Verkehrsminister gegen Führerschein-Check für Senioren:
Führerschein-Check für 70 plus?

Im überalterten Oberland ist das eine wichtige Neuigkeit: Die EU will die Regeln für Führerscheininhaber ab 70 Jahren verschärfen. Das könnte für die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger, zwischen Kreuth und Holzkirchen gravierende Folgen haben.

Werden sich in Zukunft die Unfälle mit Senioren häufen? Foto: Feuerwehr Tegernsee

18. August: Ein 82-Jähriger bremst zu spät in Tegernsee-Süd. Vier Verletzte.

12. September: eine 85-jährige Porsche-Fahrerin fährt hart auf vor ihr fahrende Fahrzeuge auf. Fünf Verletzte.

18. September: 71-jährige verwechselt Gas und Bremse in Rottach-Egern. Sachschaden 11. 000 Euro

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19. September: 84-jährige fährt Wegkreuz an Müller am Baum um, Sachschaden

Das ist eine Google-Schnellsuche zu Unfällen in diesem Sommer. Immer wieder sind es Unfälle mit Senioren. Mal das Bremsen vergessen, mal wurde der Verkehr falsch eingeschätzt.

Klar, das Tal und das Oberland sind, mit ihrem Altersdurchschnitt, mit einer größeren Zahl an Senioren gesegnet. Aber: Es gibt einen gegenläufigen Effekt. Senioren fahren nicht mehr zur Arbeit oder Ausbildung, bringen deutlich weniger Fahrleistung auf den Tacho. Trotzdem: Immer wieder fallen sie durch Unfälle auf, die auf fehlende physische Fähigkeiten hindeuten. Das wird bei unserer demografischen Entwicklung in Deutschland natürlich zunehmen. Zeitgleich drängen deutlich mehr neue Teilnehmer, nämlich Radler, in den Verkehrsablauf. Eine schwierige Melange, mit steigenden Unfallzahlen?

Ohne Auto – Endstation Seniorenresidenz? / Quelle: Archiv

Die Europäische Union will nun tätig werden. Autofahrer über 70 sollen nach dem Willen der EU-Kommission künftig regelmäßig ihre Fahrtauglichkeit überprüfen lassen. Bundesverkehrsminister Wissing will das verhindern – es gebe keinen Grund für “Zwangsuntersuchungen”, sagte er in einem Interview. “Ich will keine verpflichtenden Tauglichkeitsprüfungen für Autofahrer über 70, und ich bin zuversichtlich, dass sich dafür in der EU auch keine Mehrheit finden wird”, sagte der FDP-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Zu den Fakten: Könnten Fahrtests Abhilfe schaffen? Eine Studie aus Japan ergab nun, dass obligatorische Fahreignungstests bei älteren Menschen zu weniger Autounfällen führen. Zu weit weg? Dann wären da noch deutsche Studien der Unfallforschung der Versicherer:

  • Die individuelle Leistungsfähigkeit nimmt mit dem Alter ab.
  • Der Leistungsabfall ist schleichend. Bedeutsame Unterschiede treten oft erst ab 75 Jahren auf.
  • Die Leistungsfähigkeit verändert sich im Alter unterschiedlich. Das Sehen und die Wahrnehmung nehmen eher linear, die geistigen Funktionen stufenweise, d. h. sprunghaft ab. 
  • Die Bandbreite der individuellen Leistungsfähigkeit ist sehr groß.
  • Im realen Straßenverkehr wurden wenige, aber sicherheitsrelevante Unterschiede zwischen Pkw-Fahrern mittleren und höheren Alters festgestellt. Zum Beispiel führten ältere Pkw-Fahrer seltener den Schulterblick aus, besonders in komplexen Verkehrssituationen.
  • Während der Fahrsimulation gab es mehr Verkehrssituationen, in denen ältere Pkw-Fahrer Fehler machten, als im realen Straßenverkehr. Fehler wurden besonders bei unerwarteten Ereignissen gemacht, z. B. beim Queren eines Fußgängers, der durch ein parkendes Fahrzeug verdeckt war.

Im Berichtsgebiet der Polizei Oberbayern Süd stieg die Zahl der Senioren-Crashs in den letzten Jahren. In der Altersgruppe 65 Jahre und älter verunfallten Menschen 4123 Mal. Bei der Gruppe der jungen Erwachsenen (18-24) liegt die Zahl bei 2990 und fällt seit 2018. Politiker fast aller Parteien scheuen sich vor Konsequenzen. Gesundheitscheck? Verpflichtende Fahrtests? Wenn man sein eigenes Wahlvolk vergraulen will, kommt man mit diesen Ideen. Die Babyboomer, die zahlenmäßig größte gesellschaftliche Gruppe in Deutschland, wird die kritischen Altersgrenzen bald erreichen. Kontrollen wären da ein Graus. Man fühlt sich doch noch fit, bis man in eine Menschengruppe fährt …  

Checks ab 70: Kaum eine Frage wird so emotional diskutiert, wie diese. Auf der einen Seite diejenigen, die Tests ab einem bestimmten Alter fordern, auf der anderen Seite diejenigen, die darauf hinweisen, dass zahlenmäßig die jungen Fahrer ein viel massiveres Problem darstellen. Schon heute wissen wir, dass jenseits des 75. Lebensjahres (vorher gibt es in der Tat kein Problem) statistisch Zahl und Schwere selbst verursachter Unfälle deutlich zunehmen. In absoluten Zahlen? Kein großes Problem. Auf den Anteil an der Bevölkerung bezogen, nähern sich die Zahlen an die jungen Altersgruppen an.

Bezieht man das auf die Zahl der Führerscheinbesitzer, wird das noch viel deutlicher. Das hat gravierende Konsequenzen. In den nächsten 30 Jahren wird die Zahl der über 80-Jährigen um mehr als das Doppelte zunehmen. Zynisch betrachtet: Dank der modernen Medizin sterben Unfallrisiken später. Und: Gerade in ländlichen Gebieten ist die Aufgabe der Auto-Mobilität oft gleichbedeutend mit einer Einweisung in ein betreutes Wohnen. Sonst sind Einkäufe, Arztbesuche oder das Treffen von Freunden nicht oder nur sehr schwer möglich. Man hat also staatlicherseits, auch angesichts fehlender Pflegeplätze, ein großes Interesse, dass Menschen möglichst lange selbstbestimmt daheim leben und ihren Lebensraum selbst gestalten können.  

Mit Verboten oder Fahrtests wird die wahrscheinlich zunehmende Unfallzahl nicht einzudämmen sein. Verkehrsminister Wissing (FDP) appelliert daher an das Umfeld der Senioren. Er traue den Senioren zu, dass sie sich “ohne staatliche Vorgaben und bürokratische Kontrolle mit ihrer Gesundheit auseinandersetzen”. Zudem sei es “eine Verantwortung des Umfelds, von Kindern, Verwandten und Nachbarn, mit alten Menschen über das Autofahren zu sprechen.” Wer aber schon einmal so ein Gespräch mit seinen Eltern und Partnern führen musste, weiß um die Bockbeinigkeit der alten Autofahrer. Da ist jede Frage nach dem möglichen Erbe einfacher. Wir werden uns also auch im Tegernseer Tal auf mehr und gravierende Unfälle einstellen müssen. Der demographische Wandel – das klingt immer sehr weit weg. Aber er hat sehr schmerzhafte, zuweilen auch tödliche Folgen, wie zum Beispiel im Straßenverkehr.

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