Schriftsteller und Scharfmacher

Dem vielleicht größten Literaten bairischer Sprache wird in diesen Tagen mit Veranstaltungen und Porträts gedacht. Doch radikale Polemiken zerstörten einst seinen guten Ruf. Was bleibt übrig vom Mythos Ludwig Thoma?

Ludwig Thoma lebte lange Zeit auch im Tegernseer Tal.

Ludwig Thoma wurde am 21. Januar 1867 in Oberammergau geboren und starb am 26. August 1921 in seinem Tegernseer Haus. Dazwischen liegen 54 Jahre, in denen der gelernte Jurist und wortgewaltige Satiriker zunächst den Mächtigen seiner Zeit in Schriftdeutsch und Dialekt „heimgeleuchtete“. Seinen zuweilen derben Bajuwarismus setzte er bewusst als Waffe ein. Er nahm fast alles aufs Korn: Spießertum, bürgerliche Doppelmoral, preußischen Pickelhauben-Militarismus, Zentrumspartei und klerikalen Provinzialismus.

Doch bei allen Meriten, die Thoma erworben hat, ist er heute umstrittener denn je. In den letzten 14 Monaten seines Lebens verfasste er anonym für den Miesbacher Anzeiger 175 meist antisemitische Hetzartikel gegen die Regierung in Berlin und die Sozialdemokratie. Als aber 1989 der Regensburger Historiker Wilhelm Volkert veröffentlichte, wie Thoma als Judenhasser dachte und schrieb, war der Ruf des „Bayerndichters“ ramponiert. Mit dem „Münchner im Himmel“, der „Heiligen Nacht“, den „Filser-Briefen“ und Bauernromanen hatte sich Ludwig Thoma in die bayerischen Herzen geschrieben. Man dachte für immer.

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Vom Liberalen zum Antisemiten

Jahrelang verlieh die Stadt München, die Thomas Haus auf der Tuften in Tegernsee verwaltet, eine Ludwig-Thoma-Medaille an Künstler. Seit 1989 ist es damit Aus. Mit seinem ausgeprägten Antisemitismus war der gefeierte Autor mit einem Mal eine Persona non grata. Sicher zu recht. Die Zahl der Bühnen, die heute noch einen Ludwig Thoma ins Programm nimmt, ist seitdem rapide gesunken. Mit seinem Geburtstag nun weicht das Entsetzen und ermöglicht einen differenzierten Blick.

Leben und Werk Thomas lässt sich nur schwer auf einen Nenner bringen. Der glänzende Satiriker und Chefredakteur der Wochenzeitschrift „Simplicissimus“, des Renommierblatts der Schwabinger Bohème, steht neben dem Autor von Dramen wie „Magdalena“, „Moral“ und „Die Medaille“. Der Verfasser der Lausbubengeschichten ist derselbe, der 1920 über das „verjudete“ Berlin und gegen Frauenrechtlerinnen geifert. Er mausert sich zum Stichwortgeber für die Nazis. So weit war es mit Ludwig Thoma also gekommen – derjenige, der im „Simpl“ noch vor 1914 anonym als Peter Schlemihl über Kaiser und Kirche beißend gespottet hatte, setzte sich jetzt für die nationale Sache ein.

Der Bruch in der eher linksliberalen Biografie Thomas zum rechtsradikalen Polemiker kam mit Beginn des Ersten Weltkrieges, in dem er freiwillig als Sanitäter an den Fronten diente. Aus dem Lederhosen-Thoma und „Weiberhelden“, der die schönsten und mondänsten Frauen gerne um sich scharte, wird ein „Hurrapatriot“, wie ihn seinerzeit ein Freund beschrieb. Thoma unterzeichnete 1917 den Gründungsaufruf für die scharf nationalistische „Deutsche Vaterlandspartei“ und zeigte in Briefen seine neue Ausrichtung. Thoma-Biografen rätseln heute noch, warum der einst hintersinnig humorvolle Dichter in seinem letzten Lebensjahr gezielt zu Gewalttaten und zum Mord angestachelt hat.

Thoma und die Frauen

Viele Jahre zuvor, 1906, wurde aus dem Münchner ein Tegernseer. Er kaufte dem Holzhändler und Sägewerksbesitzer Carl Miller etwa 5,2 Hektar Grund auf der Schifflend ab, die später Tuften heißen sollte. 1907 entstand sein Wohnhaus mit einer Fläche von 450 Quadratmetern und ein Tennisplatz. Ein Jahr später konnte es Thoma mit einer Tänzerin beziehen, eine auf den Philippinen geborene 26-jährige Marietta de Rigardo. 1911 wurde die Ehe wieder geschieden. Marion blieb aber noch bis 1918 in Thomas Haus, der dann eine neue Flamme entdeckte.

Die verheiratete Maidi Liebermann von Wahlendorf hatte jüdischen Wurzeln. Er begegnete der jungen Fra am 10. August 1918 in der Rottacher „Überfahrt” bei einem Liederabend mit Leo Slezak. An den beiden folgenden Tagen besuchte Maidi den Dichter auf der Tuften. Mit einem gegenseitigen Geständnis begann für beide eine neue Lebensepoche. Maidi trennte sich von ihrem Gatten. Obwohl er sich einer Scheidung widersetzte, schlossen Maidi von Liebermann und Ludwig Thoma eine Art Lebensbund, ohne heiraten zu können.

Ungeachtet des Schmerzes darüber, dass Maidi die Scheidung nicht ernsthaft betrieb, sah Thoma sich nun vor dem Tor ins Glück. Daher setzte er – drei Wochen vor seinem Tod – seine “Frau” zur Haupterbin ein. Der späte Thoma geht ganz in seiner Tegernseer Welt auf. Jagd, Wirtshaus, konservative Kreise. Mit dem Schriftsteller Ludwig Ganghofer ist er befreundet, mit Bayerns reaktionärem Ministerpräsidenten Gustav von Kahr ebenso. Noch am 27. Juli 1921 besucht ihn General Erich Ludendorff auf der Tuften. Da war Ludwig Thoma schon schwer krank. Einen Tag vorher hatte er sich in München untersuchen lassen – der Arzt riet dringend zu einer Magen-Operation. Am 6. August liegt Thoma in München unterm Messer. Die OP ergibt Magenkrebs im Endstadium.

Das Grab von Ludwig Ganghofer und Ludwig Thoma in Rottach-Egern.

Zwei Tage später stirbt Ludwig Thoma in seinem Haus. Er wird nur 54 Jahre alt. Nur widerwillig lässt der örtliche Pfarrer in Rottach, der ja von Thomas` Hass auf die „Pfaffen“ wusste, eine kirchliche Bestattung zu. Dort wurde der „Säulenheilige“ Thoma am 29. August 1921 neben seinem Freund Ludwig Ganghofer bestattet. Nach seinem Tod fand man in Thomas Schreibtisch einen Aufnahmeantrag in die NSDAP, der allerdings nicht ausgefüllt war.

Wäre der einstige Freigeist tatsächlich Nationalsozialist geworden? Seine Geliebte Maidi, die ihn um 50 Jahre überlebte, sagte einmal, Thoma wäre wohl einer der ersten Anhänger Hitlers gewesen, aber auch einer der ersten, der sich wieder losgesagt hätte. Dennoch bleibt von Thoma, dass seine Romane und Stücke zum Besten gehören, was je in Bayern geschrieben wurde. Kürzlich urteilte ein Historiker über ihn. „Manchmal überragt das Werk den Menschen.“

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