Noch fast zwei Jahrzehnte wird die BRB das Tegernseer Tal volldieseln. Erst 2040 soll die Strecke elektrifiziert sein. Warum dauert das so lange? Wie wichtig ist eigentlich eine strombetriebene Bahn? Wir haben einen Experten gefragt:
Michael Bourjau (70), ist nicht nur der 2. Bürgermeister der Kleinststadt Tegernsee, er führt auch erfolgreich die TBG (Tegernseer Bahn Gesellschaft). Wir haben mit ihm über die kommende Elektrifizierung gesprochen.
TS: Herr Dr. Bourjau, die Strecke zwischen Schaftlach und Tegernsee soll bis 2040 elektrifiziert werden. Aber so richtig glauben mag man es nicht. Aber gehen wir einmal davon aus, dass es klappt. Was sind die Vorteile für die Bürger und die Natur?
Ich zähle die Punkte einfach mal auf …
TS: Aber bitte ohne PowerPoint-Präsentation …
Keine Angst, für Sie, Herr Calsow, in einfacher Sprache:
- Elektrisch angetriebene Züge sind wesentlich leiser und nahezu emissionsfrei.
- Durch das geringere Gewicht und den guten Drehmoment eines E-Antriebes kann in der Folge der Takt erhöht werden. Wir haben relativ viele Haltepunkte, Beschleunigung ist da ein Zeitfaktor. Dazu kommt, dass beim Bremsvorgang Energie zurückgewonnen wird, was energetisch positiv ist.
- Insgesamt sind elektrische Züge zuverlässig und wartungsärmer.
- Durch die Anbindung an den Münchner Verkehrsverbund (MVV) werden wir mittelfristig eine S-Bahn-Station werden und die Anbindung an München weiter verbessern. Im Weiteren sind längere Züge mit erhöhten Kapazitäten möglich und geplant.
- Ein erhöhter Takt wie auch größere Kapazitäten machen dann den Wechsel vom Auto zur Bahn attraktiv.
- Parkplätze werden tendenziell weniger und deutlich teurer, wir müssen hier Alternativen zum Auto anbieten.
- Die Natur wird es uns danken.
TS: Der Strom muss ja nun irgendwo hergestellt werden. Bietet es sich da nicht an, ihn mittels PV-Anlagen direkt vor der Haustür zu produzieren? Ihr Kollege Pfeiler vom E-Werk Tegernsee müsste da doch eine Hilfe sein?
Im Rahmen der Planung Elektrifizierung wird dieses Thema bearbeitet. Ich sehe hier das E-Werk Tegernsee nicht an erster Stelle als Versorger. Wir reden hier von anderen Größenordnungen und anderen Spannungsebenen. Bahnstrom ist eine eigene Welt, die das E-Werk bis heute nicht bedient und bedienen kann.
TS: Wenn wir uns Bauprojekte (nicht nur) der Bahn in Deutschland anschauen, sind Verzögerungen ja normal. Glauben Sie, dass Sie noch die Elektrifizierung erleben werden? Was ist auch aus Ihrer einstigen Berufserfahrung als Berater ein realistisches Datum?
Wir können es erleben, wenn wir uns gesund ernähren und nicht heute schon zu alt sind. Spaß beiseite.
TS: Ach? Das war Spaß?
Ich halte den Zeitplan für möglich – was mich skeptisch macht, ist das fehlende Commitment der Politik zur Bahn. Ob sich das mit der neuen Bundesregierung löst, das ist sehr unsicher. Sie können mich das nach der Wahl fragen, wenn die Programme in der Koalition dann verabschiedet sind.
TS: Sie haben ja nun im Vorfeld der Planungen es sehr oft mit staatlichen Stellen und deren Planungshorizonten zu tun gehabt. Welche Schlüsse ziehen Sie für das Elektro-Projekt konkret, aber auch für unser Land gesamt daraus?
