Die sogenannte “ortsferne Trasse” am Leithner Gasteig ist wahrscheinlich trotz allen letzten Aufbäumens unverdrossener Nostalgiker für alle Zeit zu den Akten gelegt. Dass seither ansonsten um Konsens gerungen wird, wäre übertrieben zu behaupten. Nach der Veröffentlichung des BVWP 2030 blutet die Umgehungswunde wieder – und das Hauen und Stechen zwischen den vielen Schutz-, Dafür-, Dagegen- und Aufmuckinitiativen ist entsprechend beherzt.
Auch wenn es – abgesehen von der geforderten Stellungnahme des Gemeinderates – gerade mehr um Meinungsbildung und Kräftemessen als um die akute Entscheidungsfindung geht, schadet es nicht, sich alle involvierten Gruppen mal wieder im Überblick anzusehen, um im Falle eines wann auch immer durchgeführten Votums der Bürger zu diesem Thema zur wirklich besten aller schlechten Lösungen zu gelangen. Wir haben uns bei der ausführlichen Übersicht an den ursprünglichen Artikel aus der Holzkirchnerei aus dem Jahre 2014 gehalten.
Der Schutzgemeinschaft “stinkt’s”
Beginnen wir mit der Gruppierung, die nach ihrem nun zweijährigen Bestehen eigentlich nur noch „Schutzgemeinschaft“ genannt wird. Gemeint ist “Aufatmen in Holzkirchen – Schutzgemeinschaft gegen Verkehrsbelästigung in Holzkirchen e.V.” Es ist natürlich ein übliches Instrument in der Kommunikation, durch eine etwas emotional angereicherte Nomenklatur ein bisschen Dramatik und Relevanz in die Sache zu bringen und zunächst einmal Reaktanzen zu vermeiden, einfach als „Pro Umgehungsstraße e.V.“ für den Bau einer womöglich unbeliebten Magistrale zu sein.
Die Schutzgemeinschaft wurde dennoch während der vergangenen zwei Jahre in ihrem Ansinnen lauter, hat neben „Uns stinkt’s!“ „Südumfahrung jetzt!“ zur Parole ausgegeben und war in der Vergangenheit im öffentlichen Raum recht präsent – man erinnere sich an die streitbaren und am Ende zerstörten Banner am Straßenrand.
Die AiH-SggVbiH, kurz „Schutzgemeinschaft“, tritt dezidiert für die momentan als “ortsnah” bezeichneten Umgehungsstraßenvarianten ein, ist im klassischen Sinne “Pro” und geht grundsätzlich davon aus, dass es auch nach über zehn Jahren und trotz veränderter Prämissen in Holzkirchen noch Mehrheiten für den Bau der Südspange gäbe.
Umfahrung als Schlüsselprojekt
Qua natura steht man der Aufnahme der Projekte in den Bedarf des BVWP positiv gegenüber, hat sich aber auf der ansonsten meinungsstarken Website noch nicht konzise zu Dobrindts Depesche geäußert bzw. mit den eigenen Zielsetzungen abgeglichen, jedoch relevante Aussagen aus dem BVWP übersichtlich zusammengetragen.
Die Website ist engagiert konzipiert, informativ und erläutert hemdsärmelig die Zielsetzung des Vereins: Für Holzkirchen ist die Südumfahrung ein Schlüsselprojekt und conditio sine qua non, um in einem stetig wachsenden Holzkirchen den innerörtlichen Verkehr einschränken und mit einer Belebung des Ortskerns wieder mehr Lebensqualität im Ortskern zu erreichen. Die Initiatoren illustrieren das wie folgt:
…und führen als Beleg den Blick über den Tellerrand nach Bad Tölz oder Bad Aibling an. Man räumt außerdem mit dem falschen Duktus “ortsnah” auf – je nach Variante der Trassenentwürfe im Holzkirchner Süden wäre eine Umgehungsstraße mindestens mehrere hundert Meter, wenn nicht sogar einen guten Kilometer vom Holzkirchner Ortsrand entfernt.
