Der Streit um die Hortplätze brachte in den vergangenen Tagen und Wochen viele Eltern in Rage. Einige von ihnen demonstrierten gestern in Bad Wiessee.
Die junge Frau arbeitet in einem Hotel im Tegernseer Tal. Bis Pfingsten war die Betreuung ihrer Tochter im Herbst gesichert. Dann kam der Streit. Jetzt steht sie in der Abendsonne und erklärt: “Wenn wir den Hortplatz nicht bekommen, werde ich vermutlich ein halbes Jahr nicht arbeiten können. Uns fehlen dann erst einmal bis zu 10. 000 Euro in der Haushaltskasse.” Die Frau erzählt das lakonisch, ohne Wut. Es ist eine Feststellung am Rande einer trillerpfeifenden und schreienden Gruppe, die sich hinter dem Rathaus auf dem Parkplatz versammelt hat.
Frust in der Idylle
Sie will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Sie fürchtet Benachteiligungen. Es ist ein Donnerstagabend, als sich vielleicht 60 bis 80 Menschen, Eltern und Kinder, von der Seestraße in Bad Wiessee über den Dourdanplatz hinauf auf die Bundesstraße zum Rathaus. Sie artikulieren ihren Frust über das Hickhack um die Hortbetreuung, fordern Kompromisse, laufen vorbei an irritierten Autofahrern und neugierigen Touristinnen, die keine Demo in der bayerischen Idylle erwarten.
25 Plätze konnte die Gemeinde Bad Wiessee nach dem Trägerwechsel für die Eltern im Hort zusichern. Für 70 Kinder, die bereits betreut wurden, fehlte das Personal für das Aufrechterhalten der Gruppen. Das war der Stand gestern Vormittag.
Durchbruch bei der Personalsuche
Dann, am Nachmittag, verkündet Bürgermeister Kühn in einer Pressemitteilung, man habe mit der Diakonie in Rosenheim einen Durchbruch beim Personal erreicht. Statt 25 könnte man nun 75 Hortplätze in diesem Jahr (“Viertes Quartal”) anbieten.
Schon ändert sich die Stimmung unter den Eltern: Einigen wird klar, dass sie jetzt eine reelle Chance haben, entspannt in die Sommerferien zu fahren. Grund: Die Plätze, so Kühn, werden nach “sozialen Punkten” vergeben. Alleinerziehende können mehr Hoffnung haben als andere. Eltern, die beide berufstätig sind, ebenso.
Dennoch demonstrierten einige. Weniger als angekündigt, keine 200, dafür an die 80. Kühn steht allein auf dem Parkplatz. Kein Gemeinderat, der ja einstimmig dem Wechsel der Trägerschaft zustimmten, stärkt ihm den Rücken. Vor ihm eine Gruppe Kleinkinder, angeheizt von einem Mann mit einer Ordnerweste. Er steht auf einer Treppe und unterbricht immer wieder den Bürgermeister.
Diskutieren oder pfeifen
Eine Lehrerin, die ebenfalls nicht genannt werden will, erklärt: “Man instrumentalisiert keine Kinder. Die wissen gar nicht, was sie da sagen und fordern. Und dann lässt man sie auch noch über eine Stunde kreischen und pfeifen. Was soll das?”
Nun ist die Diskussion über die Teilnahme von Kindern an Demos so alt wie die bundesdeutsche Protestbewegung. Aber es mutet etwas überdreht, manipuliert an. Auch scheint zwischen den Eltern nicht Einigkeit über das Verhalten Kühns gegenüber zu herrschen. Einige wollen ihn niederschreien, andere mit ihm diskutieren.
Am Ende lädt der Kommunalpolitiker die Demonstrierenden ein, in die Gemeinderatssitzung zu kommen. Das Angebot nehmen einige Eltern und Kinder an. Merken aber schnell dort, dass sie sich nicht äußern dürfen, nur still zuhören. So leeren sich die Plätze. Ein Vater, Redakteur bei einer Münchner Zeitung, steckt uns Journalisten einen Zettel zu: “Es seien nur 50 Prozent der Personalstellen wirklich sicher.”
Sind die Plätze sicher?
Kühn wird das später bestreiten. Ihm sei, so glaubt er, dank mehr Personal ein Befreiungsschlag gelungen. Pfarrer Weber soll bei einem Termin mit dem Landrat, so heißt es, der Diakonievertreterin mit “kirchenrechtlichen Folgen” gedroht haben.
Durchkreuzt der neue Träger Webers Pläne der alleinigen Hortversorgung im Tal? Weber hat jahrelang viel Energie und Zeit für die Kinderbetreuung geopfert hat. Lange bevor Tal-Politiker das Thema ernst genommen haben.
Zurück bleiben einige Rentner, die von Themen der Sitzung betroffen sind, in der stickigen Hitze des Sitzungssaals. Bald schon geht es wieder um das Übliche: Wandhöhen, Abstandsflächen und Bebauungen im Außenbereich. Allein drei Punkte betreffen Alois Haslberger, der in der Ecke hinten im Zuschauerraum, ab und an einmal schnaubend, die Diskussion verfolgt. Es dämmert, und von draußen dringen noch vereinzelt Trillerpfeifen der Kinder in den Raum. Dort ist man zur Tagesordnung übergegangen.
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