Wenn es nach dem Tegernseer Bürgermeister Johnannes Hagn geht, soll die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft ein rein formeller Akt werden. Wie Mitte März exklusiv berichtet, will der Tegernseer Stadtrat nun über die Angelegenheit beraten. Wobei Hagn nicht davon ausgeht, dass es zu großen Diskussionen kommen wird. So betonte er vor drei Wochen:
Unabhängig von der politischen Couleur hat keiner der Politiker ein Interesse, in eine bestimmte Ecke gedrängt zu werden.
Am kommenden Dienstag ist es soweit. Eingebettet zwischen dem zweiten Tagesordnungspunkt “Projektbericht und Allgemeines” sowie Tagesordnungspunkt 4 “Bebauungsplan Hotel Basten” soll über die “Aberkennung der Ehrenbürgerwürden von Paul von Hindenburg und Adolf Hitler” entschieden werden.
Das ganze sei zwar “nur” ein symbolischer Akt ohne juristische Basis. Aber trotzdem einer, von dem ein wichtiges Zeichen ausgehe – davon ist Hagn überzeugt. Über die Entscheidung des Stadtrates berichtet die TS am Mittwoch.
Ursprünglicher Artikel vom 14. März 2016:
Adolf Hitler ist seit über 70 Jahren tot, doch sein Schatten reicht weit. Und das ist nicht nur in einem historisch-moralischen Kontext zu verstehen. Ganz konkret muss und will sich jetzt die Stadt Tegernsee in einer ihrer nächsten Stadtratssitzungen mit den 1933 an den ehemaligen NS-Reichskanzler Adolf Hitler sowie Reichspräsidenten Paul von Hindenburg verliehenen Ehrenbürgerschaften beschäftigen.
Eine symbolische Aberkennung, jener Art der Distanzierung, wie sie mittlerweile viele Kommunen durchgeführt haben, sei bislang versäumt worden. Eine Anfrage des Journalisten Franz-Josef Rigo – jenem Mann, der auch in Bad Wiessee nachgehakt hatte – brachte den Anstoß für Tegernsees Bürgermeister Johannes Hagn, in eine Zeit zurückzugehen, die er und viele andere Menschen nur vom Hörensagen kennen.
Für gerichtlich Verurteilte gab es eine automatische Aberkennung
Hagns Recherche hat folgendes zutage gefördert: 1933 habe die Stadt Tegernsee Adolf Hitler und Paul von Hindenburg die Ehrenbürgerschaft verliehen – und seitdem nicht mehr ausdrücklich aberkannt. Weil man es schlichtweg vergessen hat. Weil seitdem viel Zeit vergangen ist. Weil man sich über mögliche Konsequenzen nicht bewusst gewesen ist. Es gibt viele Gründe. Hagn will nicht spekulieren. Sein Anliegen: Er will Versäumtes nachholen.
Dass eine verliehene Ehrenbürgerschaft an Hitler und Hindenburg nicht gerade etwas Rühmliches für eine Gemeinde ist, versteht sich von selbst. Allerdings ist das damals kein ungewöhnlicher Schritt gewesen. Rund 4.000 Kommunen haben es in Zeiten der NS-Diktatur Tegernsee gleich getan und darüber hinaus häufig noch weiteren bekannten NS-Parteigrößen die Ehrenbürgerschaft zugesprochen. Der Tegernseer Rathauschef erklärt:
Nach dem Krieg erfolgte dann der automatische Verlust der Ehrenbürgerschaft für alle rechtmäßig verurteilten Kriegsverbrecher. Das hatte eine Direktive des Alliierten Kontrollrats in Deutschland so festgelegt. Mangels gerichtlicher Verurteilung galt das aber nicht für Hitler und Hindenburg.