Der Begriff “ortsnah” ist doppelt irreführend, impliziert er doch, dass es eine ortsferne Umfahrung gibt. Diese gibt es aber nicht. Jede noch so weit entfernte Trasse ist wieder ortsnah für die dann betroffenen Orte, zum Beispiel Sufferloh oder Sachsenkam. Wir als Verein stehen auch dafür, die Last von Holzkirchen nicht auf Dritte abzuwälzen.
Die Last von Holzkirchen – wird von der Schutzgemeinschaft eindrucksvoll mit Messungen untermauert: Zirka 12.000 Fahrzeuge wurden tagsüber an der Tegernseer Straße gezählt, der Anteil an Schwerlastverkehr, ortsfremden KFZ ebenso ermittelt, wie der samstägliche Kaffeeverkehr an den Tegernsee.
“Aufatmen in Holzkirchen – Schutzgemeinschaft gegen Verkehrsbelästigung in Holzkirchen e.V.” präsentiert sich mit einem konsequenten und beherzten Plädoyer für eine Südumfahrung und einer konkreten Vision – sogar beispielhaften Bildern aus Bad Aibling, wie segensreich diese für ein Lebenswertes Treiben von Groß und Klein sein könnte.
Vermissen könnte man allerdings, dass sich die Initiatoren (noch) nicht zu einem Hauptargument der Gegner geäußert haben – nämlich, den landschaftlichen Schaden, den der Holzkirchner Süden durch eine Trasse nehmen würden. Im Sinne der Transparenz wäre es angebracht, auch hier authentisch zu sein und zu schreiben: Ja, das nehmen wir in Kauf, wenn dafür unsere Kinder wieder sicher im Ort radeln können und wir endlich einen Markt- statt Parkplatz bekommen.”
Stop Südumgehung – Holzkirchen muckt auf
Der Schutz des Naherholungsgebietes und Vermeidung von Flächenfraß ist demgegenüber ein Kernargument der Gegner der Südumfahrung, die sich schon seit einiger Zeit unter stop-suedumgehung.de vehement und publizistisch teils sehr appetitlich gegen eine Holzkirchner Südumgehung einsetzen. Der Bundesverkehrswegeplan hat STOP Südumgehung natürlich auf den Plan, zum Protest und zum Blechschlangen-Schulterschluß mit den anderen Gegnerinitiativen gerufen.
Im Gegensatz zur Schutzgemeinschaft sind die Gegner nicht nur gegen die Umgehungsstraße – beide Initiativen unterliegen einer völlig anderen Philosophie, haben eine ganz andere Dimension der Systemkritk im Blick.
“Stop Südumgehung” betrachtet alles was – so oder so – zur Holzkirchner Umgehung gesagt wird, als gedanklich zu kurz gesprungen. Sie nennt die Ideen zur Holzkirchner Südumgehung ein “Trojanisches Pferd”, das ihrer Meinung nach gerade die Befürworter verführt. Das zentrale Argument: Holzkirchen leidet unter den Problemen, die eigentlich ganz woanders entstehen. Hier ein Auszug aus einem Thesenpapier:
Holzkirchen das Opferlamm!
- Bad Tölz braucht für mehr Wachstum eine Autobahnanbindung, am besten über Holzkirchen. Damit hat man im eigenen Landkreis (Bad Tölz) die geringsten Widerstände.
- Das Tegernseer Tal klagt über zu viel Verkehr, braucht aber Touristen, die Geld bringen (passt nicht zusammen).
- Die B472 soll ab Bad Tölz über Holzkirchen umgelenkt werden, da Irschenberg, Miesbach und Waakirchen im Verkehr untergehen.
- Für Hartpenning interessiert sich dabei niemand.
- Der Bund fordert die billigste Lösung (via Holzkirchen mitten durch Hartpenning).
- Alle lehnen sich zurück nach dem Motto: wer als erster baut der stirbt.Und was macht Holzkirchen?
