Kinderpornografie, sexueller Missbrauch von Kindern und Vergewaltigung; die Liste der Anklagepunkte ist lang. Ein junger Mann aus Rottach stand dafür gestern vor dem Jugendgericht in Miesbach.
Trigger-Warnung
Gerichtsprozesse können unter die Haut gehen: Hier geht um Sexualdelikte mit Kindern. Da aus den Chats zitiert wird, ist der Bericht stellenweise explizit. Wir haben uns dazu entschieden, Stellen zu zitieren, um die Ernsthaftigkeit und Härte im digitalen Raum deutlich zu machen.
Daniel (Name geändert, Anmerkung der Redaktion) hat zwischen 2019 und August 2022 zahlreiche junge Mädchen auf WhatsApp und andern Social-Media-Kanälen belästigt und für Nacktbilder und Videos massiv unter Druck gesetzt. Die Liste der Anklagepunkte ist lang: Es geht um sexuelle Nötigung (mehrfach), sexuellen Missbrauch (mehrfach), sexuelle Nötigung (mehrfach), das Besitzen und Verbreiten von Kinderpornografie und Vergewaltigung. Daniel ist heute 22 Jahre alt. Einsichtig ist er nicht.
Digital, deutschlandweit, delinquent
Drei Verhandlungstage ging der Prozess um den Angeklagten, der seit etwa zwei Jahren am Tegernsee lebt. Drei Tage, in denen das Gericht aus Chats vorliest, Zeuginnen und Zeugen befragt, pornografische und kinderpornografische Bilder “in Augenschein” nimmt, wie es die Staatsanwältin formuliert, und den Angeklagten mit den Vorwürfen konfrontiert.
Die ziehen sich durch ganz Deutschland; allerdings rein digital: Seine Handys wurden unter anderem von Polizeibehörden in Freiburg, Heilbronn und Bad Neustadt ausgewertet. Darin? “Chats nach demselben Muster”, analysiert die Staatsanwältin. Demnach habe Daniel erst Kontakt aufgebaut, wurde dann zunehmend besitzergreifend und habe die eigenen Interessen durchgesetzt, ergo Nackt-Bilder oder Videos erpresst. Die Auswertungsberichte der verschiedenen Polizeibehörden ordnen seine Handynummer, respektive Handynummern klar zu. Vier bis fünf Handys sind für den Fall analysiert worden. Vermutlich sind es sogar mehr. Seine Opfer? Mädchen im Alter zwischen elf und 13-Jahren.
Morddrohungen
Wer Richter Schmid aus der WhatsApp-Kommunikation vorlesen hört, lernt einiges über den Sprachgebrauch im Digitalen, vor allem aber über Tonalität und Strategie des Angeklagten. Daniel hat kein “Nein” akzeptiert. Stattdessen wechselt er in einen Bedrohungsjargon, um an sein Ziel zu kommen. Allein am Montag geht es etwa um drei oder vier unterschiedliche Chats, die unisono ein “eingeschliffenes delinquentes Verhalten” aufzeigen, so formuliert es die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe in ihrem Statement. Immer wieder verlangt der Angeklagte Nackt-Bilder seiner Opfer. Wenn diese nicht geliefert werden, droht er. Mal mit Mord, mal mit der Ankündigung die bereits erhaltenen Bilder ins Netz zu stellen, auch mit der Tötung näherer Angehöriger und mit Vergewaltigung.
Erinnerungslücken
Die 16-jährige Zeugin, die für den Tag geladen ist, hat dem Druck nachgegeben und Nacktbilder von sich geschickt: “Weil ich Angst vor ihm hatte, habe ich ihm welche geschickt.” Die Schülerin ist zum Tat-Zeitpunkt 13 Jahre alt und wohnt einer Wohngruppe. Den Angeklagten schätzt sie zu diesem Zeitpunkt auf zwanzig bis dreißig Jahre. Zunächst habe sie romantische Gefühle für den Angeklagten entwickelt, schildert ihn als “süß” und dass sie eine Zeitlang mit ihm zusammen war, ja ihn auch geliebt habe.
