86 – und die Frisur sitzt

„Schauen Sie, der hier ist die größte Nervensäge“, sagt Konrad Babl. Der Bader von Gmund deutet auf einen Mann, der mit einem Besen in der einen Hand und einem Bier in der anderen zwischen den Friseurstühlen umherläuft. Der 86-Jährige lacht: „Für einen Haarschnitt muss er bei mir kehren.“

Der Bader von Gmund: Konrad Babl bei der Arbeit. Heute wird der Münchner 86 Jahre alt.

„Kurz. Aber nicht zu kurz. Lieber länger. Also eigentlich wie immer. Nur anders.“ Das, was Kunden beim Friseur gerne auf die Frage antworten, wie sie denn ihre Haare geschnitten haben möchten, könnte ebenso Konrad Babls Antwort auf die Frage sein, wie er denn seinen heutigen Geburtstag feiert.

Richtig, heute wird der “Meister des gepflegten Haarschnitts” – Konrad Babl – 86 Jahre alt. Ein Widder, wie er im Horoskope steht: „Diplomatisch sind wir nicht, dafür vertragen wir Retourkutschen“, grinst er. Seine blaue Samtschleife trägt er gefühlte Jahrzehnte.

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Haare und Schleife schneidet er selbst

Weil die Gefahr besteht, dass er sie beim Essen vollkleckern könnte, kauft er sich immer eine 15-Meter-Rolle von dem Band in Reserve. Damit sie schick aussieht, schneidet er sich die Enden mit dem üppig vorhandenen Schneidwerkzeug aus seinem Laden gleich selbst in Form. Wie seine eigenen Haare übrigens auch.

Jeden Tag pendelt Konrad Babl von München aus zur Arbeit.

„Also eigentlich wie immer.“ Die Schleife – und auch sein Geburtstag. „Ich gehe wie alle Jahre mit Freunden zum Essen – ins Augustiner nach München.“ Wehwehchen kann er sich nicht leisten. Er müsse arbeiten, sagt er mit einem Augenzwinkern, „damit man ihn nicht ins Altersheim stecke.“

“Geheimnisse” auf dem Drehstuhl

Die Unterhaltung bei seiner Arbeit hält ihn fit. „In meinem Beruf zählt kein Alter. Man ist mitten in der Zeit.“ Babl hört gerne bei dem zu, was auf seinen alten Drehstühlen geplaudert wird. Zu ihm kommt Jung und Alt, vom Bahnhofspenner bis zum Bundeskanzler. Die ältere Generation habe weniger Gelegenheit zum Reden, so Babl, deshalb würden viele der 80 bis 90-Jährigen von früher erzählen. Und die jüngeren Kunden fragen nach, wie es zu damaliger Zeit war.

Auf diesem Drehstuhl hat so mancher Kunde schon sein Leid geklagt.

Dabei behält er nicht alle Dinge für sich, wie er zugibt. „Viele kommen, um was loszuwerden. Wenn es die Wahrheit erfordert, muss das Gehörte an die richtige Stelle kommuniziert werden.“ Leider vertrage die Wahrheit nicht jeder, sagt er.

Auf hoher See unter Babls Schneide

Seine Lehre hat der heute 86-Jährige im Jahr 1945 beim Bader Kimmerl in Gmund gemacht. Später kam er in einem Friseursalon in München unter. Von da wechselte er auf das Kreuzfahrtschiff MS Berlin, um sich fortan auf hoher See den Frisuren der Passagiere zu kümmern. 1963 machte er sich selbstständig und hat seit nunmehr 54 Jahren seinen eigenen Friseursalon. Das Wichtigste für ihn: Der Kunde muss zufrieden sein.

Eine Geschichte habe ihn in seinem Berufsleben am meisten berührt, so Babl. Als Alt-Bundeskanzler und Wahl-Gmudner Ludwig Erhard auf seinem Drehstuhl seine Zigarette rauchte, während sich dessen Frau und Tochter im Nebenraum die Haare schneiden ließen.

Ab 17:30 klappt Gmund die Bürgersteige hoch

Seine Kundschaft besteht gegenwärtig fast ausschließlich aus Männern. Leute, die er aus der Lehrlingszeit kennt, bedient er heute noch. Nur sind die inzwischen um die 90 Jahre alt. Den Grund für seine Pendelei von München nach Gmund und Abend wieder zurück, erklärt Badl so: „Hier klappen sie doch schon um 17:30 Uhr die Trottoirs hoch. Da kriegst ja noch nicht einmal eine Wurstsemmel.“

Apropos Wurscht. Das sei auch die Schreibweise der Bezeichnung Frisör beziehungsweise Friseur, so der Haarschneider. Die altbewährte Frage, warum Frauen für einen Haarschnitt noch immer mehr bezahlen müssen als Männer, beantwortet der Bader wie folgt:

Erstens braucht ein Haarschnitt bei Frauen mehr Zeit als bei Männern, und zweitens dauert das anschließende Föhnen und Stylen nochmal mehr.

Die Frauenschnitte seien seiner Meinung nach immer noch zu billig. Bei Männern könne er nicht mehr verlangen. „Sind ja alles Rentner“, schmunzelt er. „Durch den Euro bleibt ihnen doch nur die Hälfte.“ Die heutige Zeit sei kaputt, sagt er. „Es ist keine Ordnung mehr drin. Die jungen Leute sind nicht ungezogen, sondern durch die antiautoritäre Erziehung einfach unerzogen.“

Wenn er ihnen etwas mit auf den Weg geben würde, dann, dass sie etwas lernen, auf eigenen Füßen stehen sollten. „Und Dankbarkeit wäre gut. Dafür, hier leben zu können.“ Ob er Angst vor dem Tod hat? Babl lacht. „Nein, das halten doch sogar kleine Kinder aus.“

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