TS: Nun, zum einen werden Bahnprojekte neben Landesmittel sehr stark aus Bundesmitteln finanziert. Da stehen wir vor einer schwierigen Zeitenwende. Es geht um die Frage, wer im Haushalt welche Priorität setzt. Hinzu kommt: Wie geht man mit der Schuldenbremse um? Diese Faktoren werden den Zeitplan treiben bzw. bestimmen. Auf Bayern bezogen waren meine Erfahrungen mit den Behörden in letzter Zeit sehr positiv. Smarte Gesprächspartner und klare Meinungsäußerungen.
TS: Jahrelang sollte der ÖPNV und somit auch die Bahn besonders lukrativ sein. Aber ist die Versetzung von Individualverkehr auf die Schiene nicht ein gesellschaftlich relevantes Thema? Inwieweit muss Ihrer Meinung nach eine Gesellschaft die Bahn anders betrachten?
Die ursprünglichen Pläne zur Privatisierung der Bahn waren falsch und haben nicht das Gemeinwohl im Auge gehabt. Nach meinem Dafürhalten gehört die gesamte Infrastruktur, das Wasser, der Strom wie auch Krankenhäuser zu den hoheitlichen Aufgaben eines Staats. Diese Einrichtungen in großen Teilen in private Hand zu geben, mit dem Ziel Geld zu verdienen, ist, das zeigt die Erfahrung, nicht zielführend. Sie können von einem privatwirtschaftlich geführten Unternehmen keine Ausgaben für das Gemeinwohl ohne Preis verlangen. Eine Gewinnoptimierung wird immer über einem Gemeinwohl-Interesse stehen.
TS: Das heißt: günstige Tickets, aber brachial mehr Ausgaben für diese Form der Mobilität?
Ich glaube, die Bevölkerung hat den richtigen Blick auf die Bahn, der Politik fehlt der Blick. Nur gilt eben auch: Der Einzelne hat einen egoistischen Blick, so er z. B. von Ausbauplänen betroffen, versucht das Projekt zu verhindern, um keine persönlichen Nachteile zu haben. Andererseits wollen alle eine funktionierende Bahn, die pünktlich und zuverlässig ist. Man erwartet insgesamt eine auf den Kunden ausgerichtetes ÖPNV-System.
Aber wenn die nicht funktioniert, setzen wir wieder auf das Auto …
In Deutschland besitzt jeder Zweite(inklusive Babys und alten Menschen) ein Auto. Ein Blick auf die Städte zeigt gerade zu verrückte Zahlen …
Befuhren und besetzten 2011 in München noch 611. 000 Auto den öffentlichen Raum, sind es jetzt fast 800.000 Fahrzeuge. Und die sind alle gern größer geworden. Nur die Infrastruktur wuchs selten mit …
Es gibt Städte, die fast so viele Pkw wie Einwohner haben. Aber dann sehen wir, welches Potential durch ÖPNV alleine sich für die Stadtentwicklungen und die Lebensqualität in den Städten bietet. Den ländlichen Raum muss natürlich anders bewerten. Aber dennoch stöhnen wir an Wochenenden über endlose Staus, die die Lebensqualität der Bewohner einschränkt. Da ist die Bahn die perfekte Alternative. Dafür muss diese Mobilitätsform immer wieder modernisiert und attraktiv ausgestattet sein.
TS: Herr Bourjau, wir danken für die Einblicke.
Hintergrund
Bereits im Sommer 2023 hatte der Freistaat mit der Deutschen Bahn (DB) einen entsprechenden Vertrag für das Oberlandnetz unterzeichnet. In diesem Oktober wurde die Unterschrift für die die Elektrifizierung und den Ausbau der Strecke zwischen Schaftlach und Tegernsee geleistet. Mit dem Baubeginn ist frühestens 2030, mit der Fertigstellung 2040 zu rechnen. Die TBG befindet sich im Besitz der Gemeinde Gmund und der Stadt Tegernsee (je 45 Prozent) und des Landkreises Miesbach (zehn Prozent).
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