Das wiederum bedeutete, dass viele Gemeinden ihren prominenten Ehrenbürgern die Auszeichnung posthum in einem formellen Akt entzogen haben. So geschehen beispielsweise in Gmund. „Dort ist das bereits in der ersten Gemeinderatssitzung nach dem Krieg vorgenommen worden“, sagt Gmunds Geschäftsführer Florian Ruml. Andere Gemeinden zogen nach, die einen früher, die anderen später.
Es gab aber auch etliche, die gar nicht reagiert haben. Warum Tegernsee zu Letzteren gehört, ist auch für den jetzigen Bürgermeister unklar. „Ursprünglich bin ich davon ausgegangen, dass die Sache erledigt sei“, so Hagn. Die alten Unterlagen hätten nämlich offenbart, dass sich Tegernsee nach dem Krieg sehr wohl seiner Vergangenheit gestellt hatte und um Aufarbeitung bemüht gewesen ist.
Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte
Als Beispiel nennt Hagn die Zweiteilung der nach Hindenburg und Hitler benannten Hauptstraße. „1933 trug der Straßenabschnitt vom Rathaus zur Point den Namen des Reichspräsidenten, der Bereich Rathaus Richtung Gmund den des Reichskanzlers. Während die faktische Aufhebung von der Verwaltung schon 1945 vollzogen wurde, fand die formelle bei der ersten Stadtratssitzung 1947 statt. Warum man parallel dazu nicht auch die Ehrenbürgerschaften aufhob, entzieht sich meiner Kenntnis.“
Jahrzehnte vergingen so ins Land. Die Ehrenbürgerschaften gerieten überall zunehmend in Vergessenheit. Gestört hatte es anscheinend kaum jemanden. Erst in den letzten Jahren entflammte die Diskussion um die zweifelhaften Auszeichnungen für Nazi-Größen neu – meist deshalb, weil interessierte Hobby-Historiker entsprechende Nachforschungen betrieben oder die Verwaltungen selbst hellhörig wurden, wenn die Nachbargemeinde ins Kreuzfeuer der Kritik geriet.
Symbolischer Akt als doppelte Absicherung
Dabei hätten es sich die Tegernseer auch einfach machen können. Wie andere Gemeinden könnte sich die Stadt ebenfalls auf den Bayrischen Gemeindetag beziehen, der die Rechtsauffassung vertritt, dass eine Ehrenbürgerschaft nur auf Lebenszeit gelte und daher mit dem Tode erlischt. Laut dieser Logik müsse man nicht auf die Forderung nach einer Aberkennung der Ehrenbürgerschaft eingehen.
Dass das vielen Gemeinden dann aber doch zu heikel war, zeigt, dass ein Großteil von ihnen die Aberkennung in einem symbolischen Akt vorgenommen hat. So handhabten es beispielsweise vor wenigen Jahren die Kreuther: „Dann kann auch keiner hinterher etwas sagen“, bringt es Kreuths Bürgermeister Josef Bierschneider auf den Punkt. Den Vorgang bezeichnet Bierschneider als „doppelte Absicherung“, mit der in erster Linie die Kritiker keinen zusätzlichen Diskussionsstoff erhalten sollten.
Auch der Tegernseer Bürgermeister kennt die Argumentation, dass eine Ehrenbürgerschaft nach dem Tod erlischt. Aus juristischer Sicht zufriedenstellend findet er diesen Standpunkt aber nicht. „Nehmen Sie das Beispiel Rosa Luxemburg. Die Stadt Berlin hat sie posthum zur Ehrenbürgerin ernannt. Die Ehrenbürgerschaft auf Lebenszeit trifft hier mitnichten zu. Wenn auch Tote diese Auszeichnung erhalten können, haben wir es mittlerweile mit einer geänderten Rechtsauffassung zu tun“, schlussfolgert Hagn.
Als Bürgermeister und oberster Repräsentant von Tegernsee wünscht er sich daher klare Verhältnisse – und eine juristisch eindeutige Antwort, die eben nicht Spielraum für unterschiedliche Interpretationen zulasse: „Wenn nur der Hauch eines Zweifels über die Ehrenbürgerschaften besteht, muss man handeln“.
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