Die Beobachtungen sind in der Tat schlüssig und sollten während der ganzen Diskussion bzw. Entscheidungsfindung auf dem Tisch bleiben. Unbedingt. Dennoch ist anzumerken, dass sich die Dialektik der Gegner teils mehr um den Widerstand als solchen als um pragmatische Lösungen dreht. Dass sie von einer Art mündigem Idealbürger ausgeht, den es so einfach nicht gibt. Der ganze Denkradius der Gegner verlegt sich zum einen aufs Überregionale (das fühlt sich richtig, aber auch utopisch an) und zum anderen, weil im Vergleich zu den sehr dezidierten und beherzten Analysen teils nur schwammige Lösungen aufgezeigt werden (“München – Tegernsee: Mehr Bahn?” [sic!]).
Dieses Gefühl erhärtet sich noch, weil die Gegnerinitiative nicht nur sachbezogen auf den Punkt diskutiert, sondern auch viele – nennen wir sie ideologische – Fragen stellt, Fragen nach der politischen Transparenz im Gemeindeparlament, Fragen nach Wachstum im Allgemeinen, Fragen nach unserem Umgang mit Flächenerschließung, Fragen nach dem Holzkirchen der Zukunft und Fragen, wie Mobilität auszusehen hat.
Das ist ebenfalls teils richtig, teils aber auch bedauerlich, weil ein gesamtpolitischer Verriss des Holzkirchner Status Quo nichts für den ist, der einfach nur gegen die Umgehungsstraße sein möchte und vielleicht eine ganz andere politische Gesinnung oder Meinung zum Wachstum, zum Autofahren oder der Wohnraumpolitik hat. Oder eben für den, der ansonsten recht fein nachhaltig lebt, aber sich nun mal nicht sagen lassen will, dass er gefälligst E-Bike statt Auto fahren soll.
In diesem Sinne lässt sich der Kern beider Initiativen jeweils etwas polemisch verdichten:
PRO: “Lebensqualität im Ort schlägt Naherholung. Und wir wollen diese Qualität JETZT mit der besten aller schlechten Lösungen erreichen. Für die Hartpenninger schlagen wir auch irgendwas raus.”
CONTRA: “Wir opfern kein Stück Land für irgendwas, an dem andere Schuld sind. Wir sollten erstmal die Gesamtsituation überdenken, umfassend und ganz von vorne. Alles andere wäre eine Katastrophe und Hartpenning könnte man dann einsalzen.”
Hartpenning muckt auf – aber richtig!
Hartpenning? Richtig. Eigentlich dreht sich in der Diskussion so viel um diesen stolzen und malerischen “Hochleger” der Marktgemeinde. Nach Stand der Dinge sieht es immer wieder so aus, als könnte Hartpenning eigentlich nur verlieren. Genau aus diesem Grunde hat sich dort eine Initiative formiert, die nun auch schon recht lange von sich reden macht. “Hartpenning muckt auf“ nennt sie sich und tritt energisch wie publikumswirksam für die Belange der Hartpenninger ein – und ist immer mit von der Partie, wenn es um den Protest aus Blech geht und der Öffentlichkeit die Wirkung des GAU (=Größter Anzunehmender Umgehungseffekt) in unserer Landschaft vor Augen führen möchte.
“Hartpenning muckt auf” ist qua natura eher den Gegnern der Südumfahrung zuzuordnen, agitiert aber auch für andere Hartpenninger Anliegen. Die Initiative war durchaus so etwas wie ein “Identitätsschub” für die Hartpenninger – eigene Belange hatten plötzlich ein umtriebiges Forum.
Dennoch bleiben nach Sicht der Mehrheit der Bürger auch die Hartpenninger “Aktivisten” einige Fragen schuldig, allen voran, “keine ortsnahe Südspange für Holzkirchen, keine Westspange für Hartpenning und so wie es jetzt ist, kann es auch nicht bleiben”. Dass es de jure möglich ist, die B13 zu beruhigen, darf angezweifelt werden.
