Da das Schilddrüsenzentrum in der Tegernseer Klosterwachtstraße mit Nuklearmedizin arbeitet, musste sich die Feuerwehr im Frühjahr 2014 für potentielle Gefahren wappnen. Sechs sogenannte Kontaminationsschutzanzüge wurden angeschafft. „Das sind Overalls, die über der Einsatzkleidung getragen werden, um zu verhindern, dass strahlendes Material oder Partikel an die Einsatzkleidung gelangen und vor allem, um die Einsatzkräfte vor Kontamination zu schützen“, erklärt Feuerwehrkommandant Michael Haller.
Wer übernimmt die Kosten?
Zur Ausrüstung zählen auch spezielle Hauben und Messgeräte für Alpha-, Beta-, und Gammastrahlung. Die Anschaffungskosten für das gesamte Equipment beliefen sich auf rund 20.000 Euro. Damit ist die Feuerwehr jetzt auf alle möglichen Einsätze vorbereitet. Gefahr würde beispielsweise bei einem Brand in der Praxis bestehen. Im Alltag allerdings habe die Strahlung keinerlei Auswirkung auf die umliegenden Gebäude, beruhigt Haller.
Eine entsprechende Zusatzausbildung holten die Tegernseer Feuerwehrmänner im letzten Jahr nach, erklärt Haller. „Fünf Männer von uns haben an einem Lehrgang zum Strahlenschutz teilgenommen. Inhalte sind zum Beispiel der Atomaufbau, Technik der Messgeräte oder Auswirkungen der Strahlung auf den Menschen.“ Schnell stellt sich die Frage, wer eigentlich für die entstandenen Kosten aufkommt: die Praxis, die Feuerwehr oder die Stadt? Es ist Letztere. Bürgermeister Johannes Hagn erklärt das so:
Hier gilt nicht das Verursacherprinzip. Es ist die Aufgabe der Allgemeinheit, für Sicherheit zu sorgen, und dem kommen wir als Stadt nach.
Der Arztpraxis steht Hagn ohnehin positiv gegenüber. „Wir versuchen, für jedes Gewerbe offen zu sein und freuen uns über jede Neuansiedlung.“
Alleinstellungsmerkmal im Tegernseer Tal
Ein Besuch in der Praxis gibt Aufschluss darüber, was dort eigentlich passiert. Im Schilddrüsenzentrum ist Dr. Kamilla Smolarz zuständig für die Nuklearmedizin, bei der die radioaktiven Stoffe zum Einsatz kommen. Wie Smolarz erzählt, ist das Zentrum in seiner Form als alleinstehende Praxis in der Region einzigartig. Denn nur die großen Kliniken in Agatharied und Bad Tölz bieten hier sonst Nuklearmedizin an.
Letztlich handelt es sich dabei um nichts anderes als eine ausgefeilte Diagnoseform, bei der besondere Erkrankungen wie Knoten in der Schilddrüse frühzeitig erkannt werden können. Für die Untersuchung bekommen Patienten den radioaktiven Stoff Technetium gespritzt, der sich binnen 15 Minuten im Blutkreislauf verteilt. Dann werden sie mit einer speziellen Kamera gescannt. Das Technetium sorgt dafür, dass Organ- und Skelettstrukturen sowie mögliche Erkrankungen für die Kamera sichtbar werden.
Dabei macht das Arbeiten mit dem radioaktiven Stoff eine Fülle an Sicherheitsvorkehrungen notwendig. Alle drei Wochen – immer montags – bekommt die Praxis einen neuen Generator geliefert. In ihm „steckt“ das radioaktive Material. Es ist schon im Generator mit Blei ummantelt. In der Praxis wird schließlich in zwei Räumen mit dem Technetium gearbeitet.
Schwere Bleitüren öffnen den Zugang, die Zimmer selbst haben ebenfalls Bleiwände. Vor dem Eintreten warnen Schilder vor der Radioaktivität, drinnen hängt ein Kontamat an der Wand. Ähnlich einem Geigerzähler misst er die vorhandene Strahlung – je näher man der Quelle kommt, desto größer wird sie.
Neben vielen weiteren Vorkehrungen und Schulungen der Mitarbeiter ist besonders die Müllentsorgung kompliziert. Denn radioaktives Material kann natürlich nicht einfach in die Mülltonne gekippt werden. Bis es soweit ist, wird der „Abfall“ in strahlengeschützten Behältern gelagert. Wie Smolarz erklärt, hat Technetium eine Halbwertzeit von sechs Stunden. Bis gar keine Aktivität mehr übrig ist, vergehen mehrere Wochen – deshalb kommt auch nur alle drei Wochen eine neue Lieferung. So lange „hält“ der Stoff.
Penible Vorschriften
Streng genommen wäre so viel Aufwand gar nicht notwendig, meint Smolarz. Denn in der Praxis wird nur mit niedrigen Aktivitäten gearbeitet, die für den Menschen weitestgehend ungefährlich sind. Doch Vorschriften sind Vorschriften – die Umweltschutzbehörde will es so. Deshalb muss Smolarz dieser Tage auch die jährliche Strahlenschutzschulung mit allen Mitarbeitern und Kollegen durchspielen.
Die Krankenhäuser haben es da einfacher: Dort gibt es eine eigene Feuerwehr und Mitarbeiter, die sich ausschließlich um Vorschriften und Schutzmaßnahmen kümmern. Trotzdem bin ich begeistert von dieser Art der Medizin.
Für die Feuerwehr Tegernsee haben die Umstände auch etwas Gutes. Denn die Schutzausrüstung erweitert das Einsatzspektrum. Im Landkreis verfügt sonst nur die Feuerwehr Hausham über die Kontaminationsschutzausrüstung – und das auch nur, weil die Tegernseer den Haushamern vor einigen Jahren ihr eigenes Equipment abgegeben haben. Sollte es jetzt also zu einem Unfall kommen – etwa bei einem Transport der Präparate – kann auch die Tegernseer Feuerwehr zur Hilfe kommen.
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