geeigneten Unterkünften habe sich in den letzten Jahren etwa im Tegernseer Tal immer als herausfordernd herausgestellt; so erklärt es das Landratsamt kontinuierlich. Sogar von „Alibi-Immobilien“ war die Rede, also Häusern, die das Landratsamt angeboten bekommen habe, die sich aber in keinster Weise für die Unterbringung von Menschen eignen würden.

Aigner schreibt, dass “die Kirche mit dem Landratsamt eine Vereinbarung über die mögliche Nutzung treffen und ein Bauherr bestimmt werden (muss), bevor Förderanträge bei der Staatsregierung gestellt werden können.” Immerhin ein Hoffnungsschimmer? Gibt es also doch auch andere Wege?

Doch Pfarrer Doll habe bereits im Herbst dem Landratsamt von seinem Vorschlag erzählt. Das habe sich dafür gar nicht interessiert, erzählt er am Telefon, zumindest habe es der Gemeinde auf den Vorschlag nicht gleich geantwortet. Erst vor ein paar Wochen sei sie dann die Antwort um die Ecke gekommen, dass das LRA ja nicht bauen könne.

Zweiter Baustein? Alle sollen mitmachen. Wenn nicht jetzt, dann zumindest nach den zwei Jahren, wenn die Großunterkunft aufgelöst werden soll. Dann sollen die Menschen im ganzen Landkreis verteilt werden. Die Diskussion ist nicht neu, auch hier im Tegernseer Tal geht es immer wieder um die Frage der Verteilung: In Tegernsee leben an die 300 Geflüchtete; in Rottach hingegen nur 48 (Stand: März 2024). Andere Landkreise haben das anders gelöst; sie haben von vornherein Turnhallen ausgeschlossen und ebenfalls Gemeinden um Grundstücke gebeten.

Warngau im Fokus der neuen Rechten?

Und dann ist da noch die Sorge, dass Warngau für rechte Kreise interessant geworden ist. Erst vor ein paar Wochen standen plötzlich Aufsteller mit kruden Halbwahrheiten vor dem Rathaus. Die Gemeinde hat fix reagiert. Der Bürgermeister sagt, dass die Aufsteller maximal zwanzig Minuten auf dem Platz gestanden hätten und dass ein Auto mit Berliner Kennzeichen vorgefahren sei. Für das Abfilmen für Social-Media hat es allerdings gereicht.

Prieger glaubt, “wir sind das Ziel geworden der neuen Rechten”. Dass da was dran ist, zeigt auch der Bericht des Magazins ARD Kontraste, der die Beteiligten der Bürgerversammlung nochmal genau unter die Lupe genommen hat. Unter ihnen auch ein AfD-Landtagsabgeordneter.

Für Warngau ist das unangenehm. Für Menschen, die nicht weiß sind, ist es vor allem eines: gefährlich.

Korrektur, 6. Mai 2024, 08.30

Wir haben im ersten Text ein paar Fehler gemacht und korrigiert. So geht natürlich die B318 durch den Ort und nicht die B310. Im letzten Absatz haben wir von Warngauern versus Menschen, die nicht weiß sind, geschrieben. Das suggerierte, dass Menschen mit anderen Hautfarben nicht Warngauer sein können. Das ist natürlich grober Unfug. Danke, dass wir darauf aufmerksam gemacht wurden.

SOCIAL MEDIA SEITEN

Anzeige
Aktuelles

Diskutieren Sie mit uns
Melden Sie sich an und teilen Sie
Ihre Meinung.
Wählen Sie dazu unten den Button
„Kommentare anzeigen“ aus

banner