Ein schwarzes Kopftuch, das auch den Hals bedeckt, ein kaftanartiger Rock aus schwerem schwarzen Stoff fast bis zu den Knöcheln: Äußerlich scheint Gönül Yerli nach den Regeln des traditionellen islamischen Frauenbilds zu leben. Doch der Islam, den sie auf dem gestrigen Informationsabend in Gmund präsentierte, weicht in einigen zentralen Punkten von den herkömmlichen Vorstellungen ab.
“Laien können den Koran nicht verstehen”
Zunächst skizzierte die Vizedirektorin des Islamischen Forums in Penzberg die Figur des Religionsgründers Mohammed und erklärte die wichtigsten Grundsätze und Lebensregeln des Islam: Das Glaubensbekenntnis, das Gebet, Fasten, Mildtätigkeit und die Pilgerfahrt nach Mekka.
Doch schon am Beispiel des Gebets machte sie deutlich, wie schwierig es ist, aus der wichtigsten Grundlage des Islam, dem Koran, eindeutige Regeln für die Lebenspraxis herauszulesen. Denn nirgends stehe, wie gebetet werden soll. Ohne Interpretation, so Yerli, gehe es nicht. “Laien können den Koran nicht verstehen.”
Auch die „Hadithe“ genannten Überlieferungen aus dem Leben des Propheten sind problematisch. 150 000 angebliche Aussprüche Mohammeds müsse man als spätere Erfindungen einstufen, das seien 30 Prozent des überlieferten Gesamtbestandes. Auch die vier Rechtsschulen zum Islam sieht sie kritisch. Denn seit dem 11. Jahrhundert habe es in der instabilen islamischen Welt keine Entwicklung mehr gegeben.
Modernes Verständnis des Islam
„Unter uns: Eigentlich müsste eine neue Rechtsschule begründet werden“, sagt Yerli. Ein Fortschritt sei es, dass es seit fünf Jahren in Deutschland Lehrstühle für islamische Theologie gebe. Dort werde eine moderne Auslegung des Islams vermittelt. “60 Prozent der Studenten sind Frauen.” Das wolle Gönül Yerli aber nicht zu laut sagen, denn „ich möchte die Muslime ja nicht aufscheuchen“.
Auch gegenüber dem nicht-islamischen Publikum ist die Referentin darauf bedacht, das Verbindende zu betonen und Bruchlinien einzuebnen. “Gott wollte in der Vielfältigkeit Eintracht”, sagt sie zur Existenz unterschiedlicher Religionen auf der Welt. Wie sei dann die Differenzierung zwischen Gläubigen und Ungläubigen zu verstehen, lautet eine Frage aus dem Publikum. „Unglauben kann es nicht geben“, antwortet Yerli. Besser sei es, von Nicht-Glauben zu sprechen.
Menschen sind die Macher der Religion. Ich denke, das war nicht alles im Sinne von Gott.
Dem modernen Religionsverständnis des Publikums kommt Yerli mit solchen Aussagen zweifellos entgegen. Doch wie reagiert die islamische Welt auf solche Thesen? Gönül Yerli ist optimistisch. Sie ist überzeugt, dass eine Mehrheit der rund viereinhalb Millionen Muslime in Deutschland sich eine modernisierte islamische Theologie wünscht. Auch weltweit gebe es viele moderate Muslime. Freilich: „Eine Geschichte von 1400 Jahren kann man nicht von heute auf morgen umdeuten. Die Muslime sind gefordert“.
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