„Wer will, kann hier eine Hundehütte vergolden“

Eine Studie zur Migration an den Tegernsee zeigt, wie die neuen Bewohner das Tal nach und nach verändern. Die offensichtlichen Folgen sind Bauboom und hohe Rollatoren-Dichte. Doch die alpine Gentrifizierung hat auch andere Konsequenzen.

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Man kann es jeden Tag im Tal sehen, den Bauboom und die zunehmend ältere Bevölkerung. Doch so wissenschaftlich fundiert, wie in der von Cindy Rabe für das Institut für interdisziplinäre Gebirgsforschung (IGF) der „Österreichischen Akademie der Wissenschaften“ recherchierten 50-seitigen Studie, gibt es das selten. So bringt die aktuelle Untersuchung mit dem Titel „Amenity Migration nach Tegernsee und Rottach-Egern“ eine neue Qualität in die immerwährende Diskussion. Und bei den Aussagen muss sich spätestens jetzt jeder Ortsvorsteher fragen, ob er auch die richtigen Weichen in die Zukunft seiner Gemeinde stellt oder nur bis zum nächsten Wahltermin denkt.

Denn die Perspektiven im Tal sind ziemlich ernüchternd, wie die vorliegende Untersuchung von Rabe belegt. Sie sprach in Tegernsee und Rottach-Egern mit je drei Gemeindevertretern, zwei Kirchenmitarbeitern, einem Immobilienhändler und mit über 20 Zugewanderten. „Im Fokus standen dabei die Gründe für den Wohnortwechsel und die Integration in die lokale Gemeinschaft“, so Rabe. Sie nennt es „Wohlstandsemigration“, wenn der „starke Zuzug älterer Bevölkerungsteile“ aufgrund einer verstärkten Landschafts- und Freizeitorientierung in die oberbayerische Alpenregionen so anhält.

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Dabei ist zu fragen, welche Gründe für die Zuwanderung ausschlaggebend sind, und welchen Einfluss verschiedene Zuwanderungstypen auf die Entwicklung der Gemeinden haben. Exemplarisch wird dies an den Gemeinden in Tegernsee und Rottach-Egern untersucht.

Typisch sei hier eine hohe Sonnenscheindauer und eine naturnahe Umgebung mit Wäldern und Wiesen, beschreibt Rabe die Ausgangslage. Der Anteil älterer Personen ab 50 Jahren nehme bei Migration in den ländlichen Raum – Rabe sind es „Altersruhebesitzwanderer“ – aufgrund des demografischen Wandels stark zu. „Diese Personen sind mobiler und aktiver als frühere Rentnergenerationen und aufgrund ihrer Kaufkraft auch für die Regionalökonomie von Bedeutung“.

„Alpine Gentrifizierung“

Die Motive für Migration seien eine Rückkehr in bereits vertraute Umgebungen aus früheren Zeiten, eventuell mit der Möglichkeit, dort familiäre Unterstützung oder Pflege zu erhalten. Eine weitere Motivation wäre aber auch eine generelle Präferenz ländlicher Räume gegenüber Städten. „Schlechte Luft- und Umweltqualität, hohe Lärmbelastung und Lebenskosten sowie wohnortnahe Erholungsmöglichkeiten wirken als Push-Faktoren“, so Rabes Beobachtungen.

Durch diese Zuwanderung komme es zu Neubauten und zur Konkurrenz mit Einheimischen auf dem Immobilienmarkt. Wissenschaftlerinnen wie Rabe nennen dies „alpine Gentrifizierung“. Die Folge sei eine Verdrängung der Alteingesessenen durch wohlhabende Zuwanderer und eine Umwandlung des Agrarraums in einen Freizeit- und Erholungsraum. Diese Veränderung sehen auch die durch Rabe Befragten.

Die Geburtenzahlen sind sehr niedrig. Das ist desaströs. Gleichzeitig sieht man einen Altersschnitt von über 50 Jahren.

Die Studie registriert aber auch: „Das Tal ist ein Refugium, um sich von der Globalisierung zurückzuziehen. Trachtenjacke, Lederhose, Waldfeste, sind für die Leute sehr wichtig“. Hier sei die Kultur noch lebendig. Zudem würden eine gute Infrastruktur und der hohe Bekanntheitsgrad den Tegernsee als Wohnort noch aufwerten. Das Streben nach Prestige sei ein weiterer Grund für den Zuzug. Denn wer hier wohne, habe es zu etwas gebracht.

„Immobilien-Spekulanten“

Meist würden die Immobilien auch der Geldanlage dienen, so Rabe in ihrer Studie, „so kann in diesem Bereich von Spekulationen gesprochen werden“. Ein Immobilienmakler gab an: „Wir haben hier Leute, die kaufen ein Haus und lassen es leer stehen, warten fünf Jahre und verkaufen es wieder. Mit richtigem Gewinn. Man kann hier sogar eine Hundehütte vergolden, wenn man will“. Für die Auswirkungen der Immobilienblase am Tegernsee gelte, dass der Preis nicht dem Wert entspreche, weil es einen Hype im Tal gebe. „Dennoch werden weiter steigende Preise erwartet“.

Dabei sieht die Autorin für die Neubürger auch Möglichkeiten der Integration in die lokale Gemeinschaft. Dies passiere vor allem durch Kinder und Arbeit. Des Weiteren seien Mitgliedschaften in Vereinen, die Teilnahme an Festen und an Stammtischen sehr förderlich.

Dennoch falle es Zuwanderern schwer, sich in traditionellen Vereinen zu integrieren. „Da kommt mitunter die Mia-san-mia-Mentalität durch und es gibt brachiale Methoden, um den Einfluss der Fremden zu verringern“. Wer sich aber nicht einbringt, lebt allein und isoliert. Viele betuchte Migranten hätten auch ein soziales Bewusstsein. Sie würden aber lieber spenden, als sich persönlich engagieren.

„Wir brauchen sie, aber wir wollen sie nicht immer“, äußere so mancher Einheimischer, der die Zuwanderung mit gemischten Gefühlen sehe. Dennoch gebe es im alltäglichen Umgang keine „gravierenden Probleme“. Die Bevölkerung sei durch den Tourismus an den Umgang mit fremden Menschen gewöhnt. Doch die Auswirkungen auf das Ortsbild werden kritisch gesehen und mehr Schutz durch die Gemeinden gefordert. „Das Problem sind die Bauprojekte und nicht, wenn in ein bestehendes Haus ein neuer Mieter einzieht“.

Rabes Fazit: Das Tegernseer Tal hat zwei Möglichkeiten. Entweder ein Altersheim für Wohlhabende zu werden, oder durch den Zuzug junger Familien weiterhin attraktiv und dynamisch zu bleiben. Dabei hänge es vor allem davon ab, ob die Gemeinden es schaffen, bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen. Keine einfache Aufgabe bei dem derzeitig überhitzten Immobilienmarkt.

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