In einem der verlesenen Chat-Verläufe geht es darum, ob sie ein Kind von ihm wolle (Ja!). Dem folgen explizite Aufforderungen, ihn zu befriedigen (rubbeln, lutschen). Die Frage “wenn ich dir was zeige, zeigst du mir auch was?”, verneint die Zeugin. Sie habe dann Angst bekommen, der Ton wurde zunehmend rauer: Von “Schatz, willst Du mich wirklich verlieren?” zu “Ich mache dir keine Angst, wenn du mir jetzt ein Bild deiner Fotze schickst,” bis hin zu Androhung einer Vergewaltigung.
Sie gibt zu, dass sie anfangs über ihre Alter gelogen habe. Einen Tag später habe sie aber mit ihm telefoniert und das grade gerückt, “Ich habe gesagt, ich bin 13!” Nachfragen des Richters, ob ihr der Angeklagte “nicht orientiert” vorgekommen sei oder ob sie sich an ein Nasenpiercing erinnere, beantwortet die Schülerin mit “weiß ich nicht”.
Stellvertreter-Chats
Für Verwirrung im Gerichtssaal sorgen Details zur Handynutzung. Sowohl die Zeugin als auch der Angeklagte berichten davon, dass auch andere Zugriff auf ihre Handys gehabt haben. Der Stellvertreter-Täter “Romeo”, den der Angeklagte ins Spiel bringt, wirkt für die Richterbank unglaubwürdig, da die Masse an weiteren Chats eindeutig dem Angeklagten zugeordnet werden konnten.
Doch auch die mehrfache Verneinung der Zeugin, dass sie kein “Dickpic” erhalten habe, sorgt im Gerichtssaal für Ratlosigkeit. “Habe ich nie gesehen”, beteuert sie mehrfach. Dabei ist das Foto nur zehn Minuten nach dem oben geschilderten Chat auf ihrem Handy gelandet und damit ein Beweis. Mehrfach weist sie der Richter daraufhin, dass sie hier die Wahrheit sagen müssen. Aber er zeigt Verständnis für die angespannte Zeugin und betont, dass sie hier in keinerlei Weise beschuldigt werde.
Vergewaltigung
Der heftigste Anklagepunkt betrifft eine Vergewaltigung, die Staatsanwältin spricht von einer besonderen “Schwere der Schuld”. Ein 14-jähriges Mädchen habe sich – auf Verlangen des Angeklagten – einen “Besteckgegenstand” in den Anus eingeführt. “Man muss nicht selbst Hand angelegt haben, das geht auch digital” argumentiert die Staatsanwältin ihr Urteil und spricht von einer entwürdigenden, wiederkehrenden, frauenverachtenden Vorgehensweise. Sie sieht alle Anklagepunkte nach den drei Gerichtstagen als “vollumfänglich zutreffend” an und fordert für den Angeklagten zwei Jahre und sechs Monate Haft.
Sein Verteidiger spricht von einer “Reifeverzögerung” und auch von einem Dauerdeliktverhalten, das therapeutischer Behandlung bedarf. Er will nichts an den Taten “beschönigen”, setzt sich aber dafür ein, dass er nach Jugendstrafrecht beurteilt wird. Auch der Angeklagte meldet sich nochmal zu Wort und murmelt ein “Tut mir leid”.
Schuldig
“In vollem Umfang verurteilt” spricht der Richter, nach der Beratung mit den beiden Schöffen, das Urteil. Dann rast er durch die Liste der Anschuldigungen und spricht den Angeklagten in allen Punkten schuldig.
Daniel erwarten zwei Jahre und sechs Monate auf Bewährung nach Jugendstrafrecht. Zwei Wochen geht es für ihn in den Arrest”. Es soll ein “Warnschuss” sein. Außerdem warten 20 Wochenstunden Sozialstunden, bis er einen Vollzeitjob hat (ebenfalls eine Auflage), das dreimalige Aufsuchen einer Schuldnerberatung und eine verpflichtende Psychotherapie für Sexual- und Gewaltstraftäter.
“Sie müssen ihr Leben grundlegend verändern”, appelliert der Richter zum Abschied an den Angeklagten. Ob das Urteil rechtskräftig wird, ist in etwa zehn Tagen klar. Gestern hat sich der Angeklagte nicht zum Urteil geäußert. Er kann in Berufung gehen.
SOCIAL MEDIA SEITEN