Auch hier vermisst man – bei aller Wertschätzung für diesen Verein – den klaren Schwerpunkt auf einer Lösung. Auch hier verliert es sich schnell in Wachstumskritik und reinen Lippenbekenntnissen zur bäuerlichen Landwirtschaft. Und wenn sich wie in Gmund trotzdem dereinst ein paar Hartpenninger Landwirte zusammentun und den größten Stall der Welt bauen, weil’s sich sonst nimmer rentiert? Was dann?
IG Lochham: “Den Süden weiter zu zupflastern” (sic)
Wenn man nach dem Epizentrum der Umgehungswut sucht, wird man im nördlichsten Warngauer Ortsteil fündig – bei der IG Lochham.
Die IG Lochham ist vom Standpunkt her einwandfrei bei den Umgehungsgegnern anzusiedeln: Der Ton nimmt sich wahrscheinlich deswegen besonders scharf und schnörkellos aus, weil man zum einen geographisch unmittelbar betroffen wäre und sich als Warngauer Bürger eben nicht unnedingt für das Dolce Vita am Holzkirchner Marktplatz interessiert. Mit Wahnsinn, nein danke und so nicht, Herr von Löwis! ist der Kern der IG im wesentlichen umschrieben.
Protest mit Geschichte
Die Bürgervereinigung gegen eine geplante Umgehungsstraße in Holzkirchen e.V existiert bereits seit 1978 und schreibt auf Ihrer Seite im Rückblick, die Vereinigung habe dazu beigetragen, dass eine Westumgehung Holzkirchens sowie die ortsferne Südumgehung verhindert wurden. Bei der Verhinderung der Nordumgehung sei man trotz des großen Widerstands leider nicht erfolgreich gewesen.
Auch für die momentan im Raum stehenden, man möchte fast sagen “über der Landschaft hängenden” Varianten sehen die Vertreter der Bürgervereinigung keinerlei Mehrwert für Holzkirchen und im Zusammenhang mit dem vordringlichen und weiteren Bedarf im BVWP werden grundätzlich, aber differenziert die Positionen der Umgehungsgegner unterstützt.
Die Gruppierung nimmt sich vergleichsweise un-schrill im Verbund der Gegner aus – vielleicht fast ein wenig zu still. Ein Blick auf die Website lohnt sich jedoch für alle, die sich tiefer in die Materie und “Umgehungshistorie” einlesen möchten.
Zu komplex, zu ideologisch und zu egal
Man könnte nun noch den Bund Naturschutz erwähnen, mit der Initiative Liebens- und lebenswertes Holzkirchen das Küken unter den Holzkirchner Bürgerverbänden weiter beleuchten oder schmerzlich vermissen, dass die Entscheidungsträger, die eigentlich mehr dazu sagen müssten, das einfach momentan so ungern tun. Es bleibt also nicht aus, dass bei einer Betrachtung eines solch komplexen Themas Dinge unerwähnt bleiben, die vielleicht auch noch wichtig gewesen wären. Es bleibt auch nicht aus, dass vieles als unvollständig, polemisch oder nicht nachvollziehbar kritisiert wird.
Wir bitten die Verantwortlichen der jeweiligen Initiativen jedoch erneut, das Ganze in einem richtigen Licht zu sehen. Egal, wer es wie auffassen mag – wir von der Stimme verhalten uns in dieser Frage neutral, wenn auch gelegentlich sarkastisch.
Wir schätzen Ihre Arbeit als sehr wertvoll ein für die Willensbildung der Bürger, von denen jedoch – das ergibt unsere eigene “Feldforschung” – das Gros schon überhaupt nicht mehr mitreden kann und will zu diesem Thema. Zu komplex, zu ideologisch und: Zu egal.
In diesem Sinne mag manches hier niedergeschriebene en detail ihrem Engagement für die eine oder andere Seite nicht gerecht werden – am Ende verhelfen wir mit dem harten Diskurs aber einem Thema zu immer mehr Aufmerksamkeit, zu mehr Brisanz für die Politik – und der demokratischen Kultur zu einem wichtigen Punktsieg.
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